Interview mit Matthew Caws
von Nada Surf

In Interviews by indiespect

Normalerweise führt man ein Interview im Backstage oder einem anderen kleinen Raum. Mit Matthew Caws, Sänger und Liederschreiber der Band Nada Surf läuft das Ganze etwas anders ab. Der Soundcheck dauerte länger als geplant und deshalb hatte er noch nichts gegessen. Also wurde unser Interview-Termin kurzfristig in ein Abendessen umgewandelt. Gemütlich assen wir in einem Restaurant nahe des Zürcher Hauptbahnhofes. Aus dem etwas längeren Gespräch habe ich euch die Interviewfragen herausgepickt.

Indiespect: Gibt es länger Abschnitte in denen du deine Bandkollegen nicht siehst? Wenn ihr nicht gerade an einem Album arbeitet oder eine Tour vorbereitet?

Caws: Ja, die gibt es. Wir wohnen alle an unterschiedlichen Orten auf der Welt, also sehen wir uns eigentlich nicht, wenn wir nicht am arbeiten sind. Oder zumindest sehr selten. Früher haben wir alle nahe beieinander gewohnt und das vermisse ich. Vor allem unsere Art zu arbeiten. Wir konnten zwei- bis dreimal in der Woche alle zusammen in den Proberaum gehen und hatten dadurch überhaupt keinen Druck. Wir konnten zwischendurch auch mal rumalbern. Jetzt ist es ein komplett anderes Verfahren. Wir warten, bis ich genügend Songs habe, von denen ich überzeugt bin. Schliesslich müssen wir auch immer Flugtickets kaufen, da sollte man sich schon sicher sein.

I: Schickst du ihnen das Material denn nicht vorher zu?

C: Das machen wir für gewöhnlich eigentlich nicht. Meistens bin ich zu diesem Zeitpunkt gar noch nicht wirklich fertig. Manchmal vollende ich Songs im Flugzeug.

I: Du bist also der einzige Songschreiber in der Band?

C: Ja. Es wäre toll nicht der einzige zu sein. Daniel hat früher teilweise Songs geschrieben. Fürs letzte Album hat er eine Bassline geschrieben, die toll war. Wir haben versucht diese in einen Song zu packen. Und Ira hat auch ein paar Sachen geschrieben. In unserem Song «I Like What You Say» gibt es einen Part, der lautet: «Baby, I only wanna make you happy.». Der ist von ihm und ist wirklich toll. Richtig catchy.

I: Am 2. Dezember spielt ihr eines der ersten Konzerte, nachdem das «Le Bataclan» in Paris im November ziemlich genau ein Jahr nach den schrecklichen Terroranschlägen wieder eröffnet wird. Wie fühlt sich das für euch an?

C: Es fühlt sich nützlich an. Es fühlt sich so an, dass man seinen Teil dazu beiträgt, damit das Leben so weitergehen kann, wie es war. Wir haben dort schon dreimal gespielt und es ist unser Lieblings-Club in Paris. Direkt nach den Anschlägen haben wir am nächsten Tag unseren Manager gefragt, wann wir wieder dort auftreten könnten. Wir sind nicht nervös dort zu spielen, im gleichen Sinne wie wir nach dem 11. September 2001 nicht nervös waren in New York zu sein. Ich will nichts sagen, was solche schrecklichen Ereignisse verharmlost. Aber Tatsache ist, dass wir mit dem Wissen aufgewachsen sind, dass der 2. Weltkrieg passiert ist… und Vietnam. Kranker Scheiss. Und natürlich gibt es eine Million weiterer schlimmer Dinge in der Welt. Ich sage das als jemand, der in New York gelebt hat. Du erfährst immer von den Tragödien, die mit deinem Land verbunden sind. Deshalb haben die Anschläge in Paris mein Umfeld so erschüttert. Das war die Musikwelt. Das war, wo wir unterwegs sind.

I: Eigentlich meinte ich in erster Linie nicht wirklich, ob ihr Angst habt wieder dort aufzutreten. Viel mehr kann ich mir vorstellen, dass man, wenn man ein Konzert in dieser Location spielt, all die schrecklichen Bilder in den Kopf kommen.

C: Ich weiss genau was du meinst und ich frage mich gerade, warum ich noch nie daran gedacht habe. Vielleicht ist das engstirnig. Gewalt ist einfach überall. Die ganze Welt ist furchteinflössend und es ist beängstigend am Leben zu sein. Aber das sind Dinge, die ich gar nicht sagen will. Ich bin in meinem Leben so privilegiert. Ich lebe im Westen und in Ländern wie Frankreich oder jetzt in England. Ich komme aus New York. Es gibt also drei Länder, die sich für mich wie zuhause anfühlen. Neben den Vorkommnissen in Paris, dem 11. September und dass Amerika im Vietnamkrieg war, als ich aufgewachsen bin, gab es noch den Golfkrieg und den in Afghanistan. Aber ich selber war in meinem Leben immer sehr sicher. Ich denke auch, dass der «Le Bataclan» momentan einer der sichersten Orte der Welt ist. Nach dem Anschlag in Belgien haben wir einen Monat später ein Konzert in Brüssel gespielt und dort hatte es zwei Wachen mit Maschinengewehren.

I: Ich verstehe ja, dass es momentan mehr Sicherheitspersonal braucht, aber irgendwie ist es auch verrückt. Genau wie die Einstellung von Jesse Hughes von den Eagles of Death Metal, welcher der Meinung ist, dass alle an einem Konzert eine Waffe tragen sollten, um im Falle eines Terroranschlages andere Menschen beschützen zu können. Das ist doch wirklich dumm.

C: Natürlich stimme ich mit ihm auch überhaupt nicht überein. Das ist schrecklich.

I: Wann war euer nächstes Konzert nach den Anschlägen in Paris?

C: Wir spielten an diesem Abend ein Konzert in Washington D.C. Wir haben davon direkt bevor wir auf die Bühne gingen erfahren. Dann ist etwas interessantes passiert. Ich habe auf unsere Facebook-Seite etwas zu Paris gepostet. Wir sind keine grosse Band, aber auf unserer Seite sind ungefähr 170’000 Menschen, die das vielleicht hätten lesen können. Jemand hat mich dann gefragt, warum ich nichts über Syrien geschrieben hätte, denn dort war auch gerade ein Anschlag verübt worden. Danach sind wir in Washington auf die Bühne gegangen und es hat sich aus irgendeinem Grund nicht wirklich komisch oder speziell intensiv angefühlt. Dieser Akt der Gewalt hat zwar an einem Konzert stattgefunden, aber das ändert nicht das Gefühl von einem normalen Konzert. Wenn du in ein Flugzeug steigst, ändert sich dieses Gefühl auch nicht, weil ein Flugzeug abgestürzt ist. Auf jeden Fall ist das bei mir so.

I: Reden wir mal über euern Support Act. Sucht ihr den jeweils für die ganze Tour oder nur für einzelne Konzerte aus?

C: Farewell Dear Ghost begleiten uns nur bei den Konzerten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien. Ich mag sie wirklich, sie sind grossartig.

I: Ich habe manchmal das Gefühl, dass Support-Acts bei kleineren Konzerten viel besser rüberkommen, als wenn sie die Möglichkeit haben vor einer berühmten Band in einer riesigen Arena aufzutreten. Was ist deine Erfahrung damit?

C: Bei grossen Shows nehmen sie ihnen Kraft weg. Das mag ich auch nicht. Wir hatten einige Male den Fall, bei dem die Band, die für uns eröffnet hat, besser oder kraftvoller war als wir. Ich hab mich daran nicht wirklich gestört. Einmal waren «The Secret Machines» Vorband von uns. Sie sind eine New Yorker Band die eine Art Krautrock spielt. Sie waren einfach unglaublich kraftvoll. Sie spielten richtig hypnotischen Rock und performten nur drei Stücke, von denen aber jedes zehn Minuten dauerte. Als wir dann spielten, merkte man, dass das Publikum beinahe das Gefühl hatte: «Eigentlich können wir jetzt nachhause gehen». Sie haben die Zuschauer in positiver Weise fertig gemacht.

I: Habt ihr irgendwelche Backstage-Geschichten?

C: Lass mich nachdenken. Es ist eigentlich dasselbe wie die Partygeschichten von jedermann. Abgesehen davon, dass der Backstage manchmal zum Partyraum wird, ist es dort normalerweise nicht so interessant. Es ist einfach der Raum, in dem du dich vorbereitest, vor deinem Computer sitzt oder deine Stimme aufwärmst.

I: Und meistens sind die Räume auch nicht wirklich schön, oder?

C: Es kommt drauf an. Meistens nicht. Aber es gibt einen Club in Philadelphia. Dort haben wir im Keller einer Kirche gespielt und die Kirche selber war der Backstage. Da bist du also in dieser Kirche und trinkst Bier und es gibt natürlich genügend Platz zum sitzen. Einmal habe ich sogar auf einer Kirchenbank geschlafen. Ein Freund von mir hat eine Aufnahme in einer Kirche gemacht und ich habe ihn besucht. Während sie in der Mitte der Nacht aufnahmen, habe ich auf der Bank geschlafen. Aber am verrücktesten sind eigentlich immer die Konzerte selbst. Es ist so eine schräge Erfahrung, aber eine grossartige. Wenn du vor vielen Menschen stehst und die deine Songs singen, ist das einfach verrückt. Ich meine damit nicht, dass ich mich dann fühle, als wäre ich der Grösste. Aber wenn es Leute inspiriert, fühlt sich das einfach toll an. Ich fühle mich nützlich, wenn ich jemanden glücklich machen kann.

I: Du bist als freundlicher Mensch bekannt. Es gibt weltberühmte Bands, die zwar eine riesige Fangemeinschaft haben, die schreit und jedes ihrer Lieder mitsingt, aber sie haben doch eine grosse Distanz zur Band und keine wirkliche Verbindung. Vielleicht fühlt es sich für sie anders an.

C: Ja, vielleicht. Auf Tour sein ist für viele hart. Für mich ist es auch schwierig, weg von meinem Sohn zu sein. Ich bin allein erziehender Vater, aber ich bin jetzt verlobt, also ist es auch nicht leicht von meiner Verlobten getrennt zu sein. Abgesehen davon liebe ich dieses Gefühl. Wenn ich nicht die Verbindung zum Publikum hätte oder mit den Leuten nach dem Konzert sprechen könnte, wäre das Tourleben viel einsamer. Natürlich wäre es toll als Band richtig bekannt zu sein und viel Geld zu verdienen. Nicht, dass ich mir wahnsinnig viel aus materiellen Dingen machen würde, aber es ist schön ein Haus zu besitzen und nicht über Geld nachdenken zu müssen. Ich bin nicht mal im Nähe dieses Zustandes. Es könnte noch kommen, aber ich weiss nicht, was es brauchen würde.

I: Du machst ja schon so lange Musik, dass du mit dem Erfolg bestimmt umgehen könntest. Wenn jüngere Bands plötzlich erfolgreich werden, wissen sie vielleicht manchmal nicht, wie sie damit umgehen können.

C: Oh, mein Charakter würde sich nie verändern. Ich bin gefestigt und weiss, wer ich bin. Das passt schon. Wenn du jünger bist, kann sich sogar noch dein Akzent verändern. Wenn du im Alter von 15 Jahren von Amerika nach England umziehst klingst du vielleicht bald Britisch. Ich bin Amerikaner und mit 44 Jahren nach England gezogen. Jetzt bin ich 48 und da passiert gar nichts mehr. Mein Vater ist Engländer und sein Akzent hat sich ein bisschen verändert. Er wurde nicht Amerikanisch, aber ganz Britisch ist er auch nicht mehr. Er war 21 als er umgezogen ist.

I: Warum ist er denn ausgewandert?

C: Interessante Geschichte. Mein Vater wurde in einer fundamentalistischen christlichen Sekte geboren. Einige Jahre nachdem er gegangen war wurde daraus ein Kult. Er wurde 1931 geboren. Als er aufwuchs wurde London im Jahre 1940 bombardiert. Damals während dem Blitzkrieg war er neun Jahre alt. Sie gingen nicht in Schutzräume. Als London bombardiert wurde, ging die ganze Bevölkerung in den Untergrund, aber seine Familie blieb oben. Sie dachten, wenn das Gottes Willen ist… Das ist beängstigend. Er durfte auch kein Radio hören oder Zeitung lesen. Es war die Art von Religion, welche die moderne welt für böse hält. Und die Religion war jung genug, dass die Menschen, die das sagen hatten komplett durchgeknallt waren.

I: Wie kam er denn davon?

C: Er hat ein Stipendium bekommen um gratis in Yale zu studieren. Und sie haben ihn gehen lassen. Am Tag seiner Abreise sagte er auch, dass er den Glauben verlassen werde. Sie waren sehr erbost. Sie sprachen jedoch noch mit ihm, wenn er sie besuchen ging. Er verliess das Land im Jahre 1955. Aber 1962 veränderte sich etwas. Es war die Zeit als sie die Sekte in einen Kult umwandelten. Die verantwortliche Person sagte, dass sie nicht mehr mit Leuten ausserhalb ihrer Kreise kommunizieren dürften. Das heisst ab 1962 hat er seine Eltern nie mehr gesehen und ich habe meine Grosseltern nie kennengelernt. Mir war es nicht erlaubt sie zu treffen, weil ich der Sohn eines gefallenen Sohnes war. Wir haben einen Song auf unserem neuen Album, bei dem es um dieses Thema geht. Er heisst «New Bird». Diese Religion nannte sich «The Plymouth Brethren». Das heisst Brüder. So hiessen sie, als mein Vater geboren wurde. Im Jahre 1962 wurde der Zweig zu dem seine Eltern gehörte zu «The Exclusive Brethren». Sie waren also exklusiv und schlossen alle anderen aus. Wieso erzähle ich davon? Ach ja, deshalb ist er ausgewandert. Er ging um wegzukommen. Sehr tapfer und sehr traurig. Traurig, weil er seine Wurzeln und seine Familie verloren hat. Das ist verrückt.

Oh my family split in two
When my dad after the war
Said he didn’t worship with his parents anymore

He kept flying back from school
Still trying to be a decent son
But when he knocked on their front door, they wouldn’t comeNew Bird von Nada Surf

Das Abendessen mit Matthew dauerte etwas länger, als das Interview eigentlich hätte dauern sollen. Deshalb habe ich auch den gesamten Auftritt der Vorband verpasst. Aber es hat sich definitiv gelohnt. Den Bericht zum Nada Surf Konzert findet ihr hier.