Mit ihrem neusten Album «Ich vs. Wir» sind Kettcar seit dem letzten Herbst auf Tour. Am 4. August machten sie anlässlich des Fête de Lion in Wil wieder einmal Halt in der Schweiz. Gitarrist Erik Langer nahm sich Zeit, um über die Band und ihre Entwicklung zu sprechen.
Indiespect: Mit dem neuen Album Ich vs. Wir habt ihr hohe Wellen geschlagen. Die politischen Texte fanden grossen Anklang bei den Fans und in der Presse. Aber sie lösten bestimmt auch Anfeindungen gegen euch aus. Was waren die schlimmsten und von welcher Seite kamen sie?
Erik Langer: Uns wurde vorgeworfen, dass wir nationalistisch wären.
Indiespect: Wieso?
Erik: So ganz hab ichs auch nicht verstanden. Vielleicht weil im Stück Sommer ’89 der Protagonist, von dem die Geschichte handelt, befördert dass Ost und West zusammenwächst und wieder eine Art Grossdeutschland in Anführungsstrichen entsteht.
Indiespect: Aber von welcher Seite kam diese Auffassung?
Erik: Das war von einer Zeitschrift namens Konkret. Aber es hat mich jetzt nicht besonders gejuckt. Weil ich ja selber weiss, wie absurd das ist.
Kettcar melden sich nach fünf Jahren mit «Ich vs. Wir» und Songs wie «Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)» zurück.
Indiespect: Bevor das Album veröffentlicht wurde, hattet ihr fünf Jahre Bandpause. Ihr wart nach 2012 in eine künstlerische Sackgasse gekommen. Hat sich das Verhältnis innerhalb der Band verändert, seit ihr am neuen Album gearbeitet habt? Irgendwas an den Abläufen?
Erik: Gar nicht unbedingt wie alles abläuft. Aber das Bandgefühl hat sich auf jeden Fall geändert. Wir waren ganz schön ausgebrannt und hatten nach zwölf Jahren zusammen im Studio auf der Strasse und am Machen nicht mehr ein so gutes Gefühl zur Band. Das hat man uns auch angemerkt. Wir haben auch gemerkt, dass unsere Konzerte nicht mehr so gut waren. Wir hatten nicht mehr die Lust, die jetzt wieder da ist, zusammen auf die Bühne zu gehen und zu spielen. Wir hatten uns auch etwas verrannt mit der Platte damals, die Zwischen den Runden hiess. Da hatten wir mehrere Probleme. Während den Aufnahmen, mit dem Produzenten, mit uns selber. Da waren wir dann auch nicht zufrieden damit. Das ist jetzt bei dieser Platte zum Glück anders. Damals war dann die Konsequenz eine längere Pause zu machen. Das war dann tatsächlich auch genau das Richtige für uns.
Indiespect: Hast du dich in diesem Moment schon darauf eingestellt, dass es Kettcar vielleicht nie mehr geben könnte?
Erik: Ich weiss noch, das letzte Konzert, welches wir gespielt haben vor dieser langen Pause, war im Astra in Berlin. Das war ein sehr emotionaler Abend für mich. Eben wegen dieser Ungewissheit. Das ist ja immer so. Auch ohne Pause weiss man nie, was passiert. Wie lange so eine Band existiert. Wenn man das jetzt so lange macht wie wir, dann gewöhnt man sich auch ein bisschen an eine Sicherheit und denkt, dass es immer weitergeht. Das wird es natürlich nicht. Aber war ja klar. Wenn du eine längere Pause machst, können so viele Faktoren passieren und einer sagt: nee, geht leider nicht mehr, ich mach jetzt was anderes. Da war ich echt ganz schön emotional drauf. War auch sehr traurig. Aber gleichzeitig wusste ich auch schon, dass es das Richtige war, eine Pause zu machen. Das hat sich dann auch bewahrheitet.
Kettcar am Fête de Lion in Wil. Die Spielfreude ist förmlich spürbar.
Indiespect: Die politische Situation hat sich ja eher noch verschlimmert seit ihr Ich vs. Wir gemacht habt. Denkst du, dass ihr ohne diese politischen Umstände überhaupt noch einmal ein Album gemacht hättet?
Erik: Ich glaube wir hätten es auch ohne das versucht. Aber ein wichtiger Aspekt war, dass wir ein Thema brauchten. Als wir uns im Vorfeld der Aufnahmen dieser Platte zum ersten Mal wieder getroffen haben, haben wir uns ganz viel Musik vorgespielt. Haben ganz viel über Textideen gesprochen und generell über ein mögliches Grundthema. Als wir das Ende 2015 getan haben, war die Grundsituation wie du schon gesagt hast ähnlich wie jetzt. Da hat sich das natürlich total angeboten. Unter anderem auch deshalb weil wir in der Band zwei Leute haben, die sich zutrauen über so eine komplexe, schwierige Thematik Texte zu schreiben, die drei Minuten gehen. Sie haben gesagt, wir wollen es versuchen und in Angriff nehmen.
Indiespect: Es sind ja Marcus und Reimer, die die Texte schreiben. In welchem Song-Stadium kommt der Rest der Band dazu?
Erik: Wie gesagt, über diese Grundthematik haben wir und zusammen als Band verständigt. Dann ist es so, dass teilweise die Texte von den beiden kommen und wir dann sagen, wenn der Ansatz irgendwie schwierig ist. Das kann man nicht machen, weil das falsch verstanden wird oder weil es vielleicht ein bisschen peinlich ist. Dann gibts aber auch andere Texte, die von den beiden in die Band getragen werden, wo klar ist oh ja, das hat was. Es ist ganz ganz unterschiedlich. Bei Sommer ’89 hatte ich eine musikalische Idee, die ich in die Band getragen habe. Marcus hat gesagt, er findet es toll, aber er schafft es nicht dazu zu singen. Dann hat er zwei Monate später oder so Sommer ’89 vorbeigebracht und hat es mir und meiner Frau vorgespielt. Sie stammt auch aus Ost-Deutschland. Er wollte wissen, was wir davon halten. Er meinte zu mir nur: ich hab dir ja gesagt, ich kann dazu nicht singen. Dann ist mir eingefallen ich kann dazu ja sprechen. Also in den Strophen.
Erik Langer in seinem Element.
Indiespect: Wenn man das Lied zum ersten Mal hört, ist es direkt eine Hymne. Aber es ist so untypisch, dass es nicht gesungen ist…
Erik: Es war sicherlich zum Teil wegen dieser musikalischen Idee, die da im Raum schwebte, von der Marcus meinte, da sollte man was draus machen. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass es daran lag, dass es ein wahnsinnig hohes Textvolumen hat. Wenn du das alles mit feingeistigen Melodien versehen möchtest, was er in den Strophen abspult, dann wäre das Stück mindestens doppelt so lang geworden. Und es ist jetzt schon ziemlich lang.
Indiespect: Was war denn konkret deine musikalische Idee? Hatte diese etwas mit der Thematik zu tun?
Erik: Nein, musikalisch. Ich hatte die Grundidee für Strophe und Refrain. Dann hab ich mich mit unserem Schlagzeuger zusammen noch den C-Teil gemacht, oder in dem Fall ist er jetzt der WG-Teil. Dann hatten wir eigentlich schon relativ viel Songstruktur. Wir haben es Marcus gegeben in der Hoffnung, dass er einen Text hat, der dazu passt. Wie gesagt, da passierte halt lange nichts. Irgendwann hats aber gefunzt. Aber es gibt ganz viele unterschiedliche Herangehensweisen. Es kann auch mal vorkommen, dass Reimer mit einem Song um die Ecke kommt und alle sagen toll. Genau so machen wir das. Dann gehen wir damit ins Studio und heben hier und da noch ein paar Kanten hervor oder machen sie gerade. Je nach dem. Dann wars das.
Kettcar haben einen herrlichen Sonnenuntergang als Special-Effect mit nach Wil gebracht.
Indiespect: Man merkt euch an, dass euch das neue Album sehr am Herzen liegt. Habt ihr dadurch ein etwas versöhnlicheres Verhältnis zum vorletzten Album Zwischen den Runden bekommen?
Erik: Naja, da waren schon auch gute Lieder drauf. Wir spielen zum Beispiel Rettung bei jedem Konzert live. Im Club haben wir lange live gespielt. Aber wenn du fragen würdest, zu welchem Album wir die schlechtesten Erinnerungen haben, dann wahrscheinlich zu dem. Es sind aber defnitiv auch gute Songs drauf, über die ich mich in Zukunft noch immer freuen werde.
Indiespect: Also war es mehr der ganze Prozess des Albums und was damit verbunden ist, als der musikalische Aspekt?
Erik: Ja, vor allem der Prozess im Studio. Es war einfach sehr nervenaufreibend. Es kann halt auch ganz anders sein. So wie bei dieser aktuellen Platte zum Beispiel, bei dem wir mit einem anderen Produzenten zusammengearbeitet haben. Mit ihm war das arbeiten sehr inspirierend und sehr gegenseitig befruchtend. Wir sind sehr gut voran gekommen. Das hat uns als Band auch wieder total viel Mut gemacht und uns näher zusammengebracht hat. Das Ergebnis war eine Platte, mit der wir alle sehr zufrieden und glücklich sind. Deshalb fahren wir auch voller Elan und Lust auf Tour. Seit Oktober letzten Jahres sind wir immer wieder recht viel unterwegs und du wirst heute Abend sehen, so viel Spass und Freude daran diese Songs zu spielen. Das ist dann schon was anderes. Aber du kannst es nicht immer komplett steuern. Es ist auch ein bisschen Glücksache, ob du den richtigen Produzenten zur richtigen Zeit findest und ob die Chemie in der Band gerade stimmt.
Indiespect: Jetzt seid ihr wirklich seit der Veröffentlichung praktisch immer auf Tour gewesen. Ende August steht mal eine Pause im Tourplan an. Vorher spielt ihr jedoch noch auf der Cruise van Cleef. Das wird nun ja schon einige Jahre veranstaltet. Wie ist die Idee dazu ursprünglich entstanden?
Erik: Das Grand Hotel ist immer auf der Suche nach irgendwelchen besonderen Möglichkeiten, wo wir Musik machen können. Wir spielen schon seitdem es die Band gibt auf Schiffen. Meistens im Hamburger Hafen. Wir haben aber auch schon in Kassel eine Flussfahrt gemacht und auf einem Schiff gespielt. Wir machen alles Mögliche. Wir haben uns auch schon im Hamburger Hauptbahnhof mit Akustik-Gitarren hingestellt oder auf dem Vordach vom Schauspielhaus. Wir freuen uns immer, wenn es irgend eine Möglichkeit gibt, den regulären Rahmen des Musik-Clubs zu verlassen. Ich glaube es war damals so, dass die Betreiber der Sylt-Fähre Jubiläum gefeiert haben. Wie die jetzt auf uns gekommen sind, weiss ich nicht so ganz genau. Aber ich weiss, dass einige der Leute, die das auch dieses Jahr wieder mit uns machen, schon grosse Kettcar-Fans sind. Das hat einfach gut gepasst. Es hat viel Spass gemacht und die Leute, die sich dafür Tickets gekauft haben, fanden es grossartig. Seitdem wird es mit wechselnden Bands gemacht. Und jetzt sind wir mal wieder dran.
Indiespect: Das Label Grand Hotel van Cleef ist ja auch sehr speziell. Es ist selten, dass man bei einer Interviewanfrage direkt Rückmeldung vom Label-Manager erhält. Bei euch ist das aber so. Was unterscheidet für dich Grand Hotel van Cleef von anderen Labels?
Erik: Der Unterschied zu einem Major-Label ist sicherlich, dass das alles ein kleiner Haufen von Freunden ist, die das gemeinsam gegründet haben und betreiben. Und das ganze aus der Not heraus. Damals wollte niemand die erste Kettcar-Platte veröffentlichen. Also hat man dann das eigene Label gegründet. Man kann auch ganz platt sagen, dass das Hauptziel von den meisten Major-Labels Gewinnmaximierung ist. Beim Grand Hotel ist es hauptsächlich Spassmaximierung – und überleben (lacht). Da wird niemand reich damit. Aber ein paar Leute können davon leben. Natürlich vor allem in Kombination. Thees, Marcus und Reimer machen das ja zusammen. Man kann nicht sagen, dass sie es nebenbei machen. Mal sind sie hauptsächlich Label-Leute, mal sind sie hauptsächlich Musiker. Aber die drei sind schon hauptsächlich Musiker. Dann gibts noch Rainer Ott, der den ganzen Laden zusammenhält seit vielen Jahren, aber trotzdem auch immer dabei ist. Er fährt immer mit Thees und Kettcar auf Tour. Das ist auch von allen so gewollt. Man könnte auch sagen: Nee komm, bleib im Büro und mach da alles cool. Jetzt habe ich mich vielleicht ein bisschen verrannt, aber ein paar Unterschiede zu anderen Labels habe ich ja schon genannt.
Indiespect: Was sind für euch die grössten Unterschiede zwischen den Konzerten in Deutschland und der Schweiz?
Erik: Weiss ich gar nicht. Wir spielen wahnsinnig gerne in der Schweiz. Natürlich ist das alles ein bisschen kleiner. Aber erst einmal ist es für uns immer schon eine grosse Freude die engen deutschen Grenzen zu verlassen (lacht). Die Schweiz ist nun mal auch ein wirklich sehr schönes Land. Ich war jetzt auch gerade ein paar Tage hier im Urlaub mit meiner Frau. Als wir zum Beispiel Anfang des Jahres in Schaffhausen gespielt haben, hier ganz in der Nähe, war glaube ich das einzige Mal auf einer fast einmonatigen Tour, wo wir wirklich bis sechs Uhr morgens in ner Kneipe gesoffen haben. Das ist jetzt auch nicht so, dass wir das jeden Abend machen. Auf der Tour waren zwei Konzerte in der Schweiz und beide waren super. Beim einen sind wir halt wirklich total versackt mit sehr netten Menschen. In so fern, Schweiz – immer gerne!
Indiespect: Das ist ein gutes Schlusswort, vielen Dank!