Fête de Lion 2018: Die Musik- und Wohlfühl-Oase in Wil

In Reviews by indiespect

Die grosse Fete kehrt nach einjähriger Pause zurück nach Wil.

Nachdem letztes Jahr pausiert wurde, fand dieses Wochenende auf dem Gelände des Gare de Lion in Wil erneut das Fête de Lion statt. Erstmals wurde der Anlass an zwei Tagen durchgeführt. Bei hochsommerlichen Temperaturen zog bereits der Eröffnungsabend, der unter dem Zeichen elektronischer Musik stand, ein stolzes Publikum an. Vor allem lokale Fans des Genres fanden am Freitag den Weg zum Kulturbahnhof. Am Samstag stand die Live-Musik im Fokus. Zehn Bands sorgten ab dem Nachmittag bis tief in die Nacht auf zwei Bühnen für ausgelassene Stimmung. Dass das Festival ein Gesamtwerk ist, spürte jeder bereits beim Betreten des Geländes.

Im grossen Zelt gab es genügend Schattenplätze. Für eine Abkühlung und eine Tischtennis-Platte war ebenfalls gesorgt.

Friedliche Stimmung und Liebe zum Detail

Die Veranstalter gaben sich grosse Mühe, das Festivalgefühl im Angesicht der Hitze, so angenehm wie nur möglich zu gestalten. Zwischen der Openair- und der Club-Bühne (auch Gleis 1 und Gleis 2 genannt) befand sich ein grosses Zelt mit Festbänken. Die Schattenplätze waren entsprechend beliebt. Auch sonst hatte jeder die Möglichkeit, sich nicht der prallen Sonne auszusetzen. Kulinarisch bot das Fête de Lion wiederum eine ausgewogene Mischung verschiedener Kulturen, ohne überladen zu sein. Neu hinzu kam die Weinbar Vin de Lion. Das Sortiment bot eine gute Alternative für Nicht-Biertrinker. Einzig das Fehlen von regionalen Winzern war dabei etwas schade. Erstmalige Besucher, die zur Türöffnung um 14 bereits auf dem Gelände waren, konnten sich mit dem liebevoll gestalteten Festival vertraut machen. Wer es schon vor zwei Jahren besuchte, fühlte sich sofort wieder willkommen und zuhause. Nebst Musikfans waren auch viele Familien anwesend.

Die neue Weinbar mit passend gewähltem Namen.

Tanzmusik in der prallen Sonne

Den musikalischen Auftakt gaben um 15.45 Šuma Čovjek. Eine zehnköpfige Kombo, die mit einer unglaublichen Sprachvielfalt das Volk zum Tanzen brachte. Sympathisch und der Hitze trotzdend, versuchten sie mit Wasser aus einer Sprühflasche die Leute näher zur Bühne zu locken. Nach dem kurzweiligen Auftritt standen Dachs als erste Band auf der Club-Bühne. Diese war bereits bis hinten gefüllt und die Temperaturen im Raum waren mindestens so hochsommerlich wie draussen. Was es bei der letzten Ausgabe von Fête de Lion noch zu bemängeln gab, war hervorragend behoben worden. Die Lautstärke war angenehmer und der Klang klarer geworden.

Lebensfreude beim Auftritt von Šuma Čovjek. Die Sänger gaben alles. Auf der Bühne…

…und davor. Sogar mit Kind auf dem Arm.

Panda Lux und ihre Liebe zu Tiefkühlpizza

Draussen ging es mit der Rorschacher Band Panda Lux weiter. Deutsche Texte, kombiniert mit eingängigen Gitarren-Melodien bescheren den Jungs immer grössere Erfolge. Mittlerweile spielen sie als Support von Acts wie Von Wegen Lisbeth oder Faber auch in Deutschland und Österreich. Panda Lux wurden ebenfalls von der Sonne nicht verschont. Bleibt zu hoffen, dass sich alle Musiker gut eingecremt hatten. Bei dieser Hitze wäre die von ihnen besungene Tiefkühlpizza im Song Bar Franca nach wenigen Sekunden innen nicht mehr gefroren gewesen.

Panda Lux in ihrem Element.

Kettcar: Norddeutsche Gelassenheit mit politischer Zündkraft

Mit der Hamburger Band Kettcar standen anschliessend wahre Urgesteine der Hamburger Schule auf der Bühne. Im letzten Jahr veröffentlichten sie mit Ich vs. Wir ihr erstes Album seit fünf Jahren. Mit politischen Zündstoff trafen sie dabei den Nerv der Gesellschaft. Doch als reine Polit-Punk-Band wollen sich die Norddeutschen nicht sehen, auch Gefühl und Humor darf nicht zu kurz kommen. So erzählte Sänger Marcus Wiebusch zwischen Songs wie Deiche, Graceland oder Wagenburg immer wieder kleine Anekdoten. Dass er ein gebürtiger Heidelberger ist, merkt man ihm bei seinem norddeutschen Charme so gar nicht mehr an. Die Einleitungen zu den Titeln waren meist kurz und trocken, aber genau deshalb so humorvoll. Auch Reimer Bustorff, Bassist und gemeinsam mit  Wiebusch und Thees Uhlmann Gründer des eigenen Labels Grand Hotel van Cleef, weiss mit pointierten Geschichten zu punkten. Er habe einmal eine Nachbarin namens Karin Schulz gehabt. Diese habe er schon als seine künftige Ehefrau auserkoren. Sie war damals an einem Tennisturnier, an welchem der junge Boris Becker mit ungefähr 17 Jahren spielte als Helferin mit dabei gewesen. Dieser hätte ihr nach dem Match die Zimmernummer seines Hotels in die Hand gedrückt und somit die inexistente Beziehung jäh beendet. Nun stehe er da, auf einer Bühne vor etlichen Menschen, ganz ohne Insolvenzverfahren und komplett frei von Schulden. Das habe sie sich entgehen lassen.

Kettcar: Eine Band mit viel Herz und einer klaren Meinung.

Es zeichnet Kettcar aus, dass sie trotz der lockeren Art, klar ihre politische Meinung kundtun können. Sei es in der Hymne eines Fluchthelfers aus der DDR in Sommer ’89 (er schnitt Löcher in den Zaun) oder wenn es wie bei Der Tag wird kommen über die homophobe Grundhaltung im Fussball geht. Zwar befindet sich dieser Song auf Konfetti, dem bisher einzigen Soloalbum von Marcus Wiebusch, mittlerweile ist er jedoch ein wichtiger Live-Bestandteil der Band geworden. Wie schon beim Auftritt in der Kammgarn Schaffhausen im Frühling gelten drei in Folge gespielte Liebeslieder bereits als Emo-Block. Von diesem letzten Schweizer Auftritt und der anschliessenden durchzechten Nacht in der Altstadt, wussten die Musiker noch lebhaft zu berichten. Während des Auftritts sorgte der herrliche Sonnenuntergang für das perfekte Ambiente.

Petrus mag das Fête de Lion. Auch die diesjährige Ausgabe fand bei bestem Wetter statt.

Als Abschluss im leicht verkürzten Set, stand Landungsbrücken auf dem Programm. Im Anschluss war die Stimmung war so ausgelassen und der Jubel liess nicht nach, sodass Kettcar die Bühne noch einmal betraten, obwohl keine Zugabe vorgesehen war. Für a fast one, wie Wiebusch es nannte, sei noch Zeit. Dies sagte der Sänger mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. Mit Ich danke der Academy wurde noch ein letztes Mal auf das Gaspedal gedrückt. Wie die meiste Zeit des Konzertes hielt der Sänger auch bei diesem Song seine Augen geschlossen. Ohne Zweifel haben Kettcar nach ihrer längeren Bandpause die Spielfreude wieder gefunden.

Wolf Alice standen als Headliner ganz oben auf dem Line-Up des Fête de Lion 2018.

Wolf Alice: Englischer Alternative-Rock begleitet Wil in die Nacht

Wolf Alice aus London waren als Headliner gesetzt. Die Band um Sängerin Ellie Rowsell ist in den letzten Jahren in der Alternative-Rock-Szene immer weiter nach oben gestiegen. Auch in Wil bewiesen sie, weshalb das so ist. Instrumentell eingängig und gesanglich extrem wandelbar, verzauberten Wolf Alice das Fête de Lion. Das innige Zusammengehörigkeits-Gefühl von Kettcar konnten sie zwar nicht ganz aufrecht erhalten, der Auftritt entführte das Publikum jedoch in eine ganz andere Welt. Für diejenigen, die mit dieser Mischung nicht so viel anfangen konnten, stand im Club ein Rapper aus Hamburg auf der Bühne. Estikay zog ein ganz anderes Publikum an, als es die Bands auf der Openair-Bühne taten. Junge Hip-Hop-Fans feierten den Act, der sich mit Jack Daniels und einer grossen Klappe als grosser Macker zeigte. Das muss einem gefallen. Aber es ist der Mix und die Philosophie, die den Charme dieses Festivals ausmachen. Jeder soll sich wohl fühlen und das Fête de Lion auf seine eigene Weise geniessen.

Auch für Hip-Hop-Fans war mit Etsikay aus Hamburg etwas dabei.

Auch für Hip-Hop-Fans war mit Etsikay aus Hamburg etwas dabei.

Weval führt die musikalischen Welten zusammen

Das holländische Kollektiv von Weval vermochte es, die beiden musikalischen Welten zu vereinen. Sowohl Indie-, als auch Hip-Hop-Fans können sich mit elektronischer Musik identifizieren. Erstere vor allem, wenn trotz Genre noch auf echte Instrumente gesetzt wird. So wurden bei Weval Schlagzeug und Bass live gespielt, während die Melodien mit Synthesizern aufgebaut wurden. Zwar ging der Abend noch lange nicht zu Ende, aber gegen 1 Uhr brachen einige Besucher auf, die mit den Nachtzügen in Richtung Winterthur oder Zürich unterwegs waren. So feierten vermutlich die selben Leute bis tief in die Nacht, die es bereits am Tag zuvor gemacht haben – die lokalen Musikfans. Dass auch bei der Ausgabe 2018 am Samstag wieder rund 1500 Besucher anwesend waren, zeigt dass sich der gute Ruf des Fête de Lion rumgesprochen hat.

Weval sorgen für elektronische Klänge in der Nacht.

Fazit

Mit nur drei Ausgaben hat sich das Fête de Lion einen exzellenten Ruf erarbeitet. Eine überschaubare Grösse, ausgewählte Acts abseits des grossen Mainstreams und viel Herzblut machen es zu einem ganz speziellen Festival. Besonders sobald der Himmel eindunkelt, entfaltet es mit vielen Lämpchen und einer ausgeklügelten Beleuchtung seine volle Magie.

Weitere Fotos

Friede, Freude, Fête de Lion