Balthazar auf erfolgreichen Abwegen
Die letzten Jahre verbrachte die belgische Band Balthazar getrennt voneinander – zumindest teilweise. Sänger Maarten Devoldere veröffentlichte im Eiltempo unter dem Namen Warhaus zwei Soloalben. Jinte Deprez, sein Gesangspartner in der Band, zog mit J. Bernardt nach. Auch Bassist Simon Casier alias Zimmerman ging seine eigenen Wege. Vor allem die Projekte der beiden Frontmänner fanden grossen Zuspruch und erschlossen der Band neue Fans. Devoldere besuchte mit Warhaus zahlreiche Male die Schweiz. Bei seinem Auftritt im Salzhaus in Winterthur waren drei von Mitglieder seiner Stammband auf der Bühne.
Ausstieg von Patricia Vanneste und Neubeginn
Während dieser Zeit gab Gründungsmitglied Patricia Vanneste im April 2018 ihren Ausstieg bekannt. Damit verloren die Belgier die einzige Frau in ihren Reihen. Die Arbeit am Nachfolger von Thin Walls (2015) war damals bereits im Gange. Mit Tijs Delbeke hatten Balthazar jemanden gefunden, der in der Lage war, sämtliche Instrumente zu spielen. Delbeke erwies sich als Jackpot, um das im Januar 2019 veröffentlichte Album Fever auf die Bühne zu bringen. Seit Anfang Februar sind Balthazar damit auf Tour. Gestern traten sie in neuer Besetzung im ausverkauften Plaza in Zürich auf.
Jasper Maekelberg alias «Faces on TV». Support und Produzent in einer Person.
Faces on TV: Der Haus-Produzent als Support
Jasper Maekelberg betritt um 19.30 Uhr ganz alleine die Bühne. Unter dem Namen Faces On TV macht er Musik, die eine gewisse Verwandtschaft mit Balthazar aufweist. Makelberg ist aber nicht irgendein Support. Er ist der Produzent des aktuellen Albums Fever. Zudem stand er mit Maarten Devoldere bei dessen Warhaus-Shows auf der Bühne. Für seine Support-Shows ist er alleine angereist, normalerweise wird der Multi-Instrumentalist von einer Band unterstützt. Mit Loop-Geräten und zahlreichen Instrumenten schafft er es, einen magischen Sound-Teppich zu schaffen. Dabei agiert er auf der Bühne, als würde er in einem grossen Kessel einen Zaubertrank anrühren. Er taucht ganz in seine Klangwelt ein und liefert im Alleingang eine tolle Show. Stimmiger könnte wohl niemand sonst für seine Freunde eröffnen. Balthazar haben im Interview verraten, dass sie auch bei kommenden Album mit ihm arbeiten möchten. Er solle ihr ganz persönlicher Haus-Produzent werden – ganz im Stil von George Martin bei den Beatles oder Nigel Godrich bei Radiohead.
Die glorreichen Fünf: Balthazar sind noch immer eine Liveband der Extraklasse.
Balthazar: Fieber, Gin Tonic und ansteckende Musik
Es wirkt beinahe etwas surreal, als Jinte Deprez und Maarten Devoldere gemeinsam die Bühne betreten. So sehr hat man sich an die beiden abseits voneinander gewöhnt. Kurz hat man das Gefühl, eine Supergroup stehe hier vor einem. Devoldere setzt mit seinem bordeauxroten Mantel Akzente, während Devoldere wie gewohnt in schwarz gekleidet ist. Der unverkennbare Bass von Simon Casier leitet mit Roller Coaster den ersten Track des Abends ein, Deprez übernimmt den Gesang. Hier wird bereits vereint, was Fever ausmacht. Afrikanische Vibes, orientalische Einwürfe, ein dominanter Bass und der unverkennbare Balthazar-Mix aus den früheren Jahren. The Boatman führt die Fans zurück zu den Anfängen. Damals auf dem Debüt Applause (2010) erschienen, hat der Song nichts von seiner Magie verloren. Noch ist Devoldere die dominante Stimme bei Balthazar, denn auch bei Sinking Ship vom zweiten Album Rats (2012) und dem neuen Track Wrong Vibration übernimmt er unverkennbar den Lead-Gesang.
Durch unzählige Zigaretten erschaffen: Die Stimme von Maarten Devoldere.
Decency sorgt dafür, dass auch der Fever-Vorgänger Thin Walls (2015) ein erstes Mal zum Zug kommt. Hier darf Deprez mit seiner sanften, geschmeidigen Stimme übernehmen. Es fällt auf, dass bei dieser Band fast nichts aus der Konserve kommt. Sämtliche Violinen-Parts werden live vom neusten Mitglied Tijs Delbeke eingespielt. Mit einer beeindruckenden Leichtigkeit tauscht er den Bogen der Violine mit den Saiten der Gitarre, den Tasten des Pianos oder dem Ansatz einer Posaune. Er trägt bereits jetzt einen grossen Teil zum intensiven Live-Gefühl der Band bei. Grapefruit ist ein Titel, den Maarten Devoldere geschrieben hat, obwohl die dominanten Bässe eher an Jinte Deprez‘ Soloprojekt J. Bernhardt erinnern. Die beiden Musiker haben sich sichtlich gegenseitig inspiriert. Nach Whatchu Doin‘ startet mit einem groovigen Basslauf Wrong Faces – ein weiteres Meisterstück. Viele Tracks des neuen Albums kommen richtig befreit und unbekümmert daher, als hätten sie sich von selbst geschrieben.
Balthazar hat nicht nur einen, sondern gleich zwei ausgezeichnete Sänger. Jinte Deprez ist für die geschmeidigeren Töne verantwortlich.
Der sechste Mann am Bühnenrand
Abseits der Bühne sorgt ein Herr dafür, dass die Musiker nicht austrocknen. Zwar stehen auch die obligaten Wasserflaschen bei den einzelnen Instrumenten, viel lieber wird jedoch zum Glas gegriffen. Balthazar haben sich auf Gin Tonic geeinigt. Kaum hat ein Mitglied der Band sein leeres Glas an den Bühnenrand gestellt, wird ihnen auch schon wieder ein gefülltes überreicht. Zu diesem Zweck stehen extra mit Eis gefüllte Gläser, eine Gin-Flasche und Tonic Water bereit. Mit gut geölter Stimme werden auch mal ruhigere Töne angeschlagen. Vor Phone Number kündigt Devoldere den entspannteren Track an und verspricht dem Publikum: If you join us, we will never delete your phone number. Es ist wohl einer der ruhigsten Balthazar-Songs, genau deswegen besitzt er eine besondere Intensität. Blood Like Wine war früher immer der Konzertabschluss, mittlerweile ist der Song in die Mitte des Sets vorgerückt. Immer und immer wieder erklingt es:
Raise your glass to the nighttime and the ways
To choose the mood and have it replacedBlood Like Wine, Balthazar
Auch wenn der Abend vom vierten Studioalbum Fever dominiert ist, so findet glücklicherweise auch Bunker seinen Platz. Bei der Veröffentlichung 2015 nannte ihn Deprez gar einen seiner Lieblingssongs – und das völlig zurecht. He’s not the man for changes: Maarten Devoldere geht für Changes auf Tuchfühlung mit den Fans. Inmitten des ausverkauften Plaza sinniert der gross gewachsene Sänger musikalisch über die Veränderungen im Leben.
Wo ist Maarten? Der Sänger mischt sich unter seine Fans.
Fever-Hits im Dreierpack
Gegen Ende des Sets entfachen Balthazar mit drei heissen Fever-Tracks ein loderndes Feuer. Auf das smoothe I’m Never Gonna Let You Down Again folgt der Titel-Track Fever. Die Band treibt sich gegenseitig immer weiter an und lässt die Temperatur im Plaza steigen. Die Musiker spielen, als wäre es das letzte Mal. Aber im Anschluss schaffen sie es sogar noch die Spannung und Energie weiter nach oben zu schrauben. Entertainment ist schon auf der Platte ein abwechslungsreiches und tolles Stück. Auf der Bühne entwickelt es sich aber zu einer wilden Komposition. Die Melodien fliessen geschmeidig in einander über und machen es zum perfekten Abschluss – einem Highlight des Abends.
Im Gegensatz zu den Soloprojekten müssen die Mäntel bei Balthazar schnell weichen.
Die Zugaben starten mit I Looked For You, dessen Gitarren-Intro klingt, als würde einem batteriebetriebenen Radio der Saft ausgehen. Do Not Claim Them Anymore ist im Anschluss die endgültige Verabschiedung von Balthazar. Auch dieser Song klingt um Welten angriffiger, als er es damals auf Rats (2012) getan hat. Jinte Deprez durfte das erste Stück des Abends singen und auch beim letzten übernimmt er wieder den Lead. Dieser perfekte Abschluss tröstet sogar darüber hinweg, dass Fifteen Floors auf der Fever-Tour aus dem Set verschwunden ist.
Noch ein letztes Mal mit Gefühl: Balthazar verabschieden sich eindrücklich.
Fazit
Balthazar hatten keine leichte Aufgabe, als sie Patricia Vanneste ersetzen mussten. Doch mit Tijs Delbeke haben sie fünfzehn Jahre nach ihrer Gründung ein neues Kapitel aufgeschlagen. Durch die Soloprojekte haben die beiden Sänger noch einmal an Selbstvertrauen gewonnen, ohne sich auf der gemeinsamen Bühne zu konkurrenzieren. Auch 2019 sind Balthazar noch immer eine der beeindruckendsten Live-Bands überhaupt. Der unverkennbare Sound und die Energie auf der Bühne machen die Belgier zu etwas einzigartigem.