Hecht im Interview:
«Adam+Eva»-Clubtour im Salzhaus Winterthur

In Interviews by indiespect

Vor ihrem ausverkauften Konzert anlässlich der «Adam+Eva»-Clubtour im Salzhaus Winterthur, konnte ich Sänger Stefan Buck und Bassist Philipp Morscher von Hecht zum Interview treffen. Die sympathischen Jungs erzählten mir von den Anfängen der Band und ihrem verrückten Bandjahr.

Indiespect: Stefan, im September letzten Jahres hast du im Interview mit 20 Minuten folgendes gesagt: «Ich habe ein recht klares Ziel vor Augen: Wenn eine Schweizer Band in den grössten Städten ausverkaufte Club-Shows spielen kann, dann bist du im Nirvana angelangt. Und dann natürlich noch die grossen Festivals.» Das habt ihr mit eurer ausverkauften Clubtour ziemlich schnell erreicht. Was ist euer nächstes Ziel?

Stefan Buck: (lacht) Wir sind effektiv dort angekommen, wo wir immer hin wollten. Wir können in den grösseren Clubs der Schweiz spielen und sie sind sogar ausverkauft. Jetzt ist das Ziel, dass wir das so halten können und dass wir sogar noch mehr Club- oder Festival-Konzerte spielen dürfen.

Indiespect: Ihr seid neben der Musik alle noch berufstätig. Wie wollt ihr das unter einen Hut bringen, wenn der Erfolg von Hecht noch grösser wird?

Stefan: Wir haben uns geschworen, dass wir die Probleme immer erst dann versuchen zu lösen, wenn sie da sind. Es bringt einfach nichts, noch weiter nach vorne zu schauen. Wir hätten nie gedacht, dass es überhaupt so weit kommt. Jetzt schauen wir einfach Schritt für Schritt, wie sich die Musik mit dem Beruf vereinbaren lässt. Aber es ist sicher etwas anstrengender geworden.

Indiespect: Welche Jobs übt ihr neben der Band eigentlich aus?

Stefan: Ich bin in der Finanzbranche tätig, in einer Fintech-Firma (Abkürzung für «Financial Technology» Anm. Indiespect).

Philipp Morscher: Ich bin Lehrer.

Indiespect: Bei Daniel Gisler, eurem Mann an den Tasten, weiss ich, dass er in gefühlt 100 Bands spielt…

Stefan: Genau, gefühlt ist er in etwa 300 Bands. Aber auch er hat noch einen bürgerlichen Job.

Philipp: Er ist Geograf.

Indiespect: Nicht nur eure Konzerte sind ausverkauft. Auch eure Videos haben auf YouTube extrem hohe Klickzahlen, einige über 600’000. Davon können andere Schweizer Künstler nur träumen. Liegt das einfach an der Kreativität eurer Clips?

Stefan: Ich glaube es gibt zwei Gründe. Wir haben eine ganz klare Vision. Jeder Song, den wir auskoppeln, muss ein Video haben. Denn auf YouTube wird auch Musik konsumiert. Sehr viele Leute gehen nicht auf iTunes oder Spotify, sondern sie hören Musik auf YouTube. Also als erstes muss die Musik einfach dort zu finden sein. Als zweites ist es natürlich schon so, dass wir alle unsere Videos selber machen. Wir konzipieren und schneiden sie komplett. Ich glaube die Leute spüren auch, dass es von uns selber kommt und nicht irgendeine Firma angestellt wurde, um uns ein geiles Video zu machen.

Philipp: Aber die 600’000 Klicks bedeuten nicht, dass sich so oft jemand vor den Computer gesetzt hat und sich das Video gegeben hat. Wenn ein Song Erfolg hat, dann nimmt ihn jeder in seine Playlist und hört diese wie eine Playlist auf Spotify. Von dort kommen auch die vielen Klicks. Aber vor allem ganz am Anfang hat uns das extrem geholfen. Ah, Hecht. Ihr seid doch die mit diesem Video.

Indiespect: Apropos selber schneiden. Wie viele Versuche habt ihr beim Video zu «Brissago» gebraucht, um ohne einen einzigen Schnitt durchzukommen?

Stefan: Wir haben es etwa fünf Mal gemacht. Einige Takes brauchte es also schon.

Philipp: Schlussendlich war es nicht so viel. Wir hatten aber natürlich extrem lange Vorbereitungszeiten. Wir übten den ganzen Ablauf etwa dreimal und haben uns dabei Markierungen gesetzt. Am Schluss brauchten wir die nicht mehr. Aber so konnten wir sicher sein, dass alles so klappte, wie geplant.

Indiespect: Hat man bei einem solchen Dreh nicht immer Angst, es in der Mitte des Songs plötzlich zu verbocken?

Stefan: Doch, sicher. Aber das ist einfach die Art, wie wir es machen. Wir sterben zwar immer fast dabei und fragen uns, wieso wir das eigentlich gerade tun, aber schlussendlich haben wir einfach Spass. Wir wollen musikalisch, aber auch videotechnisch Sachen machen, die wir selber gerne konsumieren würden. Das ist unser Anspruch und deswegen machen wir auch solche Sachen.

Das Video zu «Brissago» kommt ohne einen einzigen Schnitt aus.

Indiespect: Erleichtert die finanzielle Unabhängigkeit, die ihr euren Jobs verdankt, die kreative Arbeit von Hecht?

Philipp: Einerseits ist es natürlich auch ein Hindernis. Alles würde schneller gehen, wenn wir nicht noch die ganze Zeit nebenbei arbeiten müssten.

Stefan: Aber wir müssen nicht unbedingt darauf achten, dass es grundsätzlich einer breiten Masse gefällt. Das ist uns wie scheissegal. Wir müssen nicht am Tag 1 Geld verdienen. Ob wir arbeiten oder nicht, schmälert jedoch unseren Anspruch an die Musik und Videos nicht. Es ist einfach ein grösserer Stress für uns, weil wir nicht so viel Zeit haben. Wir können ziemlich effizient sein. Das zeichnet für mich Hecht auch etwas aus. Wenn wir zusammen sitzen und ein Thema diskutieren, wie zum Bespiel: «Wie machen wir dieses Brissago-Video?», dann gibt es einen Moment, in dem wir zusammen eine Idee entwickeln. Wir können nach einer Diskussion ziemlich gut zum Schluss kommen: «So machen wir’s». Das ist nicht selbstverständlich, dass sich Leute gegenseitig inspirieren. Be anderen klemmt es da manchmal etwas.

Philipp: Sei es in der Musik, bei Videos oder Grafiken, wir haben einen guten Weg gefunden, uns ehrlich alles sagen zu können. Alles was von einem von uns kommt, wird zuerst einmal von den anderen abgelehnt. Aber genau das ist ein wirklich wichtiger Prozess. Dann bist du gezwungen, etwas noch besseres zu bringen. Das wiederum beflügelt die anderen und jeder gibt etwas dazu. Bei dem, was am Schluss dabei rauskommt, hat dann jeder seinen Teil dazu beigetragen.

Indiespect: So kann sich auch jeder mit der Musik identifizieren. Anders als bei Bands, bei denen einer die ganzen Songs alleine schreibt.

Stefan: Wenn man in die Musiklandschaft schaut, dann gibt es das wirklich fast nicht mehr. Einfach eine Band, die auch als solche wahrgenommen wird. Wir wollen nicht einen Frontmann haben, der seine Band dabei hat. Ich selber als Konsument, schaue mir auch am liebsten eine Band an, bei der alle zusammen an einem Strang ziehen und nicht einfach jeder 400.– bekommt, um die Songs eines einzelnen zu spielen.

Indiespect: Wie funktioniert denn das Songwriting bei euch?

Stefan: Wir haben verschiedenen Herangehensweisen. Es gibt Songs, die ich alleine schreibe. Bei anderen machen wir das musikalische mit der Band und ich schreibe einen Text dazu. Wenn wir im Studio sind, spielt ja sowieso die ganze Band einen Song. Dort passiert noch einmal ziemlich viel. Da ist auf einer Seite das Songwriting und auf der anderen die Umsetzung.

Indiespect: Im Studio verändern sich eure Songs noch einmal richtig?

(Stefan lacht nur)

Philipp: Je besser ein Song ist, desto weniger wird noch verändert. Aber es gibt solche, da ist nach dem Studio etwas ganz anderes rausgekommen.

Stefan: Wir werden einfach nie sagen, bei welchen Songs es ein «Chnorz» gewesen ist und bei welchen nicht. Als Band willst du ja, dass alle so daher kommen, als seien sie aus der Hüfte geschossen worden. Wir hören auch nicht auf, bevor es so klingt. Aber natürlich kommt nicht alles sofort so raus. (lacht)

Indiespect: Ihr habt aber kein Testpublikum, dem ihr die Songs zuerst zeigt?

Stefan: Wir haben schon ein Umfeld, dem wir unsere Sachen zeigen.

Philipp: Es ist aber auch nicht immer zuverlässig. Jeder hat eine komplett andere Meinung. Mein Testpublikum hat definitiv nicht die gleichen Songs gemocht, die danach am erfolgreichsten gewesen sind.

Indiespect: In zwei Wochen, am 25. November, habt ihr den offiziellen «Adam+Eva»-Tourabschluss in der Härterei in Zürich. Habt ihr dafür etwas spezielles geplant?

Stefan: Das Set ist recht speziell. Wir spielen viele Songs, die wir auf der ganzen Tour nie gespielt haben. Und natürlich ist auch speziell, dass wir nachher eine grosse Party machen und auf ein crazy Jahr anstossen. Anfang des Jahres haben wir in kleinen Clubs gespielt. Es sind zwar immer ziemlich viele Leute gekommen und die kleinen Clubs waren ausverkauft. Danach kamen die Festivals und alles hat eine verrückte Dynamik angenommen. Als wir diese Abschluss-Konzerte angesagt haben, war uns das noch gar nicht richtig bewusst. Dann waren sie innerhalb von drei bis vier Wochen ausverkauft. Da wussten wir: Jetzt ist es wirklich angekommen. Die Leute gehen nicht einfach ans Festival und sehen uns dort, sondern sie kaufen danach Tickets und kommen für uns alleine. Das ist für uns wie Weihnachten.

Indiespect: Der grossen Nachfrage kommt ihr jetzt ja noch mit drei Zusatzshows im neuen Jahr nach.

Stefan: Genau. Wir machen jetzt diese Abschluss-Tour und spielen Anfang des nächsten Jahres noch drei zusätzliche Shows.

Philipp: Wir wurden quasi überrannt, von Anfragen trauriger Menschen, die keine Tickets erhalten haben. Natürlich ist es auch immer ein Risiko Man weiss nie, ob die Nachfrage noch einmal reicht, um genügend Tickets für die zusätzlichen Konzerte zu verkaufen. Aber momentan sieht es sehr gut aus.

Alle die für die November-Tour keine Tickets mehr ergattern konnten, kriegen im März noch einmal eine Chance.

Tickets kaufen

Stefan: Das ist bei uns wirklich nicht einfach ein Pressetext und auch keine Plattitüde: Es ist einfach wirklich das, was wir am liebsten machen. Ein Bier trinken, uns auf die Show vorbereiten, auf die Bühne gehen und nach dem Konzert zwei Gin Tonics trinken. Das ist wirklich nicht gespielt. Und wenn wir davon mehr kriegen können, dann bekommen wir automatisch mehr Energie für alles andere. Dass wir es auf diesem Level machen können, ist für uns mega mega geil. Aber die Wahrheit ist, wir würden es auch machen, wenn es nicht so erfolgreich wäre. Dass Leute im Festivalsommer unsere Konzerte sehen – wie zum Beispiel am Stars in Town in Schaffhausen – und danach ein Ticket für unser Tour kaufen, ist für uns mehr wert als die Nummer 1 bei den Albumverkäufen zu sein.

Indiespect: Junge Bands haben zum Teil Mühe Orte zu finden an denen sie spielen können. Man hört manchmal ja sogar den Begriff «pay for play». Also, dass Bands bezahlen müssen, um auftreten zu können. Kennt ihr das?

Stefan: Das gibt es in der Schweiz aber praktisch nicht. Es ist ein grosses Privileg in der Schweiz spielen zu können. Als kleine Band bekommst du zwar keine riesige Gage, aber du hast extrem viele Möglichkeiten aufzutreten. Meistens wirst du auch fair behandelt. Die Band kann gratis trinken, es gibt meistens noch ein Nachtessen und eine kleine Gage. Es ist nicht wie in England oder den USA, wo du zum Teil tatsächlich bezahlen musst und einen verfaulten Apfel im Backstage hast.

Indiespect: Dann ist es fast wie Ausgang mit Freunden und ein paar Frei-Drinks?

Philipp: Ja, so ziemlich. Wir sind beste Freunde und haben ein tolles Hobby zusammen. Wenn einem dann noch ein paar Leute zujubeln, während du das machst, was du am liebsten machst – etwas besseres gibt es nicht.

Indiespect: Ihr habt unter dem Namen «Seng» als Indie-Band mit englischen Texten angefangen. Was hat den Ausschlag gegeben, dass ihr zur Mundart gewechselt habt?

Stefan: Das ist extrem von mir aus gekommen. Ich arbeitete für eine englische Firma und war in England. Durch den täglichen Gebrauch wurde mein Englisch natürlich immer besser. Damals habe ich realisiert, wie komisch es eigentlich ist, auf Englisch zu singen. Wenn du in ein Pub gehst und ein Song kommt, dann singen die Leute den von A bis Z. Du singst auch mit, aber hast oft keine Ahnung, was du überhaupt singst. Du hast die Songs in einer Zeit kennengelernt, in der du noch gar nichts verstanden hast. Ich fand es plötzlich völlig absurd in der Schweiz eine Geschichte in dieser Sprache zu erzählen und kein Schwein versteht mich. Die einzige konsequente Lösung war für mich damals, in meiner Muttersprache anfangen zu singen. Es gibt ganz wenige Künstler in der Schweiz, die in der Lage sind, auf Englisch ihre Emotionen zu transportieren. Ich war mir bewusst, dass ich das nicht kann. Also habe ich einen englischen Song genommen und den Gesang gelöscht. Danach habe ich in Mundart den Text eingesungen und den Bandkollegen geschickt. Ich habe sie gefragt: «Jungs, was denkt ihr?» Natürlich war die erste Reaktion Verwirrung. Dann haben wir es aber trotzdem umgesetzt. Es war plötzlich klar, dass es das ist, was wir machen möchten. Der Song heisst «Tänzer». Es ist der erste den wir überhaupt gemacht haben. An einem Konzert hast du damit plötzlich die Möglichkeit einen Song zu singen und wenn er fertig ist, kannst du in der gleichen Sprache weitersprechen.
Es gibt nichts schrägeres, als in einer anderen Sprache vor einem Schweizer Publikum zu singen. Du singst in einer fremden Sprache und sagst aber: «Hey, grüezi mitenand. Ich hoffe ihr hends guet.» Danach singst du wieder auf Englisch. Durch die Entscheidung auf Schweizerdeutsch zu singen, wurden die Texte natürlich viel entscheidender. Ein Titel wie «I Want To Hold Your Hand» von den Beatles wird in unsere Sprache übersetzt, fast etwas zu plump. Das heisst, man muss mehr in die Texte investieren, dafür ist man näher bei den Leuten.

Indiespect: Damals habt ihr aber noch zu dritt angefangen, stimmt das?

Stefan: Philipp war beim ersten Konzert bereits dabei. Wir haben alles zuerst zu dritt gemacht, danach aber Leute gesucht, um es überhaupt umsetzen zu können. Wir haben vielleicht zehn Minuten gebraucht, um zu merken: «Doch, der Phil könnte noch zu uns passen.» Es war einfach ein Riesenglück. Das sage ich wirklich gerne. Dass wir uns alle gefunden haben, ist der Grund, weshalb wir überhaupt hier sind. Wir mussten nie jemanden austauschen, weil er nicht zu uns gepasst hat.

Philipp: Ich war drei Jahre in Hamburg. Damals habe ich von Chrigu, dem Gitarristen, ein Mail erhalten. Er hat geschrieben, dass sie so Mundartrock machen …

(Stefan lacht laut dazwischen.)

Philipp: … und ob ich nicht Lust hätte mitzumachen. Er hat mir 1-2 Lieder geschickt. Ich hab sie mir angehört und konnte es mir noch nicht so richtig vorstellen. Wir haben uns einfach auf ein Bier getroffen und danach wusste ich: «Okay, das machen wir!» Wenn es in die Hosen geht, hatten wir immerhin eine richtig tolle Zeit.

Hecht in voller Pracht.

Philipp Morscher: Bass
Christoph Schröter: Gitarre
Chris Filter: Schlagzeug
Stefan Buck: Gesang, Gitarre
Daniel Gisler: Tasten

Der Bericht zum Konzert im Salzhaus folgt in Kürze. Selten war der Winterthurer Club so aus allen Nähten geplatzt, wie an diesem Abend. Wenn ihr Hecht im nächsten März sehen möchte, lohnt es sich also rasch Tickets zu besorgen – bevor auch die Zusatzshows wieder ausverkauft sind. Vielen Dank an Stefan und Philipp für das nette Gespräch.


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