Radar-Festival 2020:
Eine Ode an die Frauen

In Reviews by indiespect

Das Radar-Festival überzeugt auch bei der 3. Ausgabe

Wie finden die nur diese Bands? Das fragt man sich am RADAR-Festival gleich mehrfach. Auch wenn man ein noch so grosses Interesse an neuer Musik hat, die Masse an veröffentlichtem Material kann einen manchmal erdrücken. Da ist es natürlich praktisch, wenn die Booker eines Entdecker-Festivals ihren Job so gut machen und regelmässig potentielle neue Lieblingsbands auf die Bühnen der Zürcher Clubs holen. Bei 30-minütigen Showcase-Slots merken die Musikfans schnell, welcher Act sie begeistert. Gestern fand die 3. Ausgabe des Festivals statt, bei welchem die Frauen als klare Gewinner hervorgingen.

Mia Morgan

Mia Morgan und ihr Vampir an der Leertaste.

Mia Morgan: Die weibliche Mischung aus Drangsal und Bela B.

Wie schon im letzten Jahr wird die Bühne des Gonzo Clubs von einem deutschen Act eröffnet. 2019 standen BLOND im in rotes Licht getauchten Keller. Heute ist es Mia Morgan und ein junger Herr, dessen einziger Job es ist, die Leertaste am Laptop zu drücken und mit seiner weissen Kontaktlinse sowie einigen Blutkapsel gefährlich ins Publikum zu schauen. Sein erster Auftritt in der Schweiz ist gleichzeitig sein vorläufig letzter als Vampir an der Leertaste. Er wird nach dem Konzert in Zürich zum Tourmanager befördert, das verrät Mia Morgan in ihrer Instagram-Story. Die Sängerin beschreibt ihren Stil als Gruftpop, so zumindest nannte sie ihre EP. Ein treffender Begriff, wenn man die düsteren Texte mit Disco-Melodien im 80s-Vibe hört. Die musikalische Farbe erinnert an Drangsal, die Faszination für Vampire an Ärzte-Schlagzeuger Bela B. Letzteren bezieht Mia Morgan gar in ihr Set ein, als sie eine reduzierte Cover-Version des Ärzte-Songs Dein Vampyr (1985)  anstimmt. Ganz so düster wie Teile ihrer Texte wirkt die Sängerin jedoch nicht.

Ich will ein rotes Meer aus Rosen, in dem ich dich ertrinken lasse
Ich lieb' lieber die Toten, als die Lebenden zu hassen

Valentinstag, Mia Morgan

Das Augenzwinkern wird immer deutlicher spürbar, je blutrünstiger die Texte werden. So erzählt die Künstlerin zwischen zwei Songs, dass sie vor zwei Tagen so viel Wasser getrunken habe, bis sich ihr Blut zu sehr verdünnt habe. Das hätte in einem Krankenhausaufenthalt geendet. Mia Morgan hat genau wie BLOND oder Kraftklub das Potenzial auf grossen Bühnen bestehen zu können.

Liam Maye

Liam Maye in der Bar Rossi.

Liam Maye: Pop aus Bern in der Bar Rossi

Liam Maye ist in Chicago aufgewachsen und wohnt mittlerweile in Bern. Dass er das nicht erst seit gestern tut, verrät der typische Dialekt eindeutig. Normalerweise ist der junge Musiker alleine unterwegs, für seinen Slot am RADAR-Festival wird er jedoch von einer kompletten Band unterstützt. Der Sänger steht an seinem Roland-Piano während die Bar Rossi immer voller und voller wird. Die Musiker werden auf der kleinen Bühne so von den Scheinwerfern geblendet, dass sie das jedoch nur bedingt mitbekommen. Mit seiner samtenen Stimme spielt Liam Maye ehrlichen Pop, der auch anders sein kann als nur sanft. Durch seine Wurzeln in Chicago wirkt er internationaler als mancher Schweizer Act.

ZID

Valeras aus Reading im Gonzo

Valeras: Im Gonzo werden die Gitarren ausgepackt

Für die junge Band aus Reading läuft der Einstieg ins Musik-Business bisher wie am Schnürchen. Als Support standen Valeras bereits mit Bands wie The Wombats oder The Amazons auf der Bühne. Die Engländer haben sich in einem Musikcamp im Jahr 2015 kennengelernt, damals waren Teile der aktuellen Band erst 13 Jahre alt. 2019 ist auch das jüngste Mitglied volljährig geworden. Lead-Sängerin Rose Yagmur ist gleichzeitig auch die Bassistin von Valeras. Ihre Familie kommt aus Venezuela und das südamerikanische Temperament lässt sie in ihre Bühnenperformance einfliessen. Während der Lead-Gitarrist im Valeras-Shirt seine wilden Gitarrenmelodien spiel, schüttelt Yagmur hinter dem Mikrofon ihre dunkle Mähne, als wäre es ein Tanz.

Sophie and the Giants

Sophie and the Giants im KOSMOS.

Sophie and the Giants: Die Überflieger am Radar-Festival 2020

2019 waren The Howl & The Hum das Highlight vieler RADAR-Besucher. Gestern haben Sophie and the Giants aus Sheffield diesen Platz eingenommen. Bereits beim ersten Ton spürt man die Einzigartigkeit der Band. Der Opening-Track Waste My Air erinnert an Florence & the Machine, hat aber noch einmal doppelt so viel Power. Nicht nur die Stimme von Namensgeberin Sophie Scott beeindruckt, sondern auch die Energie ihrer Bandkollegen Toby Holmes an der Gitarre, Antonia Pooles am Bass und Chris Hill am Schlagzeug. Sophie and the Giants spielen praktisch jeden ihrer bisher veröffentlichten Songs und keiner fällt ab, egal ob er Runaway, The Light oder Break The Silence heisstUm ein 30-minütiges Set spielen zu können ergänzen sie ihre Eigenkompositionen mit einem Cover-Mash-Up aus Supertramps Breakfast in America sowie Wicked Games von Chris Isaak.

Say you won't
Two minds too much to bare
Tell him don't
Waste my air

Waste My Air, Sophie and the Giants
Emma Steinbakken

Emma Steinbakken aus Norwegen.

Emma Steinbakken: Zwischen Gefühl und Hollywood-Blockbuster

Emma Steinbakken aus Norwegen klingt anfangs ganz sanft. Man könnte meinen, ein ruhiger Singer-Songwriter-Auftritt mit Band sei nun angesagt. Doch die sympathische Sängerin kann auch ganz anders. Wenn sie im Song Pretty Little Secret zum Refrain ansetzt, fühlt es sich beinahe wie ein Score eines Hollywood-Films an. Der Sound wird plötzlich cineastisch und die Band stürmt los. Die Balance zwischen Sanftheit und wilden Ausbrüchen gelingen Emma Steinbakken scheinbar spielend leicht. Umso grösser wird der Kontrast, wenn sie eine Ansage macht. Ungeschützt von ihrer Musik wirkt sie beinahe schüchtern. Die Ausstrahlung verändert sich sofort, wenn sie erneut zum Gesang ansetzt.

Kino Roland

Das Logo des RADAR-Festivals an einer Fassade steht symbolisch für gute, unverbrauchte Musik.

Fazit

Nach nur drei Ausgaben hat sich das RADAR-Festival zu mehr als einem Geheimtipp gemausert. Während das m4music nebst den Konzerten vor allem auch ein Anlass für die Schweizer Musikszene hinter der Bühne ist, so fokussiert sich das Festival rund um das KOSMOS voll und ganz auf die Künstler auf der Bühne. Die Acts in den verschiedenen Clubs sind stilistisch wunderbar auf einander abgestimmt. Während im Gonzo vor allem die Gitarren dominierten, so stehen im Kino Roland eher Rap und Hip Hop auf dem Programm. Fans unterschiedlicher Genres können also dasselbe Festival besuchen und dennoch einen musikalisch komplett anderen Abend erleben.