Laibach im Gaswerk Winterthur:
Verstörend und verzaubernd zugleich

In Reviews by indiespect

Laibach: Ein vielschichtiges Gesamtkunstwerk

Die slowenische Avant-Garde-Truppe Laibach ist mehr als eine Band. Mit unterschiedlichen Besetzungen, künstlerischen Visuals und einem breiten Klangspektrum sind sie vielmehr ein Gesamtkunstwerk. Sie nehmen totalitäre Symbolik in ihr Erscheinungsbild auf und spielen damit. Zwischen verstörenden Horror-Elementen und kitschigen pinken Einhörnern ist alles dabei. 2015 standen Laibach als erste westliche Rock-Formation in Nordkorea auf der Bühne. Dieses Konzert fand anlässlich des 70. Jubiläums der Unabhängigkeit Koreas von Japan nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Zu diesem aussergewöhnlichen Projekt gibt es vom norwegischen Regisseur Morten Traavik eine spannende Dokumentation in Spielfilmlänge.

Laibach in Pjöngjang – die Dokumentation «Liberation Day» ist sehr empfehlenswert.

Tiergeräusche statt musikalischer Einstimmung im Gaswerk Winterthur

In Zusammenarbeit mit dem Salzhaus Winterthur schafften es die Veranstalter, die aussergewöhnliche Formation ins Gaswerk zu bekommen. Die Bühne im Salzhaus wäre für die aufwändigen Projektionen zu klein gewesen. Nach dem Konzert im Les Docks in Lausanne am Vorabend, standen die Slowenen gestern in Winterthur auf der Bühne. Vor dem Auftritt gibt es nicht wie üblich eine kuratierte Playlist zur Einstimmung zu hören. Stattdessen wird das Gaswerk mit Tiergeräuschen beschallt. Da zwitschert hier ein Vogel und dort kräht ein Hahn. Der Backdrop auf der Bühne wird bereits hell beleuchtet und sieht aus, als befände man sich an einer Parteiveranstaltung in der UdSSR. Kurz nach 21 Uhr betritt das Kollektiv um Sänger Milan Fras die Bühne.

Laibach

Milan Fras in unverkennbarem Outfit.

1. Akt: The Sound of Music

Gestartet wird erst einmal melodiös. Auf ihrem neusten Album haben Laibach den Film- und Musical-Klassiker The Sound of Music neu aufgearbeitet. Richtig lieblich erklingt der gleichnamige Titel-Track aus den Boxen. Mit sanften Pianoklängen und einer wunderbaren Melodie beginnt der Abend. Spätestens wenn in der Mitte jedoch Fras mit seiner tiefen Sprechstimme übernimmt, verändert sich das Klanggewand schlagartig. Die Mischung ist so skurril, dass es eine gewisse Eingewöhnung benötigt. Gesanglich wird er von der eleganten schwedischen Sängerin Marina Mårtensson unterstützt. Sie ist verantwortlich für die harmonischen Parts bei Laibach. Beim Ausüben ihrer Kunst strahlt sie eine strenge Eleganz aus und zieht die Zuschauer damit in ihren Bann.

The Sound Of Music – untermalt von Bildern aus Nordkorea.

Den männlichen Gesangspart übernimmt beim Album The Sound of Music Boris Benko. Dieser ist live jedoch nicht mit von der Partie. Er wird aber immer wieder in beeindruckender Weise auf den Screens hinter den Musikern eingeblendet. Mit ihrer Adaption schaffen es Laibach, den unschuldigen Kompositionen des Kultfilms aus den 60er-Jahren eine düstere und unheimliche Note einzuhauchen. Aber sie durchberchen diese Düsterheit auch immer wieder. So zum Beispiel als bei My Favorite Things pinke Einhörner und andere skurille Dinge auf der Leinwand erscheinen. Der erste Akt wird mit der Neuinterpretation des koreanischen Volksliedes Arirang abgeschlossen. Diesen Titel haben die Slowenen veröffentlicht, als sich Donald Trump zum ersten Mal in Singapur mit dem nordkoreanischen Führer Kim Jong-un traf.

Laibach

Sänger Boris Benko ist auf der Leinwand mit von der Partie. Davor steht von der Projektion angeleuchtet Marina Mårtensson.

2. Akt: Zwischen Horrorfilm und Jazz mit dem Stahlhammer

Nach fünfzehn Minuten Pause kehrt eine ganz andere Version von Laibach auf die Bühne zurück. Die liebliche Stimme von Marina Mårtensson wird hierbei vorerst nicht mehr benötigt. Verstörende Klänge, gemischt mit Horror-Visuals lassen die Zuschauer Teil einer dunklen Messe werden. Ruhig und verzerrt werden die Instrumente bedrohlich langsam gespielt, bevor beim Song Nova Akropola plötzlich mit voller Wucht das Schlagzeug einsetzt und die Scheinwerfer wild ins Publikum strahlen. Leichte Kost ist das hier nicht mehr. Aber es zeigt nur eine weitere Seite von Laibach. Die Musiker verlieren sich in ihren Instrumenten und die experimentellen Arrangements erinnern an Free-Jazz, der mit einem Stahlhammer gespielt wird. Der Industrial-Sound mit vielen Wiederholungen, immer gleiche Misstöne und speziellen Rhythmen beherrschen den zweiten Akt. Das Kunstprojekt versetzt die Zuschauer zusehends in Trance. Ein Gefühl aus Beklemmung und Faszination bleibt bestehen, als Milan Fras und seine Mitmusiker die Bühne ein zweites Mal verlassen.

Laibach

Milan Fras wird im 2. Akt ganz schön düster.

3. Akt: Rolling Stones und Iron Sky

Erst wenn man sich wirklich auf den Text konzentriert, wird einem bewusst, welche Komposition Laibach hier covern. Sympathy for the Devil von den Rolling Stones ist so stark verfremdet, dass es fast nicht wiederzuerkennen ist. Während auf der Leinwand ein diabolischer Wladimir Putin zu sehen ist, ist Marina Mårtensson wieder in ihrem Element. Mit wilder Mähne singt sie abwechselnd mit Milan Fras die Zeilen von Mick Jagger, obwohl der Begriff des Singens auf Fras eher weniger zutrifft.

Iron Sky wurde von der Musik von Laibach inspiriert.

Richtig modern wird es bei The Coming Race. Der Titel ist eines der zahlreichen Stücke, die Laibach für den Sci-Fi-Kultfilm Iron Sky geschrieben haben. Hier zeigen sie noch einmal eine ganz andere Stärke. Laibach sind durchaus in der Lage, ganze Scores für einen Soundtrack zu schreiben und Songs zu komponieren, die klingen wie eine Mischung aus Bondsong und Feeling Good von Nina Simone. Selten hat man ein solch breites Spektrum wie beim slowenischen Künstler-Kollektiv gesehen. Zum Abschluss wird es noch einmal skurril. Milan Fras montiert einen Cowboyhut und Mårtensson schnappt sich eine Westerngitarre, bevor es bei Surfing Through the Galaxy in ein galaktisches Computerspiel geht. Auf einer Rakete fliegt die pixelige Version von Milan Fras durch das dunkle All und sammelt Herzen auf. Mit diesem schönen Bild geht ein Konzert in drei Akten zu Ende. Auf der Leinwand werden die Credits sämtlicher Songs aus der Setlist abgespielt, während im Gaswerk das Licht langsam wieder angeht.

Laibach

«The Coming Race» klingt wie ein Bondsong.

Fazit

Es ist fast wie das Aufwachen aus einen Traum, als das Konzert von Laibach zu Ende geht. Eine Achterbahnfahrt durch Zuckerwatten-Kitsch, einen düsteren Horrortrip und einen Krieg mit Mondnazis im Weltall endet in einer galaktischen Country-Welt. Das geht nur bei Laibach. Man bleibt etwas ratlos aber definitiv fasziniert zurück. Ohne nur ein Wort ans Publikum zu richten, haben die Slowenen ihren Zauber ausgespielt. Ein denkwürdiger Abend im Gaswerk Winterthur mit einem Gesamtkunstwerk namens Laibach.