Album-Tipp:
Bosse – Engtanz

In Album-Tipps by indiespect

  1. Ausserhalb der Zeit
  2. Dein Hurra
  3. Steine
  4. Nachttischlampe
  5. Krumme Symphonie (feat. Casper)
  6. Mordor
  7. Immer So Lieben
  8. Wir Nehmen Uns Mit
  9. Blicke
  10. Insel
  11. Ahoi Ade

Künstler: Bosse

Album-Titel: Engtanz

VÖ: 12.02.2016

10/10

Letzten Freitag erschien das sechste Studioalbum vom deutschen Singer-/Songwriter Bosse. Es trägt den Titel «Engtanz» und hat es bereits nach der ersten Woche auf Platz 1 der deutschen Album-Charts geschafft. Kein Wunder! Auch wenn ich sonst nicht unbedingt zu den Leuten gehöre, die viel deutschsprachige Musik hören, hat mich dieses Album ab dem ersten Ton gepackt.
Bisher war mir Bosse vor allem durch seine Auftritte am Bundesvision Song Contest von Stefan Raab und einigen Indie-Hymnen der Festival-Saisons wie «Schönste Zeit» oder «Kraniche» bekannt.

Immer von einem Hauch Melancholie begleitet, schafft es Bosse tiefgründige Texte mit wunderschönen Melodien zu kombinieren. Für sein neustes Werk greift er dabei sogar auf ein Orchester zurück, was dem ganzen Klang noch mehr Tiefe verleiht. Es ist eine Platte entstanden, bei der man sich nicht für einen Lieblingssong entscheiden kann und möchte, da jeder einzelne auf seine Art und Weise grossartig ist.

Außerhalb der Zeit beginnt mit einem leisen und träumerischen Intro und lässt einen direkt in die Ferne schweifen. Der Name ist sinngebend. Das Lied führt den Zuhörer auf eine Reise ohne Raum und Zeit. Quer durch das ganze Vorstellungsspektrum. Man ist sofort in der richtigen Grundstimmung für das was noch kommen wird – entspannt und beseelt.

Dein Hurra beschäftigt sich mit dem positiven Einfluss einer Person auf sein eigenes Verhalten. Alles Schlechte kann durch diesen Menschen wie weggewischt werden.  Der Satz «Du ziehst meiner Scheiss-Angst mit deinem Schwung die Ohren lang, klatscht sie an die Wand», beschreibt das Ganze ziemlich schön.

Steine ist einer der besten Titel auf dem ganzen Album. Nebst der extrem eingängigen Melodie überzeugt der Song durch geschickt gewählte Metaphern zur Problembewältigung. Alles braucht seine Zeit und es wird ein schwerer Weg, gewisse Erlebnisse zu verarbeiten. Manchmal liegt man nachts schlaflos im Bett und die Gedanken fühlen sich so an, als würde man sich durch Steine beissen – in allen Formen und Grössen. Bosse hat für «Steine» über 40 Versionen geschrieben und irgendwann setzte eine Schreibblockade ein. Für ihn war es der schwierigste Text überhaupt. Mit Hilfe von Judith Holofernes (Wir sind Helden) schaffte er es den Text fertigzustellen. Es war das erste Mal, dass überhaupt eine andere Person in seine Texte eingegriffen hat.

Nachttischlampe ist der erste Song, der sich auf eine andere Person bezieht. Es geht um die Einsamkeit von jemandem, der nicht weiss wohin er mit sich selber noch will. Das endet wieder in Schlaflosigkeit und mit einer brennenden Nachttischlampe. Dieses Gefühl hat er dabei in eine wunderbare Beschreibungen verpackt.

Krumme Symphonie beginnt mit Sprechgesang von Bosse. Das passt perfekt zur kratzigen Rap-Stimme von Casper, der die krumme Symphonie mit ein paar Zeilen bereichert. Alles geht im Leben schief und nichts klappt so richtig. Inhaltlich erinnert dieser Titel ein bisschen an den Kraftklub-Song «Mein Leben». Hier heisst es: «Bei allen läufts, nur bei mir nie.» bei Kraftklub: «Dein Leben läuft gut, mein Leben läuft Amok.» So ganz alleine scheinen die Bosse und Casper also doch nicht zu sein.

Mordor beschreibt die Momente, in denen man gewisse Dinge vor dem Abschied zum letzten Mal noch einmal sieht. Es ist alles plötzlich nicht mehr so schlimm und was man noch nie besonders mochte, zeigt sich plötzlich noch einmal von der schönsten Seite. Mit dem Bewusstsein, dass man bald weg ist, macht sich sogar Mordor nochmal schön (was ja bekanntlich der dunkelste Ort der «Herr der Ringe»-Saga ist).

Immer so lieben ist für mich ein sehr spezielles Liebeslied. Es handelt davon, dass man viele Dinge erst zu schätzen weiss, wenn es schon zu spät ist. Und darum, dass es in einer Partnerschaft nicht so sein darf. Das Gefühl, wie es ist, wenn die Partnerin weg ist, macht er sich in der Situation bewusst, in der alles in Ordnung ist, als wäre er ohne sie. Dieses schreckliche Gefühl lässt ihn jeden Tag so handeln, dass es nie soweit kommen wird. Sehr schön verschachtelt und abstrakt gedacht.

Wir nehmen uns mit sagt aus, dass man alles ausprobieren und ständig neue Lebensstile annehmen kann, aber die Wahrheit einen immer wieder einholt. Das Davonrennen vor Problemen oder Entscheidungen hilft uns nicht weiter. Sein Leben kann man nicht tauschen und deshalb muss man sich damit arrangieren

Blicke ist ein Möchtegern-Liebeslied, weil eine Person sich nie traut seine wahren Gefühle auszusprechen. Alles ist eine grosse Denkblase. Es wird märchenhaft beschrieben, was alles sein könnte. Wenn dieses Lied ein Film wäre, würde man als Zuschauer fast durchdrehen. Denn die füreinander Bestimmten sagen aus Angst etwas zu zerstören einfach nicht, was sie empfinden.

Insel ist wieder ein Song, der nach etwas sucht – genauer nach den versteckten Gefühlen einer Person. Die einsame Insel wird dabei als Metapher benutzt, um diese Suche zu beschreiben. Für mich hat dieser Titel etwas zu viele Wiederholungen und fällt daher etwas vom Rest der Platte ab.

Ahoi Ade ist das letzte Stück der Platte und das passt. Ein Abschiedslied vom Feinsten. Ob es irgendwelche Lebensphasen sind, die enden bis hin zu Beerdigungen von Freunden oder Verwandten.Freunde aus der Kindheit sind in die grosse weite Welt gezogen und man hat sich einfach aus den Augen verloren. Man bekommt Kinder. Sie werden älter und plötzlich man fährt von ihrem Abi-Ball nachhause. Das komplette Leben wird in gut vier Minuten abgehandelt und rundet «Engtanz» auf wunderbar-melancholische Art und Weise ab.

Auf der Deluxe-Edition folgt danach noch ein ganzes Live-Konzert, mit dem Titel «Leise Landung». Die Aufnahmen stammen vom Abschlusskonzert der Akustik-Tour im Jahre 2014 im Admiralspalast in Berlin. Die Musik von Bosse funktioniert also auch ausgezeichnet ohne Streicher, Bläser und pompöse Arrangements. Natürlich sind die Titelbeschriebe alle sehr subjektiv interpretiert und können von Person zu Person komplett anders wahrgenommen werden. Was sich aber nicht bestreiten lässt, ist der Suchtfaktor, den dieses Album besitzt. Mit «Engtanz» hat Bosse meiner Meinung nach sein bisher bestes Album geschaffen.

Schon sehr bald ist Bosse mit seiner Band nach langer Abwesenheit wieder in der Schweiz zu Gast, nämlich am:

01.03.2016 / Exil / Zürich / Tickets