Vor ihrem Konzert am 4. März im Zürcher Volkshaus hatte ich die Möglichkeit mit John Engelbert und Oskar Bonde von Johnossi über ihr neues Album «Blood Jungle» und das Tourleben zu sprechen. Den Bericht zu ihrem grossartigen Auftritt später am Abend findet ihr hier.
Indiespect: Wie geht es euch?
Oskar «Ossi» Bonde: Jetzt geht es mir gut. Ich habe beinahe den ganzen Tag geschlafen. Gestern ging ich ein bisschen zu spät ins Bett. Aber zum Glück kann ich am Tag schlafen.
Indiespect: Also warst du heute gar nie draussen?
Ossi: Naja, hast du den Bus draussen gesehen? Ich bin die zwei Meter vom Bus hier rein gelaufen.
Indiespect: Hatte das etwas mit eurer gestrigen Show in München zu tun?
Ossi: Ja, es war ein fantastisches Konzert. Es war unsere dritte Show auf dieser Tour, heute ist die vierte. Es braucht immer eine Weile, bis man den Rhythmus findet. Man findet nach und nach heraus, was man machen sollte und was nicht. Ich denke heute werde ich etwas früher ins Bett gehen.
Indiespect: Aber für euch spielt es keine Rolle, ob Wochenende ist oder nicht?
John Engelbert: Nein, das spielt keine Rolle.
Ossi: Eigentlich überhaupt nicht. Wir haben unser eigenes kleines Universum was Wochentage angeht.
Indiespect: Aber merkt ihr beim Publikum einen Unterschied?
Ossi: Manchmal, ja.
John: Aber nicht generell, würde ich sagen.
Ossi: Manchmal braucht es einfach etwas mehr Einsatz um sie in Fahrt zu bringen.
John: Zumindest sonntags oder montags. Nach den Konzerten ist es an diesen Abenden sofort immer komplett leer, weil alle direkt nach der Show nachhause gehen.
Ossi: Als Besucher ist es schwieriger sich an einem Sonntag zu motivieren. Ich denke du bist glücklich, wenn du erst mal vor Ort bist, aber du denkst auch die ganze Zeit daran, dass du ins Bett musst.
John: Wenn du am Freitag ein Konzert hast, auf das du dich wirklich freust, kannst du bereits am Mittwoch damit beginnen, dich darauf vorzubereiten. Am Freitag gehen wir dort essen, danach gehen wir etwas trinken und nach dem Konzert machen wir dies und das. Du bist einfach in einer anderen Gemütslage.
Ossi: Für uns macht es keinen Unterschied. Wir erwarten genau dasselbe von einem Sonntags- wie von einem Freitags-Publikum. Das ist eigentlich eine gute Sache. Wir versuchen immer das Publikum in die richtige Stimmung zu bringen.
Indiespect: Eure Freunde von Shout Out Louds haben bei einem Konzert in Zürich einmal gesagt, dass in Schweden an einem Montag keiner aufkreuzen würde.
Ossi: Naja, das ist jetzt vielleicht etwas hart ausgedrückt…
John: Vielleicht nicht um Shout Out Louds zu sehen. Für Johnossi würden sie aber bestimmt kommen.
– Ossi lacht inbrünstig. –
Ossi: Vielleicht haben sie auch recht. Wenn wir in Schweden auf Tour sind, spielen wir meist von Donnerstag bis Sonntag. Vielleicht noch am Mittwoch. Montags spielen wir eigentlich fast nie.
John: Aber auf dieser Tour werden wir an einem Montag in Stockholm spielen. Weil der Ort, an welchem wir auftreten wollen, nur montags verfügbar ist. Es ist ein grosses Theater und dort werden von Mittwoch bis Sonntag immer Musicals aufgeführt. Jetzt spielen sie gerade das ganze Jahr «Das Phantom der Oper». Wenn du also dort spielen möchtest, musst du es an einem Montag tun.
Indiespect: Euer aktuelles Album «Blood Jungle» ist…
John: …sehr gut, danke!
Indiespect: Ja! Es ist wieder ein Schritt vorwärts.
Ossi: Das sehen wir auch so.
Indiespect: Es ist das erste Album, welches ihr weltweit veröffentlicht. Stimmt das?
Ossi: Hmm…
John: Hmm… Ich glaube, ja. Aber nur etwas in einem Land rauszubringen, heisst heutzutage gar nichts mehr. Wir leben in einer vernetzten Welt, in der nichts mehr getrennt ist. Zumindest nicht, wenn es um Kultur oder Kunst geht. Alles ist im Internet verfügbar. Aber was es heisst, etwas weltweit zu veröffentlichen ist, dass du in jedem Land Menschen hast, die für deine Band arbeiten. Darum geht es bei einem richtigen Release. Ich glaube zwar nicht, dass wir in jedem Land Leute haben, die für uns arbeiten, aber die Messlatte ist dieses Mal sicher höher gesetzt. Auch von unserer Plattenfirma. Für uns spielt es keine Rolle. Wir geben immer unser Maximum, egal was wir machen. Wir erobern die Welt jede Nacht. Das ist unser Ziel.
Ossi: Aber wir werden wahrscheinlich einige neue Länder mit diesem Album bespielen.
Indiespect: Wisst ihr schon welche das sein werden?
John: Wir werden sicher versuchen, mehr Zeit in den UK und in Amerika zu verbringen. Den beiden wichtigsten Musikmärkten.
Ossi: Wahrscheinlich sind wir mit diesem Album drei Jahre auf Tour. Natürlich haben wir noch nicht alle Daten. Wir wissen nicht mal genau, wann wir diesen Sommer spielen werden.
Indiespect: «Blood Jungle» beinhaltet mit Bläsern, Chören und vielem anderem ganz neue Elemente. Wann entscheidet ihr im Schreibprozess, welche Instrumente ein Song braucht?
John: Das variiert völlig. Die beste Idee gewinnt. Als wir einen Song für dieses Album schrieben, legten wir extrem wert darauf, uns selber keine Grenzen zu setzen. Jedes Instrument war erlaubt, solange es den Song besser machte. Wir haben verschiedenste Dinge getestet. Manche sind hängen geblieben und dann haben wir sie weiterverfolgt. Manchmal war das ganz am Anfang des Songwriting-Prozesses und manchmal ganz am Ende der Produktion eines Songs. Das variiert von Lied zu Lied.
Indiespect: Wie war es denn beispielsweise bei «Air Is Free?»
John: Dort war uns die Idee mit den Bläsern ziemlich früh gekommen.
Ossi: Wir haben uns entschieden, fast keine Zeit im Proberaum zu verbringen. Normalerweise sitzen wir immer an unseren Instrumenten, spielen und arrangieren. Dieses Mal waren wir fast nur in unseren Heim-Studios und haben uns gegenseitig Dateien hin und her geschickt. Die meisten Titel sind so entstanden. Das ist komplett unüblich für uns.
Indiespect: Wie war es denn danach, als ihr die einzelnen Songs für die Konzerte üben musstet?
Ossi: (lacht) Das ist eine gute Frage. Wir waren ziemlich nervös, denn wir spielten die meisten Stücke zum ersten Mal. Natürlich haben wir sie im Studio eingespielt und alles wurde richtig aufgenommen. Aber wir hatten noch nie einen Track mit allen Elementen und dem richtigen Arrangement gespielt, bevor wir mit dem Proben begannen. Wir waren wirklich wieder wie: «Okay, 1, 2, 3, 4». Aber es kam alles gut raus. Wir haben uns vermutlich umsonst Sorgen gemacht. Wir entwickeln immer eine spezielle Live-Version. Wir nehmen einige Elemente von der Album-Version, um die Seele des Songs zu kriegen. Danach wird er durch die Live-Energie zu etwas anderem. Er bekommt so einen anderen Vibe.
Indiespect: Auf Tour habt ihr keine Bläser mit dabei, oder?
John: Nein, das haben wir nicht. Wir haben darüber nachgedacht, ob wir zusätzliche Musiker mitnehmen sollten. Aber wir konnten uns mit der Idee nicht anfreunden, dass drei Menschen kommen und vielleicht zwei Songs spielen. So wie wir es jetzt machen, dass jedes Blasintrument auf einem Keyboard ist, klingt es besser und für uns ist es einfacher.
Ossi: Es ist mehr unser Stil, es so zu machen. Wir haben Mattias (Franzén) in unser Live-Set aufgenommen. Er ist unser Pianist. Für uns war es ein grosser Spass. So konnten wir die kleinen Elemente hinzufügen, die wir auf der Bühne immer vermisst hatten. Manchmal spielen John und ich aber auch jetzt noch alleine. Aber unter anderem wegen den Bläser-Parts haben wir ihn mit dabei. Wir müssen so auch kein Streicher-Quartett organisieren, wenn wir Streicher in einem Song haben möchten.
Indiespect: Er ist also quasi euer ganzes Orchester.
Ossi: So ziemlich. Er ist extrem talentiert und er hat ein gutes Gespür, was er in die Musik einbringen soll und was nicht. Es ist perfekt ausbalanciert. John und ich sind noch immer vorne. Wenn wir die Energie liefern, bringt er die Schönheit auf die Bühne, würde ich sagen.
Indiespect: Ossi, Ich habe dich kürzlich auf dem Instagram-Account von Shout Out Louds gesehen. Sie arbeiten derzeit ja auch an einem neuen Album. Wirst du darauf Schlagzeug spielen?
Ossi: Nein, werde ich nicht. Es wäre sicherlich ein Spass, aber ich kam nur bei ihrem Proberaum vorbei, um mir einen Becken-Ständer auszuleihen. Ich ging rein, um hallo zu sagen und Adam (der Sänger von Shout Out Louds) meinte direkt: «Wir haben keinen Drummer für die heutigen Proben». Also spielte ich einige Songs mit ihnen.
John: Ah echt!
Indiespect: Im April findet das 10-jährige Jubiläum vom Record Store Day statt. Bedeutet euch dieser Tag etwas?
John: Mir und Ossi bedeutet er persönlich nichts, aber in Stockholm ist das auch eine grosse Sache.
Indiespect: Also plant ihr keine spezielle Veröffentlichung für diesen Anlass?
John: Nein, nicht an diesem spezifischen Datum. Wir könnten und würden. Es ist eine schöne Sache, aber wir haben nicht wirklich eine Verbindung dazu. Weder ich noch Ossi sind Musik-Sammler. Wir kaufen nicht einmal Vinyl, auch wenn wir es mögen.
Indiespect: Seid ihr also mehr der Streaming-Typ?
John: Ja, ich glaube schon.
Indiespect: Das ist ziemlich speziell für Musiker wie euch.
John: Ich bin kein Musik-Nerd. Aber ich liebe die Musik und sie ist ein grosser Teil meines Lebens.
Ossi: Ich würde gerne den Zugang dazu finden. Ich denke, es wäre ein schönes Hobby. Aber ich habe nicht einmal einen CD-Player oder einen Platten-Spieler zuhause.
Indiespect: Wenn wir ehrlich sind, kaufen die meisten das Vinyl ja auch nur, um es zu besitzen und hören die Lieder dann doch digital.
John: Und das ist völlig okay. Heutzutage ist es cool Vinyl zu kaufen und einfach nur die Lyrics darin zu lesen. Es ist ein schönes Kunstwerk. Wenn du eine Band wirklich magst, ist es auch interessant zu sehen, wie sie sich mit diesem Medium präsentieren.
Indiespect: Ich habe mal gelesen, dass du all deine Melodie-Ideen auf dein Handy aufnimmst. Und du sagtest, dass du manchmal Melodien entwickelst, welche du nicht für Johnossi verwenden möchtest. Hast du schon einmal für andere Künstler geschrieben?
John: Ja, das habe ich. Die meisten Melodien, die ich aufnehme, enden nirgends, weil sie einfach nicht gut genug sind. Wenn ich finde etwas ist spannend, passt es manchmal für Johnossi. Wenn es nicht zu uns passt, denke ich, es wäre eine Verschwendung es wegzuwerfen, nur weil es nicht Johnossi-Material ist. Erst in den letzten Jahren habe ich mich etwas geöffnet, um Songs für andere zu schreiben. Aber ich habe es noch nicht wirklich mit vollem Herzblut getan. Denn ich denke, wenn du das ernsthaft machen möchtest, musst du genau so viel reinstecken, wie wenn es dein eigenes Ding wäre. Ich habe einige Sachen gemacht, aber nichts wirklich Grosses.
Indiespect: Ossi, du prügelst während euren Konzerten ziemlich auf dein Schlagzeug ein. Wie viele Sticks brauchst du für eine ganze Tour?
Ossi: Kommt immer etwas drauf an. Zwei Paar brauche ich meistens während eines Konzerts. Wenn ich sehe, dass sie kurz vor dem Zerbrechen sind, wechsle ich sie aus. Es ist nicht so, dass ich spiele, biss sie in zwei Hälften zersplittern und ich denke: «Scheisse, jetzt habe ich gar nichts mehr in meinen Händen». Du kannst nämlich fühlen, wenn ein Drumstick langsam kaputt geht. Er fühlt sich anders an, wenn du spielst.
John: Er wird etwas leichter, nicht?
Ossi: Nein, aber du kannst es fühlen wenn er innere Risse hat. Dann lasse ich ihn einfach fallen oder werfe in weg und schnappe mir einen neuen. Es passiert nicht oft, dass einer wirklich zerbricht. Das ist eine der schrägsten Sachen, die du erleben kannst. Wenn du spielst und du nicht merkst, dass dein Stick gleich kaputt geht und er einfach in zwei Teile zerbricht. Das ist wie wenn du spielst und boom, plötzlich fällt dein Gitarrenhals ab. Es ist eine ziemlich beschämende Situation. Dann musst du einfach schnell reagieren.
John: Mit Gitarren-Saiten verhält es sich anders. Du kannst nie sagen, wann es passiert. Sie reisst einfach plötzlich wie aus dem Nichts
Ossi: Ein Schock ist es immer. Aber es passiert echt selten. Aber ja, zwei bis drei Paar brauche ich bei einem Konzert sicher. Aber ich brauche keine brandneuen Sticks, wenn ich beginne einen Song zu spielen. Ich mag es, wenn sie bereits etwas benutzt sind.
Indiespect: Als ich euch zuletzt beim Quellrock Openair in Bad Ragaz sah, spieltet ihr mit «The Show Tonight» einen eurer ältesten Songs. Habt ihr immer noch solche in eurem Set?
Ossi: Wir spielen Songs von jedem Album.
Indiespect: Wie fühlen sich die alten Songs für euch an? Ihr habt euch in den letzten Jahren ja extrem weiterentwickelt.
John: Sie fühlen sich noch immer gut. Wir wählen auch nur Songs aus, die wir gerne spielen.
Ossi: Wenn wir die alten Songs im Proberaum spielen, fühlt es sich nicht mehr sehr speziell für uns an. Aber wenn wir sie vor einem Publikum spielen, das es wirklich geniesst, sie zu hören, ist das etwas anderes. Aber du kannst ihnen nie zu 100% das geben, was sie hören wollen.
John: Dann müsstest du nämlich fünf Stunden spielen.
Ossi: Haha, genau. Wir müssten das erste und das zweite Album sicher komplett durchspielen. Für uns ist es extrem wichtig, eine gute Balance in der Setlist zu finden. Wir können verschiedene Alben mischen. Auch das Tempo und den Aufbau können wir variieren. Wir sagen nicht: «Okay, wir spielen diesen, diesen und diesen Song». Wir möchten den richtigen Weg finden, damit das Gesamtbild passt.
John: Während einer Tour in Deutschland vor ein paar Jahren haben wir mal versucht «Man Must Dance» nicht mehr zu spielen. Wir hatten das Lied einfach satt. Aber ich kann mich erinnern, dass die Leute wirklich sauer wurden. Sie sagten: «Das ist nicht okay. Dass ihr ‚Man Must Dance‘ nicht spielt, ist wirklich nicht in Ordnung». Also sagten wir: «Natürlich, wenn ihr es hören wollt, dann spielen wir es verdammt noch mal natürlich». Ich glaube es war nach einem Gig in Köln, als die Leute richtig sauer wurden. Und wir dachten einfach, das ist es nicht wert.
Ossi: Dann merkst du auch, dass du dein Publikum respektieren musst. Es wird immer jemanden geben, der ein Lied vermisst. Aber es gibt bestimmte Song, die möchten wir einfach spielen, weil die Fans sie hören wollen. Als wir das realisiert haben, begannen wir auch wieder diesen Song zu spielen. Wir haben immer extrem viel Spass auf der Bühne und es gibt keinen Moment in dem wir denken: «Oh nein, nicht schon wieder dieser Song.» Das hatten wir nur, als wir etwas zu lange auf Tour waren.
Indiespect: Vielen Dank für das Interview! Ich wünsche euch heute Abend ein tolles Konzert.
Ossi: Danke dir. Wir hoffen, es wird dir gefallen!