Grizzly Bear gehen auf Abstand
Im Zürcher Kaufleuten spielte gestern eine aussergewöhnliche Band aus Brooklyn. Grizzly Bear um Sänger Ed Droste gibt es schon seit Anfang der 2000er-Jahre. Seither experimentieren sie mit Harmonien und Musikstilen. Obwohl die Musik eher anspruchsvoll ist und fern abseits des Mainstreams steht, war der schöne Klubsaal bei Konzertbeginn bis hinten gut gefüllt. Ähnlich wie bei ihren Artgenossen im Zoo, gab es zwischen den Grizzly-Bären und den Besuchern einen Sicherheitsabstand. Das gesamte Equipment war nach hinten versetzt, sodass das vordere Bühnen-Drittel als breite Getränke-Ablage fungierte. Das Bühnenbild sah aus wie Spinnweben oder das Gestein einer Höhle.
Grizzly Bear in ihrer Höhle im Zürcher Kaufleuten.
Aufmerksames Publikum bei intensiver Musik
Ohne viel Aufhebens tritt die Band mit knapp 10 Minuten Verspätung nach 20 Uhr auf die Bühne. Auf einen Support-Act wird komplett verzichtet. Die Fans sind euphorisch und begrüssen die New Yorker mit gebührendem Applaus. Aus den Gesichtern der Musiker lässt sich nicht viel ablesen. Besonders die beiden Sänger Ed Droste und Daniel Rossen haben ein Pokerface aufgesetzt. Sobald die ersten Töne erklingen, ist es im Publikum mucksmäuschenstill. Die eingangs erwähnte Dekoration und das farbliche wechselnde Licht, entfalten zusammen mit den anspruchsvollen Kompositionen von Grizzly Bear, eine hypnotische Wirkung. Wird das Schlagzeug druckvoller, fühlt man sich beinahe in einen Unterwasser-Sturm versetzt. Sind die Klänge mystischer findet man sich gedanklich in einem mit Spinnweben behangenen Wald wieder. Letztes Jahr erschien mit dem Titel Painted Ruins das erste Studioalbum seit 2012. Mit sieben Titeln ist das fünfte Werk von Grizzly Bear an diesem Abend auch am präsentesten vertreten. Besonders heraus sticht dabei die Single Mourning Sound. Nebst Losing All Sense definitiv der eingängigste Titel der Platte.
Erzeugen gemeinsam magische Harmonien: Ed Droste und Daniel Rossen.
Ed Droste und sein emotionaler Bezug zu Zürich
Bis der Sänger nach einigen Songs zum ersten Mal das Wort ergreift, kann man seine Gefühle nicht erahnen. Gefällt es ihm? Langweilt er sich? Es scheint ihm zu gefallen. Er erwähnt, dass Zürich einen ganz speziellen Platz in seinem Herzen habe, weil er hier seinen Freund kennengelernt habe. Der gross gewachsene Sänger lebt seit Veröffentlichung des Debüt-Albums Horn of Plenty von 2004 offen schwul und ist seither zu einem wichtigen Sprachrohr für homosexuelle Musiker geworden. In Sachen unlesbarer Gesichtsausdrücke übertrifft ihn nur noch Gesangs-Kollege Rossen. Konzentriert und mit mysteriöser Aura wechselt er virtuos zwischen Gesang, Gitarre und seinem Wurlitzer-Piano. Reisst es ihn doch einmal zu einem Lächeln hin, hat das eine viel grössere Wirkung, als bei jedem dauergrinsenden Musiker.
Für «Two Weeks» setzt sich Daniel Rossen ans Wurlitzer-Piano.
Zeitreise in die 60er-Jahre mit «Two Weeks»
An ebendiesem Wurlitzer-Piano sitzt Rossen auch bei Two Weeks. Der Song, der durch seine Verwendung in How I Met Your Mother einem grossen Publikum zugänglich gemacht wurde, versetzt einen zurück in die 60er-Jahre. Ein Hauch von The Turtles ist spürbar, nur etwas weniger aufdringlich als Happy Together. Bassist Christopher Michael Taylor singt im Refrain den Background-Gesang mit einer so hohen Kopfstimme, dass man zweimal hinschauen muss, ob wirklich ein Mann dort steht. Die Kompositionen von Grizzly Bear sind nie vorhersehbar. Ruhige Instrumental-Parts werden von einem Gitarren-Solo gebrochen und die Harmonien wandern nur so auf und ab. Mal hört man im Gesang eine Ähnlichkeit zu David Bowie, mal klingt die Instrumentierung nach einer verrückten Nummer von Radiohead. Grizzly Bear präsentieren keine leichte Kost, aber genau deswegen lieben sie ihre Fans. Die New Yorker sind experimentierfreudig und lassen sich in kein Korsett stecken. Für diese Musik muss man sich Zeit nehmen und sich einfach mit ihr treiben lassen.
Grizzly Bear im Disco-Licht.
Wie das Erwachen aus einem Traum
Als die Musiker nach On a Neck, On a Spit die Bühne verlassen, ist es fast wie das Erwachen aus einem Traum. Der Klangteppich reisst ab und das Kaufleuten wird wieder klar sichtbar. Der Applaus holt die fünf Musiker schnell wieder zurück auf ihre Positionen. Dort schenken sie den Fans mit Foreground und Sun in Your Eyes noch einmal zwei Zugaben. Nach dem Konzert herrscht nicht die Euphorie einer Stadionshow. Es ist vielmehr eine verträumte Stimmung spürbar, wie man sie direkt nach dem Aufwachen hat. Mit Grizzly Bear hat man etwas Schönes geträumt.
Der Farbwechsel im Licht ist die einzige Bühnenshow der New Yorker.
Fazit
Es ist richtig erfrischend ein solches Konzert zu erleben. Völlig reduziert auf den Klang und die Musik, schaffen es Grizzly Bear, die Zuschauer aus dem Alltag zu entführen. Es ist nichts Seichtes in den Songs der New Yorker und sie sind auch nicht alle ganz leicht zugänglich. Wenn man sich aber öffnet, kann man etwas Wunderbares geniessen.