Kraftklub: The Boys are back in Town
Längst sind die Chemnitzer Jungs von Kraftklub kein Geheimtipp mehr. In Deutschland füllen sie die grössten Hallen und in Festival-Line-Ups stehen sie ganz weit oben. In der Schweiz sind die Hallen zwar noch etwas kleiner, doch sie sind grundsätzlich immer voll. So auch am letzten Mittwoch in Zürich. Die Warteschlange vor dem Volkshaus ist lang. Die Fans warten in der klirrenden Kälte darauf, sich bei einem wilden Konzert wieder aufzuwärmen. Zum Glück geht es schnell voran und auch die Garderoben sind bestens organisiert. Gut eine halbe Stunde bevor die Vorband Blond auf der Bühne steht, ist im Volkshaus sowohl auf dem Parkett, als auch auf der Galerie noch reichlich freier Platz vorhanden – das wird sich ändern.
Dass Kraftklub ein gutes Händchen für ihre Support-Acts haben, wurde schon mehrfach bewiesen. Viele davon sind mittlerweile selbst zu Grössen in der deutschen Musikszene geworden. Kraftklub-Frontmann Felix Brummer betritt zur Ankündigung gleich selbst die Bühne. Man spürt, dass es für ihn eine Herzensangelegenheit ist. Er erzählt, dass seine Band bereits zweimal im Volkshaus zu Gast gewesen sei. Zum ersten Mal als Vorgruppe von Fettes Brot und später als Support der Beatsteaks. Sie seien beide Male äusserst warm empfangen worden und hätten nach ihrem Auftritt glücklich und mit grossen Augen vor der Bühne gestanden und die grossen Headliner bewundert. Jetzt hätten sie selbst das Volkshaus ausverkauft und hofften, dass der ebenfalls aus Chemnitz stammenden Band Blond, die gleiche Liebe entgegengebracht werde.
Blond: Erfrischender Stilmix aus Karl-Marx-Stadt
Blond: Ein Trio so leuchtend wie Discokugeln
Frauenpower am Gesang und am Schlagzeug schlägt den Kraftklub-Fans entgegen. Dazu ein Multiinstrumentalist der aussieht wie der frühe Flake von Rammstein. Gesungen wird vorwiegend in Englisch mit einem Ausflug in die deutsche Muttersprache. Der musikalische Mix ist unterhaltsam – von Rock über Hip-Hop bis Rave ist alles dabei.
Ich hab die Fresse voll Spinat (voll Spinat)
Und du hast nichts gesagt (nichts gesagt)
Ich hab die Fresse voll Spinat (voll Spinat)
Und du hast nichts gesagtSpinaci – Blond
Mit ihrem Text zum Song Spinaci stehen Blond in punkto Kreativität ihren Chemnitzer Kollegen von Kraftklub in Nichts nach. Nebst der Live-Energie ist besonders das Spiel des blinden Musikers Johann Bonitz beeindruckend. Er spielt Keyboard, Gitarre und Bass als wäre es das normalste der Welt. Wenn ihn seine Mitmusikerinnen nicht zwischendurch von einer Seite der Bühne zur anderen begleiten würden, wäre niemandem aufgefallen, dass er nichts sehen kann.
Kraftklub legen den Schalter um
T.N.T. ist nicht nur der Intro-Song, der den Auftritt von Kraftklub ankündigt, nein auch die Stimmung explodiert, als Felix Brummer und seine Jungs mit Hallo Nacht die Bühne betreten. Wo noch Bier in einem Becher war, da ist innerhalb einer Sekunde nichts mehr drin. Es gibt keine Chance stehen zu bleiben und der gewaltigen Energiewelle zu entkommen. Wer sich keinen ruhigeren Platz auf der Galerie gesucht hat, wird gnadenlos in den Kraftklub-Sog gezogen. Euphorisiert aber friedlich springt das ganze Volkshaus.
Im Juni 2017 erschien mit Keine Nacht Für Niemand das dritte Album der Chemnitzer. Mittlerweile sind die Songs darauf ebenso zu Klassikern geworden, wie diejenigen der ersten beiden Alben Mit K (2012) und In Schwarz (2014). Bei Kraftklub sind die Fans generell sehr textsicher, doch bei Besuchen in Zürich wird noch einmal eine Schippe draufgelegt. Praktisch jedes Wort wird trotz wildem Tanz mitgesungen.
«Lass mich dein Sklave sein». Der Vergleich mit den Ärzten ist unvermeidlich
Der Geist von Farin Urlaub
Bei Fenster ist nicht nur ein Ärzte-Einfluss spürbar, Farin Urlaub singt auf dem Album beim letzten Refrain direkt selber mit. Ohne Featuring oder sonstige Ankündigung. Er ist einfach plötzlich da. Irgendwie war er schon bei einigen Songs spürbar, aber noch nie so konkret, wie auf dem dritten Album von Kraftklub. Bei Sklave bedienen sich die fünf Musiker direkt beim Refrain vom Ärzte-Klassiker Bitte, Bitte. Für die Arbeiter-Hymne kleidet sich Felix in ein hübsches Lederoutfit und peitscht genüsslich seine Mitmusiker aus. Er scheint sich in seiner neuen Kluft sichtlich wohl zu fühlen. Anschliessend darf ein Fan das berühmte Glücksrad drehen. Dieses entscheidet über den nächsten Song oder verhilft der Band zu einer Zigarettenpause. Diese haben sie jedoch gar nicht nötig, denn die Musiker qualmen auch während den Songs nach Lust und Laune. Zur Auswahl stehen Irgendeine Nummer, Scheissindiedisko, ein Koversong sowie die erwähnte Zigarettenpause. Als Glücksfee hat sich Besucher Andi durch seine spärliche Bekleidung qualifiziert.
Nach Präsentation seiner Socken mit K kommt der Moment der Entscheidung. Sehr zur Freude des Publikums und der Band bleibt das Rad bei Scheissindiesiko stehen.
Kleidsames Merchandising – die Socken mit K
Die Magische Melodie aus Zürich
Nach getaner Arbeit darf die Glücksfee mit einem Sprung ins Publikum, ein Bad in der Menge nehmen. An dieser Stelle sei zu Erwähnen, dass das Volkshaus an diesem Abend einen Crowdsurfer-Rekord erlebt haben dürfte. Ununterbrochen wurden Fans nach vorne getragen, wo sie von Felix Brummer abgeklatscht und von den Securities rausgezogen wurden. Die Männer vor der Bühne hatten im wahrsten Sinn des Wortes alle Hände voll zu tun. Warum auch die Band mit der Song-Wahl äusserst zufrieden war, erklärte der Kraftklub-Sänger gleich selbst. Er wisse zwar nicht wieso, aber es gebe etwas, dass nur in der Schweiz, im Speziellen in Zürich passiere. Das sei einfach magisch und sorge bei der Band jedes Mal für Gänsehaut.
Natürlich wurde er auch dieses Mal nicht enttäuscht. Die Magie entfaltete sich bei einem Publikumsgesang im Mittelteil. Eine Alternativmelodie die so gut ins Lied passt, dass es wirklich erstaunlich ist, warum das nicht längst von allen Fans übernommen wurde. Aber es ist natürlich auch schön, wenn es ein Zürcher Phänomen bleibt.
Fast so viele Outfit-Wechsel wie Madonna: Die Band mit K segnet die Fans
Ein bisschen Grössenwahn schadet nie
Auf jedem Album gibt es mindesten ein leicht selbstverherrlichende Hymne. Beim Debüt waren es bei Eure Mädchen nur die Mädchen, die mit ihnen tanzen, obwohl sie doch eigentlich nur Popmusik machten. Bei Unsere Fans auf der zweiten Platte geht es schon um die vollen Hallen und die Ankunft im Mainstream. Bei Band mit dem K wird auf dem aktuellen Album sogar noch einmal eine Schippe draufgelegt. Wir geben keine Konzerte, wir halten heilige Messen heisst es dort ganz bescheiden. Passenderweise wirft sich Brummer in Priester-Kluft und segnet seine Jünger.
Wir geben keine Konzerte
Wir halten heilige MessenDie Band mit dem K – Kraftklub
Nach der Loser-Hymne über ihre Heimat Karl-Marx-Stadt folgt ein Medley aus Liebesliedern in den verschiedensten Facetten. Kein Liebeslied, Liebe, Dein Lied, Für Immer und Melancholie zeigen auf, wie oft es bei der Band mit dem K um die Liebe geht – und dabei meist um die weniger schönen Seiten davon.
Auch wenn das Glücksrad anders entschieden hat, folgt nun doch noch ein Koversong. Rock’N’Roll Queen von The Subways wird zusammen mit der Vorband Blond von der Bühne geschmettert.
Die geballte Ladung Karl-Marx-Stadt: Kraftklub und Blond hauen den Klassiker von The Subways raus.
Kraftklub können auch Hip-Hop
Neben der Liebe sind die Sozialen Medien ein omnipräsentes Thema bei Kraftklub. Bei 500 K rappen die Brummer-Brüder gemeinsam darüber wie Facebook-reich sie sind. Dabei stellen Felix und Till Lil‘ Brummer sogar gestandene Rapper in den Schatten. Die beiden Brüder definieren den Begriff Rampensau neu. Am Ende folgt der passende Song mit ebendiesem Titel. Felix Brummer singt inmitten der Fans, um anschliessend zwischen ekstatischen Anhängern im Moshpit unterzugehen. Pünktlich gegen Ende des Tracks wird er auf Händen zurück zur Bühne getragen.
Die Band gönnt sich abseits der Bühne eine kurze Ruhepause, bevor sie für vier Zugaben noch einmal zurückkehrt. Es wird noch einmal richtig intensiv. Mit Chemie Chemie Ya, Schüsse in die Luft, Randale und zum Abschluss Songs für Liam wird dafür gesorgt, dass auch wirklich jeder am nächsten Tag entweder eine Nackenstarre oder Muskelkater hat.
Fazit
Im letzten Oktober hatten Kraftklub bei ihrem Auftritt in Pratteln etwas geschwächelt. Für ihre Verhältnisse war das Konzert etwas uninspiriert und das Set schon fast beleidigend kurz. In Zürich zeigten sie sich wieder von ihrer allerbesten Seite. Dass auch das Publikum einen grossen Anteil an diesem magischen Abend hatte, ist unbestritten. Kaum eine Band schafft es, so viel Energie aus den Schweizern rauszuholen, wie die Jungs aus Chemnitz.