We Are Scientists feiern Tourabschluss: 50 Jahre «With Love and Squalor» im Roundhouse in London

In Reviews by indiespect

We Are Scientists: Graue Haare und doch kein bisschen erwachsen

Wie bitte? Das Erfolgsalbum von We Are Scientists ist bereits 50 Jahre alt? Dafür sehen Keith Murray und Chris Cain aber noch ganz fit aus. Natürlich ist das wieder einmal nichts anderes als ein Scherz, der aber bis zu den Tour-Plakaten und Merchandising-Artikeln durchgezogen wurde. With Love And Squalor erschien im Januar 2005 und hat damit bald 15 Jahre auf dem Buckel. Damals war die US-Indie-Band ihrer Zeit voraus, denn die süssen Kätzchen auf dem Cover hatten sie bereits vor dem Zeitalter der Katzenvideos im Internet. Damals bestand das Trio noch aus Murray, Cain und dem Schlagzeuger Michael Tapper. Zusammen schufen sie mit Songs wie Nobody Move, Nobody Get Hurt, It’s A Hit oder The Great Escape Titel, die seither jede Indie-Party bereichern. Die Haare von Sänger Keith Murray sind mittlerweile ergraut, am Schlagzeug wurde Tapper erst durch den ehemaligen Razorlight-Schlagzeuger Andy Burrows und seit 2014 durch Keith Carne ersetzt, ansonsten sind die Protagonisten noch immer dieselben. Auf der Bühne und in zahlreichen Videos auf ihren sozialen Kanälen verwandeln sich Murray und Cain regelmässig zu waschechten Comedians. Aber nicht nur der Klamauk zeichnet die New Yorker aus, sondern auch Herzlichkeit und die Leidenschaft für ihre Musik, welche sie bei jedem einzelnen Konzert ausstrahlen. Am vergangenen Samstag fand die Jubiläumstour zu With Love and Squalor ihren Höhepunkt und zugleich ihr Ende im Londoner Roundhouse. We Are Scientists bescherten der englischen Hauptstadt einen Abend voll mit Euphorie und guter Laune.

With Love and Squalor

We Are Scientists machten Katzen noch vor den Videos auf Social Media gross, das beweist ihr Cover zu «With Love and Squalor» von 2005.

Marsicans

Support von Marsicans aus Leeds. Die Band wird von We Are Scientists liebevoll «pieces of shit» genannt.

Marsicans: In der Beziehung zum Support zeigt sich die menschliche Grösse von We Are Scientists

Als Support für ihre Konzerte in England haben sich We Are Scientists eine Band aus Leeds ausgesucht. Die Jungs von Marsicans hatten ihren ersten direkten Kontakt mit den Amerikanern vor sieben Jahren, als sie nach ihrem ersten London-Konzert Keith Murray über den Weg liefen und ihn nach einem Foto fragten. Mit der Anfrage, ob sie gerne als Support mit auf Tour kommen würden, schliesst sich der Kreis vom Fanboy zu Musiker-Kollegen. Mittlerweile wird der Support-Act von Murray und Co. liebevoll pieces of shit genannt. Während ihrem Auftritt spürt man, dass die Chemie zwischen beiden Bands ausgezeichnet stimmt, die Marsicans scheinen nicht nur das Londoner Publikum, sondern auch den Headliner des Abends mit ihrer Performance beeindrucken zu wollen. Die positive Energie, die bereits beim Opener von der Bühne kommt, überträgt sich auf die Fans im Roundhouse und sorgt für eine lockere und ausgelassene Stimmung.

We Are Scientists

Mit Schnauz, Charme und Krawatte: We Are Scientists im Roundhouse in London.

We Are Scientists ziehen dauergrinsend alle Register

Die Hauptakteure kommen nicht einfach auf die Bühne und legen los. Sie werden stattdessen von einem mehrminütigen gesprochene Intro ab Band angekündigt, das sich gewaschen hat. With Love and Squalor wird als spirituelle Erfahrung bezeichnet und dass es sich beim Hören dieses Albums, um einen der seltenen und wirklich wertvollen Momente im Leben handelt. Diese humoristische Selbstbeweihräucherung lockert die Stimmung noch weiter auf, überall ist Gelächter zu hören. Dann kommen sie endlich – die geheiligten Wissenschaftler. Für ihren Tourabschluss haben sich alle rausgeputzt. Schlagzeuger Keith Carne trägt Krawatte, Chris Cain immerhin Sakko und Schnauz. Keith Murray beeindruckt wie immer mit seinem grauen Haar und seiner dennoch jugendlichen und fröhlichen Erscheinung. Als er das altbekannte Gitarren-Intro von Nobody Move, Nobody Get Hurt anschlägt, gibt es im Roundhouse kein Halten mehr. Der Gesang der Fans ist ohrenbetäubend und die Hüpfquote weit über 90%.

«Nobody Move, Nobody Get Hurt» – diesen Song kennt wirklich jeder Indie-Fan.

Because my body is your body
I won't tell anybody
If you want to use my body
Go for it, yeah

Nobody Move, Nobody Get Hurt – We Are Scientists

Die fantastische Stimmung zieht sich durch alle Songs des Klassiker-Albums. Für Lacher sorgt Murray wieder, als er erwähnt, dass sein Vater auch anwesend ist. Dieser hätte ihm vor Aufnahme des Albums geraten, er solle mal etwas schreiben, das mehr als drei Akkorde habe. Er hätte es dann mit Jazz probiert und im Anschluss einen weiteren Track mit sage und schreibe drei Akkorden geschrieben. Wenn dabei ein Album wie With Love and Squalor entsteht, muss man sich aber nicht schämen, ganz egal wie viele Akkorde es enthält. Es ist wunderbar auch Lieder, wie die nur selten gespielten Lousy Reputation, Worth The Wait oder What’s The Word, live zu hören. Nebst der Musik ist auch die Harmonie in den Reihen von We Are Scientists beeindruckend. Da wird sich zwischen den Stücken Sachen ins Ohr geflüstert, lustige Anekdoten erzählt und viel gemeinsam gelacht. Diese Band scheint seit jeher gute Laune zu haben.

We Are Scientists

Keith Murray ist die Stimme und der Silberfuchs von We Are Scientists.

Die Margherita-Phase bricht an

Nach dem Kapitel With Love and Squalor verlassen die drei Musiker kurz die Bühne. Bei der Rückkehr ist das Bier von vorher mit Margheritas ausgetauscht worden. Keith Murray meint dazu, dass jetzt die Margherita-Phase angebrochen sei. Man solle bitte allfällige Aussetzer und Ohnmachtsanfälle entschuldigen. Nach dem etwas ruhigeren Einstieg mit Ghouls geht es mit Rules Don’t Stop, Buckle und Chick Lit äusserst tanzbar weiter. Am ruhigsten wird es bei den Klängen von KIT vom neusten Album Megaplex. Von derselben Platte kurbelt dafür One In One Out gleich im Anschluss wieder mit Vollgas das Tempo an. Mit After Hours gibt es den bekanntesten Track von Brain Thrust Mastery, dem Nachfolger-Album von With Love And Squalor von 2008 auf die Ohren. Nach No Wait at Five Leaves, ebenfalls vom neuesten Album, braucht Schlagzeuger Keith Carne eine kleine Pause – so zumindest die Aussage von Keith Murray. Diese wissen die New Yorker auf ganz besondere Art und Weise zu überbrücken.

We Are Scientists

Der Mann mit der wehenden Mähne am Schlagzeug ist Andy Burrows, der Vorgänger von Keith Carne.

Andy Burrows: Der verlorene Sohn kehrt zurück

Für Nice Guys holen sich We Are Scientists ihren alten Drummer zurück auf die Bühne, welcher den Song bei den Aufnahmen zu Barbara am Schlagzeug sass. Anders als bei vielen anderen Bands sind die Musiker noch eng befreundet und man trifft sich immer, wenn man in Lodon ist. Dass auch Keith Carne kein Zacken aus der Krone fällt, wenn sein Vorgänger für einen Song übernimmt, macht die Sache noch sympathischer. Andy Burrows ist auch seit seinem Ausstieg bei We Are Scientists immer umtriebig geblieben. So war er Tour-Drummer von Tom Odell, machte bei Smith & Burrows gemeinsame Sache mit dem Editors-Frontmann Tom Smith, schrieb Soundtracks und veröffentlichte Soloalben. Sein kurzer und intensiver Auftritt ist ein schönes Zückerchen für den perfekten Tourabschluss von We Are Scientists. Nach einer herzlichen Umarmung übergibt er die Drumsticks wieder an Keith Carne und verlässt unter Applaus die Bühne. Mit Too Late und Dumb Luck als Zugaben runden die sympathischen US-Indie-Helden in ihrer aktuellen Besetzung den Abend ab. Sie haben es am Ende auch in London geschafft, jedem Fan ein Lachen ins Gesicht zu zaubern.

We Are Scientists

Fazit

Es gibt wohl kaum eine sympathischere Band als We Are Scientists. Die positive Ausstrahlung spiegelt sich auch in den Fans wieder. Alle Konzertbesucher freuen sich und feiern ihre Helden friedlich aber ausgelassen. Die Freundschaft zwischen den Musikern ist der Motor, der diese Maschine seit knapp zwanzig Jahren im Gang hält. Ein Ende scheint zum Glück noch lange nicht in Sicht zu sein. Man könnte sich also ohne Probleme zum 100. Geburtstag von With Love and Squalor wieder in London treffen.