44. Musikfestwochen: Nothing But Thieves zeigen in Winterthur Headlinerqualitäten

In Reviews by indiespect

Winterthurer Musikfestwochen 2019:
Herausforderungen für die Veranstalter

Dieses Jahr haben die Veranstalter der Musikfestwochen mit so mancher Widrigkeit zu kämpfen. Bereits einige Zeit vor dem Festival wird bekannt, dass der Sonntags-Headliner Beirut sämtliche Auftritte absagen muss, weil Sänger Zach Condon an einer Kehlkopfentzündung leidet. Kurzerhand entscheiden sich die Verantwortlichen, den Abschlussabend öffentlich und gratis zu machen. Doch gestern kommt es noch schlimmer. Ein zweiter Headliner fällt kurzfristig aus. Madrugada-Sänger Sivert Høyem musste wegen eines medizinischen Notfalls ins Spital gebracht werden. Diese Nachricht erreicht die Fans wenige Stunden vor Türöffnung. Wieder muss ein Notfallplan aufgesetzt werden und im Gegensatz zur Absage von Beirut hat man dafür nur Stunden und keine Wochen oder Monate Zeit. Emilie Zoé und Nothing But Thieves sollen ihre Auftritte wie geplant spielen und um 21.45 Uhr wird die Steinberggasse für alle geöffnet. Kurz nach 22 Uhr werden die beiden Winterthurer Bands Hathors und Greatasstits Spontan-Gigs auf der Hauptbühne absolvieren. So etwas funktioniert auch nur in der Musikstadt Winterthur.

Emilie Zoé

Emilie Zoé ist eine Naturgewalt.

Emilie Zoé: Unberechenbar und wild

Dass der Auftakt so wild wird, denkt wohl kaum jemand, als er die schüchtern wirkende Emilie Zoé auf der Bühne sieht. Unterstützt wird die Sängerin von Schlagzeuger Nicolas Pittet. So startet die Lausannerin auch erst sanft und verträumt. Nur ihr stechender Blick lässt erahnen, was da noch schlummert. Wo andere ihre Augen beim Singen schliessen, reisst sie Emilie Zoé ganz weit auf. Den musikalischen Schalter kippt sie nach Tiger Song und zeigt was man alles aus Gitarre, Schlagzeug und Gesang holen kann. Immer wilder werden die Melodien, teils untermalt von so lange wiederholten Textpassagen, dass es die Zuschauer in Trance versetzt. Dann gibt es wieder einen Knall und die Steinberggasse erwacht aus dem Tagtraum. Von ungläubigem Kopfschütteln bis zu breitem, bewundernden Grinsen sieht man alles in den Gesichtern der Zuschauer. Die Musik ist wie immer Geschmacksache, doch eines lässt sich mit Sicherheit sagen: kalt lässt diese Wucht keinen auf dem Platz.

Nothing But Thieves

Nothing But Thieves haben seit 2015 eine ganze Menge Bühnenerfahrung gesammelt.

Nothing But Thieves: Sie sind bereit, um ganz oben zu stehen

In den letzten Jahren konnten die jungen Engländer von Nothing But Thieves unglaublich viel Erfahrung auf der Bühne sammeln. Sei es bei eigenen Shows um den ganzen Globus oder bei einem der zahlreichen Auftritte als Support von Muse, auf deren Drones-Tour. Zwei Alben haben die Briten seit 2015 veröffentlicht und sich direkt von der Masse an Bands abgehoben. Die unverkennbare Stimme von Sänger Conor Mason sorgt für den unverkennbaren Klang der Formation. Der Songschreiber ist jedoch nicht Mason selbst, sondern Gitarrist Joe Langridge-Brown. Auch in der Schweiz geht es für Nothing But Thieves stetig bergauf. Vom Kinski ging es übers Dynamo bis zuletzt ins X-TRA. Bei den hiesigen Festivals spielen sie dagegen noch eher im Mittelfeld. Doch mit Geduld und mitreissenden Live-Shows kämpfen sie sich auch da immer weiter nach oben. Diese Einstellung hilft ihnen auch an diesem Abend. Die Absage von Madrugada macht sie zum gefühlten Headliner. Dass sie diesem Status durchaus gerecht werden können, beweisen die fünf Musiker eindrücklich.

Nothing But Thieves

Conor Mason, Joe Langridge Brown und Sir David Attenborough (auf dem Shirt)

Zwischen viel Gefühl und Gitarren-Feuerwerk

Mit ihrem jüngsten Song starten Nothing But Thieves ihr Set. Forever and Ever More ist im Oktober 2018 auf der EP mit dem klingenden Titel What Did You Think When You Made Me This Way? erschienen. Es folgt ein Mix vom selbstbetitelten Debüt-Album Nothing but Thieves (2015) und Broken Machine (2017). Die Stimme von Conor Mason ist so einzigartig, dass sie gleichzeitig Gewinn und Risiko für die Band ist. Die Engländer müssen sich stetig wieder neu erfinden, um nicht immer ähnlich zu klingen. Das gelingt ihnen durch die Mischung von ruhigeren Songs wie Soda und wilden Kompositionen wie I’m Not Made by Design. Den Grundstein für ihre immer weiter wachsende Fangemeinde haben Nothing But Thieves aber definitiv mit Trip Switch gelegt. So ist es selbstverständlich, dass dieser Track in der Mitte des Sets nicht fehlen darf.

Nothing But Thieves

Trotz Abwesenheit von Madrugada ist die Steinberggasse voll geworden.

Die lyrischen Qualitäten offenbart Joe Langridge-Brown vor allem auf dem zweiten Album Broken Machine. Der titelgebende Track und allen voran I Was Just A Kid zeichnen auch die schwierigen Facetten des plötzlichen Drucks im Rampenlicht auf. So hat Langridge-Brown seinen Bandkollegen Conor Mason beobachtet, wie dieser während und nach der Tour zum Debütalbum immer tiefer in eine Krise rutschte und im Rückblick auf diese Zeit die passenden Zeilen geschrieben.

I was just a kid
I needed answers
I found a screen
Promised adventure
Just as I thought
I had it all
I pulled the trigger
And nothing happenedI Was Just A Kid, Nothing But Thieves

Die fünf Musiker sind trotz ihrem immer grösser werdenden Erfolg auf dem Boden geblieben. So spürt man auch in Winterthur eine ehrliche Dankbarkeit gegenüber den Fans und denjenigen, die es noch werden könnten. Ein voller Platz wird noch immer nicht als Selbstverständlichkeit angesehen. Viel lieber als mit grossen Ansprachen und Sprüchen überzeugen die Jungs aus Southend-on-Sea das anwesende Publikum mit ihren gewaltigen Songs. Ban All The Music schraubt das Tempo nach oben und Sorry drosselt es wieder stimmungsvoll. Spielend schaffen es die Engländer, verschiedenste Stimmungen zu erzeugen, bevor sie sich mit Amsterdam eindrucksvoll von der Steinberggasse verabschieden. Für die Madrugada-Fans ist es zwar bestimmt nicht der Abend, den sie sich vorgestellt und erhofft hatten, aber ein grosser Prozentsatz hätte Nothing But Thieves zweifellos gerne noch länger zugehört.

Nothing But Thieves

Die Headliner von morgen: Nothing But Thieves.

Fazit

Die Musikfestwochen haben in diesem Jahr aufgezeigt, warum 2019 schon die 44. Ausgabe stattfindet. Mit viel Herzblut und Leidenschaft schaffen es die Verantwortlichen auch in schwierigen Situationen, die beste Lösung zu finden. Mit einer offenen Kommunikation, auf Augenhöhe mit den Besuchern, haben sie sich die Sympathien gesichert und bei jedem Problem eine gute Lösung gefunden. Durch die Absage von Madrugada konnte gestern eine junge Band brillieren, von der es vielleicht in einigen Jahren auch heisst: Was, die haben mal an den Musikfestwochen gespielt? Ganz so wie es schon mit zahlreichen anderen Bands passierte, die in der Musikstadt Winterthur auftraten, seien es Radiohead, Muse oder die Foo Fighters.

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