Ein Entdecker-Festival, mitten im pulsierenden Langstrassen-Viertel
Das Konzept ist denkbar einfach. Im Gebiet der Zürcher Langstrasse gibt es zahlreiche Bars und Clubs. Ebenso gibt es zahlreiche junge Bands und Solokünstler, die eine Bühne suchen, um sich ein neues Publikum zu erspielen. Das RADAR-Festival kombiniert diese zwei Dinge miteinander – eine Win-Win-Situation. Bereits die erste Ausgabe im letzten Jahr war ausverkauft. Auch 2019 gab es bei Festivalbeginn keine Tickets mehr. Der Entdeckergeist scheint auch in Zeiten von Spotify und Co. noch gross zu sein.
Fitnessprogramm mit abwechslungsreicher musikalischer Untermalung
Das Festival-Zentrum befindet sich im Kulturhaus KOSMOS. Wer vom Hauptbahnhof Zürich kommt, läuft durch die Europaallee und sieht viele neue Bars und Geschäfte. Zwar gibt es noch sehr viele Baustellen, doch man stellt schnell fest, welches Trendquartier dort entsteht. Im KOSMOS-Klub selbst finden ebenfalls Showcase-Konzerte statt. Mit stimmiger Belichtung wirkt der Raum modern und einladend. Dort eröffnet um 17 Uhr die einheimische Sängerin Priya Ragu das Programm. Nebst Bands aus England, Deutschland oder Österreich machen Schweizer Acts einen Grossteil des Programms aus.
Die Winterthurer Band Messina steht als erste im Club Zukunft auf der Bühne.
Die Qual der Wahl: Cold Kisses von Messina im Club Zukunft
Mit einer grossen Auswahl kommt auch immer die Frage einher, was man sich ansehen möchte. Das Ziel alle Locations zu besuchen, erweist sich bereits nach kurzer Zeit als ziemlich utopisch. Die Entscheidung ist auf einen ersten Besuch im Club Zukunft gefallen. Die Tanzfläche ist beim Auftritt von MESSINA bis hinten gefüllt. Dies wird sich auch am Rest des Abends nicht ändern. Mit Cold Kisses eröffnen sie ein abwechslungsreiches Set, mit einem angenehmen Mix aus Indie-Rock und elektronischen Klängen. Die Kombination der beiden Genres eröffnet der Winterthurer Band ein ganz neues Klangspektrum. Mal tanzbar, mal ruhig und eingängig – MESSINA überzeugen mit viel Kreativität und glasklarem Sound.
BLOND sind extra aus Chemnitz angereist.
Gonzo: Ein Raum für Blondinators
BLOND standen im Februar 2018 mit Kraftklub auf der Bühne des Zürcher Volkshauses. Bereits damals zeigten die Geschwister aus Chemnitz mit einem überzeugenden Auftritt, dass mit ihnen in Zukunft zu rechnen ist. Deshalb ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch im Gonzo vorübergehende Eingangssperre verhängt wird, während die Band auf der Bühne, in rotes Licht getaucht, ihre Fanbase erweitert. BLOND legen sich nicht auf eine Sprache fest. Sie wechseln fliessend zwischen Englisch und Deutsch. In Zürich stellen sie zwei neue Songs in ihrer Muttersprache vor. Die Texte sind wie gewohnt zwischen Wahnwitz und Verstörung angesiedelt. Die Wortfetzen, die davon im Kopf bleiben erzählen von einem kranken Hit, der zu Rolex und Kokain führt oder einer Widersacherin in Liebesdingen, die mit einem Spaten im Garten vergraben wird. Auch wenn das Genre verlassen wird, um den Hip Hop zu zelebrieren, weiss das Trio zu überzeugen. Liebenswürdig, ironisch und grössenwahnsinnig schaffen es BLOND sogar im kleinen Gonzo, beim abschliessenden Song Spinaci, einen Moshpit zu bekommen.
ZID hat Bligg auf seiner aktuellen Tour als Support begleitet.
ZID: Zürcher Pop in der Perle
Nicht nur die Indie-Fans zieht es in die Langstrasse. In der Perle sieht man ein anderes Publikum, als ZID seine Mundart-Pop-Songs zum Besten gibt. Der Club passt perfekt zur Musik des Zürcher Künstlers. Die moderne Beleuchtung ist eine wahre Augenweide. Mit Daniel Gisler und Philipp Morscher haben sich auch zwei Mitglieder von Hecht ins Getümmel der prall gefüllten Perle gestürzt. ZID war bis vor kurzem als Support von Bligg auf Tour und konnte dadurch ein neues Publikum gewinnen. Am RADAR-Festival wird er noch einmal eine andere Zuhörerschaft gefunden haben. Die Bligg-Fans dürften hier in Unterzahl sein.
The Howl & The Hum in der Amboss Garage.
Die Neu-Entdeckung des Abends: The Howl & The Hum
Es sind diese Momente, die ein Entdecker-Festival ausmachen. Kurz vor dem Auftritt von The Howl & The Hum ist die Amboss Garage noch kaum gefüllt. Die Band steht vor und auf der Bühne, um die Instrumente einzurichten. In seinem Auftreten wirkt Sänger Sam Griffiths wie ein älterer Herr. Gedeckte Farben, wie Brandon Fraser in Die Mumie, Bundhose, runde Brille und eine Frisur, bei der selbst Crimer von Neid erblasst, zeichnen ihn aus. Die Garage ist mittlerweile gut besucht und The Howl & The Hum beginnen damit, ihre Magie zu entfesseln. Diese Stimme ist eine Wucht, sowohl in den Höhen als auch in den Tiefen. Musikalisch lässt sich der Stil nur schlecht einordnen. Auf ihrer Webseite schreiben die Musiker dazu, dass The Howl & The Hum Bond-Songs für Filme schreiben, in denen James (von ihnen liebevoll Jimmy gennant) noch immer dem Mädchen nachtrauert. Aber auch sonst ist das Themenspektrum breit gefächert. Weil es Donald Trumps meist gefürchtetes Tier ist, singen sie I Wish I Was A Shark. Und inspiriert von einem Tweet der kalifornischen Feuerwehr haben sie Don’t Shoot The Storm geschrieben.
Don’t shoot at the storm
It only makes it worse
The winner takes the bullets
Put them in reverseDon't Shoot The Storm, The Howl & The Hum
Vor einigen Jahren warnte die Feuerwehr via Twitter die Anwohner davor, mit der Schrotflinte in ihren Garten zu gehen, um auf den Hurricane zu schiessen. Die Kugeln könnten nämlich zurückfliegen. Amerika sorgt mit solchen Absurditäten immerhin für Inspiration zu guten Songs. Die Band ist für ihren Auftritt extra 20 Stunden mit dem Van von York nach Zürich gefahren. Nach ihrem Set verkaufen sie vor der Garage Merchandise aus einer kleinen Kiste, die sie darin extra mitgebracht haben. Diese Jungs aus York sind so fantastisch, dass sie sich hoffentlich nicht viel Zeit für eine Rückkehr lassen. Dann haben sie hoffentlich nicht nur eine Single, sondern ein ganzes Album in der Kiste.
Ten Tonnes bei seinem ersten Auftritt in der Schweiz.
Ten Tonnes: Der Urheber der neuen Indie-Hymnen
Nach diesem Wahnsinns-Auftritt hat der kleine Bruder von George Ezra keinen leichten Stand. Ethan Barnett alias Ten Tonnes spielt gleich nebenan in der Amboss Rampe. Ohne ein Album veröffentlicht zu haben, tritt der Engländer dieses Jahr bereits zum vierten Mal in Folge am Reading and Leeds Festival auf. Sein Debüt ist mittlerweile aber immerhin in Sichtweite. Es erscheint am 3. Mai 2019 beim Major Label Warner Music. Der 22-jährige Barnett hat sich damals mithilfe einer EP mit drei Songs einen Plattenvertrag ergattert. Dies verhalf ihm zu den grossen Festival-Auftritten und machte ihn zum Support-Act bei Arena-Shows von Bands wie Stereophonics oder George Ezra. Dieser Umstand lässt darauf schliessen, dass der junge Musiker einen Nerv getroffen hat. Und tatsächlich sind seine Songs fast allesamt Ohrwürmer. Sie haben das Zeug, sowohl das Mainstream-Publikum, als auch die Indie-Fans zu begeistern. Die neuste Single Lucy wurde eben erst bei Annie Mac auf BBC 1 als Hottest Record in the World gekürt. Auch in Zürich haut Ten Tonnes einen nach dem anderen raus. Egal ob das erwähnte Lucy zum Ende oder Songs wie Better Than Me und G.I.V.E., der Engländer hat schon eine ganz schöne Menge an Hits in seinem Rucksack. Die Weichen sind auf Erfolg gestellt. Vielleicht wird er schon bald wie sein Bruder, die grossen Hallen füllen.
Ein Blick in die Zukunft. Bei Georgia sieht man mehr vom Club, als von der Künstlerin. Der Raum ist zum Bersten voll.
Bei Georgia platzt die Zukunft aus allen Nähten
Wer Georgia sehen möchte, muss entweder früh genug vor Ort sein, oder draussen vor der Tür auf den Einlass warten. Der Club im Keller ist bis in die letzte Ecke gefüllt. Mit ihren elektronischen Klängen erweist sich die Engländerin als hervorragender Act, um das Zürcher RADAR-Publikum in die Nacht zu entführen. Die sphärischen Songs verleiten dazu, die Augen zu schliessen. Wer weiter hinten steht, sieht sowieso nichts und kann so die Musik noch intensiver erleben.
Vendredi sur la mer verführt die Zuhörer mit französischen Songs.
Vendredi sur mer: Der Kreis schliesst sich im KOSMOS
Der Abend endet dort, wo er begann. Im KOSMOS steht Vendredi sur mer auf der Bühne. Die Schweizer Sängerin Charline Mignot lebt mittlerweile in Paris und ist in Frankreich auch bestens bekannt. In der Deutschschweiz kennt man sie bisher nicht wirklich, hier zeigt sich wieder einmal der Röstigraben. Dennoch ist auch hier wieder volles Haus. Mit einer Mischung aus französischem Sprechgesang und erfrischendem Chanson-Charme zieht sie ihr Publikum in den Bann. Begleitet wird die Sängerin von einem Tänzer, der sich im Takt der Musik bewegt. Auch bei den Auftrittszeiten haben die Veranstalter ein gutes Händchen bewiesen. Was mit Gitarren und Tempo begann, endet in einer elektronisch-träumerischen Klangwolke. Wer noch immer nicht genug hat geht im Anschluss ins Kino Roland. Doch davor bildet sich bereits eine lange Schlange, sodass sich manch einer mit dem bereits Erlebten begnügt und sich mit viel neuer Musik in den Ohren auf den Heimweg macht.
Hier ist Endstation: Im Kino Roland lassen die Musikfans den Abend ausklingen.
Fazit
Die zweite Ausgabe des RADAR-Festivals war in vielerlei Hinsicht ein voller Erfolg. In friedlicher Stimmung gingen spannende Konzerte über die Bühne. Die unterschiedlichen Locations trugen zusätzlich zur Abwechslung bei und man blieb den ganzen Abend in Bewegung. Für die Künstler war ausserdem sehr erfreulich, dass so ziemlich alle Bands am ausverkauften Festival in einem sehr gut gefüllten Club spielen durften. Wer sich einen bestimmten Act unbedingt anschauen wollte, musste etwas früher vor Ort sein, aber auch mit Einlass-Stopps hatte man noch die Chance einen Teil des Auftritts zu sehen.