Eine Reise durch die Zeit mit Cold Reading

In Spektrum by indiespect

Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft

Die Luzerner Alternative-Rock-Band Cold Reading arbeitet derzeit an einem ambitionierten dreiteiligen Konzeptalbum. Der Schwerpunkt Zeit äussert sich nicht nur in den Titeln der einzelnen EPs, sondern auch in den Klängen sowie den Aufnahmetechniken. Die erste Veröffentlichung ist ihrem Titel entsprechend bereits vergangen. Auf Part 1: Past Perfect setzten die Musiker auf analoge Aufnahmetechniken und den Sound ihrer früheren Songs. Der letzte Track Escape Plan Blueprint / New Domain markiert mit seinem zweigeteilten Charakter den Übergang von der Vergangenheit zur Gegenwart. Die zweite EP wird im September erscheinen und trägt den passenden Titel Part 2: Present Tense. Die Aufnahmen zu den ersten beiden Teilen wurden zusammengelegt, dennoch kann man die Unterschiede in der Herangehensweise hören. Cold Reading experimentieren mit anderen Klangmustern und lassen sich viel Zeit für Instrumentalparts, ohne sich von der Angst ihre Fans zu verprellen, einschränken zu lassen.

Cold Reading

Cold Reading besprechen die neuste Komposition.

Der erste Teil «Part 1: Past Perfect» ist seit Ende Mai als Stream verfügbar.

Bier, Idylle und viel Musik

Die Arbeit am herausforderndsten Teil ist derzeit in vollem Gange. Drei der vier Songs von Part 3: Future Continuous sind bereits geschrieben, der vierte ist noch in der Mache. Um wichtige Schritte zur Vollendung zu nehmen, haben die fünf Bandmitglieder das lange Pfingstwochenende genutzt und sich im idyllisch gelegenen Bandraum in Root, Luzern, voll und ganz der Musik zu widmen.

Bei Bier und Zigarette sitzen die Musiker zwischen Schrebergärten im Kreis und geniessen die späte Nachmittagssonne. Cold Reading besteht aus Sänger, Keyboarder und Texter Mike Portmann, Gitarrist Christian Limacher, Gitarrist Alain Schurter, Bassist Arthur Londeix und Schlagzeuger Marc Breitenmoser. Zwischen den Stühlen befindet sich eine kleine Wireless-Box aus welcher Aufnahmen des neusten, unfertigen Songs der Luzerner erklingen. Ganz zufrieden mit dem aktuellen Stand ist man noch nicht. Besonders Sänger Mike muss sich an den neuen Klang gewöhnen und möchte auf alle Fälle noch einmal den Text überarbeiten.

Cold Reading

Cold Reading haben einen Bandraum mit Tageslicht.

Wer die Wahl hat, hat die Qual

Es ist der musikalisch grösste Schritt, den die Band je gemacht hat und das spürt man. Im dritten Teil der EP-Trilogie will man elektronischere Einflüsse zulassen und fördern. Dies bietet unzählige Möglichkeiten, was natürlich auch mehr Entscheidungen mit sich zieht. Es ermöglicht aber gleichzeitig Chancen, neue Wege einzuschlagen und ohne Grenzen zu arbeiten. Kaum ist das Bier leer, zieht es die gut gelaunten Musiker zurück in den Bandraum. Anders als bei vielen Bands führt keine Treppe in einen Luftschutzkeller. Bei Cold Reading geht es in die entgegengesetzte Richtung. Die Treppe hoch, in einen grossen Raum mit zwei Fenstern und Tageslicht. Hier lässt es sich aushalten. Gemütlich, mit Sofas und Kühlschrank eingerichtet, bietet das Heiligtum der Luzerner genügend Platz für alle fünf Mitglieder mitsamt Instrumenten. Bevor es losgehen kann, müssen Samples vom Laptop auf die Instrumente geladen werden. Hier scheint moderne Technik definitiv kein Fremdwort zu sein. Auch wenn die diese nicht auf Anhieb wie gewünscht mitmacht, kommt keine schlechte Stimmung auf. Die Leidenschaft jedes einzelnen ist spür- und sichtbar. Die Musiker lachen viel und verlieren sich in der Musik, während sie in einem Jam alles aus den Instrumenten holen. Es ist ein spielerischer Weg, der zu neuen Ideen führt und gleichzeitig den Kopf frei macht. Auch länger nicht mehr geprobte Songs werden getestet. Man ist überrascht, wie gut sie noch funktionieren.

Cold Reading

Idylle fördert die Inspiration.

Pausen gehören zum Kreativprozess

Erst als der Magen zu laut knurrt, werden die Instrumente beiseite gestellt und ein kleiner Gasgrill bereit gemacht. Die Grillparty besteht ausschliesslich aus vegetarischen Produkten und diversen Salaten. Auch hier scheint die Band gleich zu denken. Bier, Kippen und kein Fleisch – dies sind drei Attribute, die auf alle Musikern von Cold Reading zutreffen. Hauptgesprächsthema ist natürlich die Musik. Hier werden Lieblingsbands angespielt und über die eigenen Aufnahmen gesprochen. So erzählt Sänger Mike nach der Vorführung von Part 2: Present Tense zum Beispiel, dass sie bei den das Studio für zwei Wochen gebucht hatten, um zwei Teile am Stück aufzunehmen. In der ersten Woche sei er komplett erkältet gewesen und somit unfähig zu singen. Dafür sei in der zweiten alles wie am Schnürchen gelaufen. Er hätte seine Parts viel schneller eingesungen gehabt, als gedacht. Wie eingangs erwähnt spürt man auf Part 2: Present Tense den Drang nach Diversität und einer erweiterten Identität. Hier trifft eine funkige Bassline auf einen stilistisch ungewohnten Gesang. Cold Reading streben danach, in sämtlichen Facetten ihres Klangs, neue Stilmittel zu entdecken. Die Sonne geht langsam unter und die Temperaturen fallen von Minute zu Minute. Eine weitere Live-Session steht an.

Cold Reading

Der kleine Gasgrill will nicht sofort zünden.

Das Licht im Bandraum ist gedimmt und jetzt wird schon fast ein waschechtes Konzert gespielt. Auf Through The Woods Pt. 1 folgt das EP-Verbindungsstück Escape Plan Blueprint / New Domain. Nach etwas mehr als vier Minuten enthält dieser Song eine mehrsekündige Pause. Diese wird gemäss Aussage der Band bei Radiostationen regelmässig entweder komplett rausgeschnitten, oder stark gekürzt. Scheinbar hätten die Sender Programme, die lange Pausen erkennen und automatisch entfernen. In diesem Fall ist das natürlich schlecht für die Wirkung der Komposition. Draussen ist es längst komplett dunkel geworden, als die Instrumente für diesen Tag endgültig aus den Händen gelegt werden.

Cold Reading

Die Proben gehen weiter, auch wenn das Tageslicht weicht.

Die Vergangenheit ruft ein weiteres Mal

Wieder bildet sich ein Stuhlkreis vor dem Haus. Das Konzept der Vergangenheit wird in einer neuen Form aufleben gelassen. Ein Smartphone macht die Runde und jeder sucht der Reihe nach einen Guilty Pleasure-Song aus früheren Tagen heraus. Längst vergessene Stücke, die man doch noch etwas zu gern hat, als man es zugeben möchte, erklingen aus den Boxen. Von Sum 41, über Avril Lavigne und Halifax bis hin zu Blindside, ist vieles vertreten, was Gitarren enthält. Nachdem Gitarrist Alain den letzten Zug nach Luzern anpeilt, um in seinem eigenen Bett zu schlafen, werden noch zahlreiche weitere musikalische Schuldbekenntnisse gemacht und in geselliger Runde einige Bierdosen geleert. So ist es bereits 2 Uhr in der Nacht, als im Bandraum die Matten ausgerollt und die Sofas mit Schlafsäcken bezogen werden.

Cold Reading

Gut gelaunt in den Feierabend.

Für die Band ist es erst der Anfang eines mehrtägigen Probemarathons. Es wird klar, wie viel harte Arbeit, Leidenschaft und Hingabe in der Musik von Cold Reading steckt. Verknüpft mit einer lockeren Atmosphäre und guten Freunden, fühlt sich der ganze Aufwand aber definitiv leichter an. Spätestens wenn die eigenen Songs fertig sind und man sie an einem herrlichen Sommerabend gemeinsam hören kann, hat sich der Schweiss und die investierte Zeit gelohnt.