Interview mit Matthew Caws:
Nada Surf feiern 15 Jahre «Let Go»

In Interviews by indiespect

In diesem Jahr feiern Nada Surf das 15-jährige Bestehen von «Let Go». Derzeit sind sie auf Jubiläum-Tour, bei welcher sie ohne Support ein ungefähr dreistündiges Konzert spielen. Im ersten Slot wird das komplette Album präsentiert. Nach einer kurzen Pause folgt ein zweites Set, bestehend aus Hits, Covers und Raritäten. Am 6. April treten Nada Surf im Zuge dieser aussergewöhnlichen Tour im Dynamo in Zürich auf. Ich habe Sänger Matthew Caws am 18. März in Zürich getroffen. An jenem Tag war er in der Stadt, um als Support von «Calexico» aufzutreten. Er nahm sich die Zeit um über das Hit-Album von Nada Surf zu sprechen.

Indiespect: Du bist gerade mit deiner Band Nada Surf auf Jubiläums-Tour. Jetzt hast du einige Tage Pause. Warum hast du dich dazu entschlossen Solo-Shows zu spielen, anstatt einige Tage zu entspannen?

Matthew Caws: Einfach weil Calexico mich angefragt haben. Sie hatten mich schon früher gefragt, aber ich hatte nie die Möglichkeit dazu. Martin Wenk, einer ihrer Trompeten-Spieler, ist ein Teilzeit-Mitglied bei Nada Surf. Er fragte mich immer wieder, ob ich sie für einige Tage im Tourbus begleiten würde. Ich dachte mir, diese Möglichkeit sollte ich nutzen.

Indiespect: Aber es ist dir nur möglich sie bei einzelnen Auftritten zu begleiten?

Matthew: Genau. Ich bin nur bei drei Shows dabei. Gestern waren wir in Fribourg, heute in Zürich und morgen in Linz.

Indiespect: Normalerweise spielst du in Bars oder kleineren Clubs wenn du alleine unterwegs bist. Wie fühlt es sich für dich an, ganz alleine auf einer grösseren Bühne zu sein?

Matthew: Es ist cool. Ich habe das noch nie zuvor gemacht. Aber es ist definitiv etwas, dass ich in Zukunft wieder tun möchte.

Let Go wurde bei Barusk Records veröffentlicht:
17. September 2002 (Europa)
4. Februar 2003 (USA)

  1. Blizzard of ’77
  2. Happy Kid
  3. Inside of Love
  4. Fruit Fly
  5. Blonde on Blonde
  6. Hi-Speed Soul
  7. Killian’s Red
  8. The Way You Wear Your Head
  9. Neither Heaven nor Space
  10. Là Pour Ça
  11. Treading Water
  12. Paper Boats

Indiespect: Während eurer Jubiläums-Tour habt ihr keinen Support-Act, sondern ihr spielt zwei Sets. Das erste ist das komplette Album «Let Go», das zweite besteht aus Hits, Raritäten und Cover-Songs. Das Konzert wird also ungefähr drei Stunden dauern. Ist es schwierig für dich, solche langen Shows zu spielen?

Matthew: Ich muss definitiv gesund bleiben, damit das meine Stimme mitmacht. Ich darf nicht viel trinken und nicht zu lange aufbleiben. Ich rauche nicht, was schon ein Vorteil ist. Wenn du der Sänger bist, musst du speziell Sorge tragen.

Indiespect: Wie habt ihr die Songs für das zweite Set zusammengestellt? Auf einer normalen Nada-Surf-Setlist sind schon ziemlich viele Stücke von «Let Go» vertreten. War es schwierig ein Set aus komplett anderen Titeln zusammenzustellen?

Matthew: Wir haben so viele. Wir lassen immer noch schmerzlich viele Songs weg. Wir haben zu viele, aus denen wir auswählen können. Es ist also nie ein Problem genug zu haben, es ist eher ein Problem zu viele zu haben. Aber es sind viele Sachen darunter, welche die Leute schon lange nicht mehr gehört haben – und viele Überraschungen. Wir wussten ja, dass sie offensichtlich wissen, was sie beim ersten Set zu erwarten haben.

Indiespect: Wenn du ein Album von einem anderen Künstler in voller Länge live hören könntest. Welches wäre das?

Matthew: Songs from Northern Britain von Teenage Fanclub, Gone Glimmering von Chavez, Melodies of Certain Damaged Lemons von Blonde Redhead. Zusätzlich sind es Sachen wie Bringing It All Back Home von Bob Dylan, aber er wird sowas niemals machen.

Indiespect: Ich habe das Gefühl immer mehr Bands spielen diese Art von Konzerten. Ist das bloss weil es von den Fans gefordert wird?

Matthew: Das trägt sicher dazu bei. Aber es ist auch eine dieser seltenen Situationen, in der eine sehr kommerzielle Entscheidung auch eine sehr gute artistische Entscheidung ist. Ich glaube die meisten dieser Tourneen sind die Idee des Managements. Aber es ist in Ordnung. Ich glaube nicht, dass es etwas ist, dass eine Band von sich aus tun würde. Wir hätten diese Tour wahrscheinlich auch nicht gemacht, wenn es uns nicht jemand vorgeschlagen hätte.

Nada Surf

Akutelle Besetzung von Nada Surf: Ira Elliot (Schlagzeug), Daniel Lorca (Bass), Matthew Caws (Gesang/Gitarre), Doug Gillard (Gitarre)

Indiespect: «Let Go» ist nicht nur eine spezielle Platte, weil es der Liebling der meisten Fans ist. Auch die Art wie ihr sie gemacht habt, ist ziemlich einzigartig. Es waren harte Zeiten für euch als Band.

Matthew: Ja, total. Es war harte Arbeit, das ist sicher. Bei uns lief nichts und wir hatten kein Geld. Aber wir hatten viel Zeit, das war schön. Ich schrieb das Album ziemlich langsam. Es dauerte ungefähr zwei Jahre.

Indiespect: Ich habe gehört, dass sich euer Sound auch aufgrund dieses langsameren Prozesses verändert hat. Auch weil ihr mehr Zeit und keinen Druck hattet. Ist das wahr?

Matthew: Der Stil hat sich wirklich verändert, weil wir keinen Druck hatten. Es gab nicht viel, auf dem wir hätten aufbauen können. Auf unserem ersten Album hatten wir einen kleinen Hit. Bei unserem zweiten Album wollte unser Platten-Label, dass wir das irgendwie wiederholen. Aber das war damals ein zufälliger Hit und ich bin nicht gut darin, mich hinzusetzen und einen witzigen Song zu schreiben. Das dritte Album haben wir also nur für uns selbst gemacht. Es gab keine Erwartungshaltung. Es gab niemanden der mir am Telefon erzählte, er sei besorgt, weil wir keinen Hit auf unserem Album hätten. Das habe ich oft erlebt. Also waren wir wirklich sehr frei.

Indiespect: Habt ihr diesen Druck wieder einmal gespürt, nachdem «Let Go» ein Erfolg wurde?

Matthew: Der Druck kommt natürlich zurück. Ich glaube Let Go war für viele eine Überraschung. Aber diesen Effekt hast du nur einmal. Abgesehen von einigen Fans, sahen uns die meisten zu Beginn als Spass-Band. Wir hatten witzige Videos und so. Als das zweite Album erschien, bekam das kaum einer mit, weil es vom Label fallengelassen wurde. Es existierte also kaum noch. Deshalb war Let Go für einige ziemlich überraschend: Ah diese Typen? Die haben ja ziemlich gute Songs, okay. Dieser Überraschungs-Effekt ist natürlich weg, wenn du dich dann ans vierte Album machst. Dann erwarten sie von dir, dass es gut wird.

Indiespect: Ihr müsst eine ziemlich starke Band sein, wenn ihr ein Album trotz dieser Widrigkeiten rausbringt. Ihr musstet alles wieder selbst bezahlen. Ich habe gehört, dass ihr es mit den Einnahmen eurer Merchandising-Verkäufe finanziert habt.

Matthew: Ja, das stimmt.

Indiespect: Gab es nie den Gedanken die Band aufzulösen?

Matthew: Nein. Das wäre zwar einfach gewesen, aber wir hatten immer ein wirklich super Publikum bei unseren Konzerten. Wir wussten also, dass es etwas Spezielles war und dass es funktioniert. Ich habe niemals an die Auflösung der Band gedacht. Wir hatten mal einen Vorschlag in diese Richtung von unserem Manager. Er ist ein netter Typ und ich mag ihn sehr. Er war der Manager bei unserem ersten Album. Als wir an Let Go arbeiteten, sagte er: Denkt ihr, dass ihr den Bandnamen behalten solltet? Ich weiss, es ist ein ziemlich doofer Name, aber es ist einfach unser Name. Er schlug es damals aber nicht vor, weil er den Namen doof fand, sondern weil damit das Scheitern verknüpft war und wir uns deshalb neu erfinden sollten. Ich dachte mir: Nein, wieso? Wir machen einfach weiter.

Indiespect: Das ist ja auch ein Teil der Entwicklung. Wenn ihr den Namen geändert hättet, hättet ihr diesen Teil von eurer Geschichte einfach verdrängt…

Matthew: Ja. Wir haben niemals daran gedacht aufzugeben. Vielleicht war es auch zu einem Teil die Faulheit.
Wenn wir aufgegeben hätten, hätte ich an eine Hochschule gehen und eine Karriere wählen müssen. Ich hätte ein wirklich seriöses Leben führen müssen. Ich habe es geschafft, das nicht zu tun (lacht).

Indiespect: War das auch zu dieser Zeit, als du wieder in einem Plattenladen arbeitetest?

Matthew: Das machte ich erstmals, als ich noch sehr jung war. Mit 17 Jahren arbeitete ich in einem Plattenladen. Aber ja, zur Zeit von Let Go arbeitete ich wieder da. Davor arbeitete ich für ein Magazin namens Guitar World als Autor und Redakteur. Ich war aber nicht wirklich gut darin. Aber ich dachte mir, dass das eine Sache gewesen wäre, auf die ich mich falls nötig fokussiert hätte. Ich wäre auf eine Journalisten-Schule gegangen, um ein besserer Autor zu werden.

Wir haben niemals daran gedacht aufzugeben. Vielleicht war es auch zu einem Teil die Faulheit.
Wenn wir aufgegeben hätten, hätte ich an eine Hochschule gehen und eine Karriere wählen müssen.Matthew Caws, Nada Surf

Indiespect: Auf eurer aktuellen Tour spielt ihr ziemlich viele alte Songs. So viele wie noch nie zuvor. Findest du noch Zeit, um neues Material zu schreiben?

Matthew: Ja, ich hatte ziemlich viel Zeit. Aber wir haben erst vor Kurzem ein Baby bekommen. Also war ich immer etwas müde. Aber jetzt hole ich das wieder auf. Ich versuche derzeit viel zu schreiben.

Indiespect: Du hast auch geheiratet. Und hast auf deiner Hochzeit sogar einen eurer Songs gespielt.

Matthew: Ja, genau. Ich habe mit Dan Wilson Rushing gespielt. Diesen Song haben wir zusammen geschrieben. Er kam zur Hochzeit und wir spielten ihn, weil dieses Stück für meine Frau geschrieben wurde.

Matthew Caws

Matthew Caws spielte «Rushing» bei seiner Hochzeit. © The New York Times

Indiespect: Zu Beginn hast du gesagt, dass du von Martin Wenk gefragt wurdest, ob du Calexico auf dieser Tour begleiten würdest. Gibt es sonst noch eine Verbindung zu dieser Band?

Matthew: Wir sind beide bei City Slang, einem Label mit Sitz in Berlin. Das ist die grösste Verbindung. Und es gibt uns auch ungefähr gleich lang. Wir sind beide seit etwa 22 Jahren im Geschäft.

Indiespect: Martin war nicht nur mit euch auf Tour, sondern auch verantwortlich für das Live-Album «Peaceful Ghosts», welches ihr mit dem «Deutschen Filmorchester Babelsberg» in 2016 aufgenommen habt.

Matthew: Ja, er hat es produziert. Er suchte die Songs sowie den Komponisten aus und erarbeitete mit ihm zusammen die neuen Arrangements. Er hat sie nicht geschrieben, aber alle Entscheidungen getroffen. 

Indiespect: Eure neuste Veröffentlichung ist «Standing At The Gates: The songs of Nada Surf’s Let Go». Es ist ein Benefiz-Album, auf welchem andere Künstler die Songs von «Let Go» covern. Du hast deine eigene Regel gebrochen, dass du keinen Künstler selbst fragen wolltest, ob er Lust hat mitzumachen. Bei Aimee Mann hast du nämlich eine Ausnahme gemacht. Wieso wolltest du sie im Speziellen dabei haben?

Matthew: Weil sie so gut ist. Und weil ich wusste, dass sie ein Fan der Band ist.

Indiespect: Hast du ein Lieblings-Cover auf dem Album?

Matthew: I mag Ron Gallo‘s Version von Happy Kid sehr. Es ist so speziell, weil es klingt, als hätte er es geschrieben. Manchester Orchestra gefällt mir auch sehr gut. Aber ja. Ich will jetzt nicht einzelne hervorheben, sie sind alle super. Es gibt auch ein spanisches Album namens Tu Aura Brilla Más. Dort haben spanische Bands die Songs von Let Go gecovert. Es ist also quasi eine andere Version von derselben Platte.

Calexico

Matthew Caws auf der Bühne mit seinen Freuden von Calexico. Martin Wenk (links) war ein Tour-Mitglied von Nada Surf und produzierte ihr Live-Album «Peaceful Ghosts».

Indiespect: «Let Go» habt ihr noch als Trio aufgenommen. Euer Gitarrist Doug Gillard war damals noch nicht Teil der Band. Wird er euch trotzdem auf dieser Tour begleiten?

Matthew: Nein leider nicht. Er war bei den ersten beiden Tour-Abschnitten dabei. Diese haben wir eben abgeschlossen. Aber bei den nächsten beiden Abschnitten hat er Konzerte mit Guided By Voices, deshalb können wir ihn nicht dabeihaben.

Indiespect: Also war es keine Entscheidung, weil er nicht in den Aufnahmeprozess des Albums involviert war?

Matthew: Nein, nein. Er spielte mit uns diese Konzerte und es war einfach super ihn dabei zu haben. Denn es gibt oft mehr als einen Gitarren-Part. Ich hätte ihn sehr gerne dabei. Wir können nur leider nicht, weil wir ihn mit Guided By Voices teilen. Da können wir leider nichts machen.

Indiespect: Ihr habt 2016 beim «Zermatt Unplugged Kaufleuten» in Zürich gespielt. Damals wart ihr auch ohne Doug Gillard da. War er damals ebenfalls auf Tour mit Guided By Voices?

Matthew: In Zürich? Unplugged? Ja, genau. Da war es auch so.

Indiespect: Während dieser Show hatte euer Bassist Daniel Lorca immer eine Zigarette im Mund, ohne sie je anzuzünden. Das war wahrscheinlich aufgrund des strikten Rauchverbots. War das nicht ziemlich hart für ihn? 

Matthew: Er spielt noch immer mit einer nicht angezündeten Zigarette. Er raucht seit zwei Jahren nicht mehr. Aber er hat sie immer im Mund. Er hat mir dies erst kürzlich erklärt, und es macht Sinn. Er ist die Art von Mensch, die wenn etwas stressiges in seinem Leben passiert, wieder anfangen würde zu rauchen. Aber weil er diese nicht angezündete Zigarette immer als Platzhalter hat, braucht er in Stresssituationen nicht wieder anzufangen. Durch das Fake-Rauchen hat er diesen Impuls nicht mehr.

Indiespect: Vielen Dank für deine Zeit! Ich wünsche dir heute Abend ein tolles Konzert und freue mich auf eure Jubiläums-Show am 6. April.