Interview mit Annie Taylor:
Meine ersten Songs waren alles obszöne Kinderlieder.

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Die Zürcher Band Annie Taylor veröffentlichte am 4. September 2020 mit vier Monaten Verzögerung ihr Debütalbum «Sweet Mortality». Sängerin Gini Jungi nahm sich zu diesem Anlass Zeit, um über die Entstehung des Albums, die Hintergründe der Band und die noch immer andauernde Corona-Pandemie und deren Einfluss auf die Planung sowie das Bandleben zu sprechen.

Annie Taylor sind:

Gini Jungi (Gesang, Gitarre)
Tobias Arn (Gitarre)
Michael Mutter (Bass)
Jan Winkler (Schlagzeug)

Wie unzählige andere Bands hätten sich wohl auch Annie Taylor den Release ihres Albums anders vorgestellt. Das Debütalbum aufnehmen, es rausbringen und dann eine krachende Live-Taufe auf die Bühne bringen. Aber 2020 läuft bekanntermassen alles ein wenig anders.

Auch ein Auftritt am Showcase-Festival WAVES in Wien wäre geplant gewesen. Doch die Reise in die Hauptstadt Österreichs fiel ins Wasser, das Live-Programm wurde von den Veranstaltern abgesagt. Jedoch zahlte das Festival den Bands die Gagen und bot ihnen die Möglichkeit eine Live-Session zu filmen, welche dann anstelle der Konzerte in Wien als Public Viewing und online uraufgeführt wurde. Annie Taylor haben die Gage genutzt und ihren Beitrag an einem Sonntagnachmittag in der Schüür in Luzern produziert.

Gereifter Klang durch neue Aufnahmesituation

Die Aufnahmen zu Sweet Mortality fanden während einer Woche in den DALA Studios in Winterthur statt. Die Songs haben Annie Taylor als komplette Band gleichzeitig eingespielt, nur der Gesang sowie die Solos wurden separat aufgenommen. Die Professionalität von Produzent David Langhard hat sich auf den Klang der Aufnahmen deutlich ausgewirkt. Doch welchen Unterschied gab es für die Band im Vergleich zu den Aufnahmen ihrer EP Not Yours! im vergangen Jahr?
Wir als Band haben nicht viel anders gemacht. Es lag einfach daran, wie David von den DALA Studios arbeitet und aufnimmt. Er hat ein unglaubliches Know-How was analoge Sachen und Vintages-Sounds angeht, sodass eine bestimmte Wärme durchkommt. Er hat immer sehr schnell verstanden, was wir wollten. Bei den ersten Songs, die wir rausbrachten, hiess es jeweils: «Gini, jetzt kannst du singen» und danach: «Ja, das war gut». Dabei wusste ich einfach, dass es nicht gut war und ich es besser könnte. Aber man hatte nichts mehr zu sagen und es war, wie es war. Ich bin aber natürlich auch unglaublich dankbar, dass wir zu dieser Zeit überhaupt die Möglichkeit hatten. Es ist toll wenn du erst angefangen hast Musik zu machen und du schon ein Lied aufnehmen darfst. Wir wurden meistens eingeladen oder durften zusammen mit Studenten etwas aufnehmen. Beim Album war es jetzt das erste Mal, dass wir wegen uns im Studio waren. Man ging auf unsere Bedürfnisse und Wünsche ein. Das hat die Sound-Qualität sicher noch einmal beeinflusst.
Annie Taylor
© Tatjana Rüegsegger

Jan Winkler, Gini Jungi, Tobias Arn, Michael Mutter (v.l.n.r.)

YouTube als Inspirationsquelle für Musikvideos

Nicht nur bei den Aufnahmen hat sich die Band um Sängerin Gini Jungi ins Zeug gelegt. Den verzögerten Release haben Annie Taylor auch genutzt, um Musikvideos zu produzieren. She Loves You No More feierte einen Tag nach dem Album-Release seine Premiere bei der Listening-Party im Kir Royal in Zürich. Visuell wird der Rock'n'Roll und die Vintage-Elemente wunderbar eingefangen. Die etwas gruselige Cartoon-Umsetzung sieht nicht nur professionell aus, sondern auch sehr aufwändig. Um Ideen für Videos zu sammeln hat Gini eine ganz eigene Herangehensweise.
Ich schaue jeweils auf YouTube, welche Videos mir gefallen. Dann suche ich mir die E-Mail-Adresse der Person raus, die das gemacht hat und hoffe, dass jemand zurückschreibt. Der Clip, den ich damals entdeckt habe, war von «The Magician» von Andy Shauf. Dadurch sind wir mit dem Kanadier Marty (Martin MacPherson) in Kontakt gekommen, der einen ähnlichen Stil hat. Er hat sein «Haunted House»-Konzept vorgestellt und da wir alle grosse Fans von Horror-Stories sind, hat uns das natürlich sehr angesprochen. Er hat daraufhin ein Mood-Board erstellt und uns eine zweiseitige Liste geschickt, wie wir das filmen mussten. Also haben wir an einem Tag alles gemäss dieser Liste gefilmt. Das ging eigentlich recht gut, man musste einfach die einzelnen Elemente abstreichen. Danach bekam er ein riesiges File von uns, welches er zusammensetzen durfte. Ein wirklich cooler und talentierter Typ.

Das Musikvideo zu «She Loves You No More» haben Annie Taylor zusammen mit dem Kanadier Martin MacPherson gedreht.

Eine Vision zu haben, ist wichtig

Ein Studio und die Produktion von Musikvideos sind nicht günstig. Wie bei den meisten Schweizer Künstlern legen reguläre Jobs die finanzielle Grundlage für den Rock’n’Roll auf der Bühne.
Michi ist Verkäufer bei Harley Davidson, das passt sehr gut zu ihm. Tobi ist Maler und Gipser. Jan studiert Physik und Geografie. Ich arbeite sonst noch im Kindergarten.

Die gegenseitige Unterstützung ist vorhanden und der Respekt,
um gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten – in diesem Fall an einem Album.

Gini Jungi, Annie Taylor
Vor zwei Jahren haben Annie Taylor ihre aktuelle Besetzung gefunden. Seither sind eine EP und nun ein Album entstanden. Das sind wichtige Meilensteine und gleichzeitig ein Versprechen der einzelnen Mitglieder an ihre Band.
Es ging uns darum, dass wir ein gemeinsames Ziel haben. Ich kann das von allen behaupten, dass wir sehr gerne Musik machen und gerne auf der Bühne stehen – das merkt man auch. Auch die gegenseitige Unterstützung ist vorhanden und der Respekt, um gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten – in diesem Fall an einem Album.
Annie Taylor

Annie Taylor haben ihr Debütalbum «Sweet Mortality» am 4. September 2020 via Taxi Gauche veröffentlicht.

Tracklist
  1. Drive
  2. Telephone
  3. She Loves You No More
  4. Smokes
  5. Where The Grass Is Greener
  6. A Thousand Times
  7. Made Up My Mind
  8. Smoking Teenage Girl
  9. 17 Days
  10. Lucy
  11. Words
  12. The Fool
Auf der Bühne zu stehen ist noch immer schwierig, ständig werden von Kanton zu Kanton andere Regeln zum Schutz vor COVID-19 eingeführt und kurzfristige Absagen gehören mittlerweile bereits zum Alltag. Für die Musiker hatte der Lockdown beruflich unterschiedliche Auswirkungen.
Bei Tobi und Michi ging es ziemlich normal weiter. Michi hat damals noch auf dem Bau gearbeitet. Vor allem für Jan war es etwas ungünstig. Wir hatten eine Tour nach Amerika geplant, welche abgesagt wurde. Dafür hatte er sein Studium auf später verlegt, um Zeit für das Album und die Tour zu haben. Deswegen hatte er einen etwas unglücklichen Unterbruch. Bei mir ging es auch in den Lockdown. In den ersten paar Wochen hat jeder gemacht, was für ihn richtig war. Ich habe auch neue Songs erarbeitet. Nachdem klar war, dass wieder mehr als drei Leute in einen Raum dürfen, haben wir uns wieder zum Proben getroffen. Später kam dann auch Tobi aus Solothurn wieder. Am Anfang haben wir auch den Bandraum noch aufgeräumt. Abgestaubt und gelüftet. Zum Spass sagen wir zu Tobi immer, dass seine Solos so reinhauen, dass sie direkt alles wegfegen.
Zum Spass sagen wir zu Tobi immer, dass seine Solos so reinhauen, dass sie direkt alles wegfegen.
Gini Jungi, Annie Taylor
Die Arbeit im Kindergarten hat sogar seinen Teil zur Gründung von Annie Taylor beigetragen. In den Archiven der Sängerin finden sich noch wunderliche Stücke früherer Tage.
Annie Taylor ist ein wenig daraus entstanden. Meine ersten Songs waren alles obszöne Kinderlieder. Wenn ich diese Lieder jemandem vortragen würde, der kein Schweizerdeutsch versteht, wäre es 1:1 ein Annie-Taylor-Song. Aber es ist gut, dass man nicht hört, was ich da singe.
Annie Taylor
© Tatjana Rüegsegger

Annie Taylor in ihrem natürlichen Lebensraum – auf der Bühne.

Musikalisch sind die Interessen der einzelnen Mitglieder breit gefächert. Noch sind nicht alle Einflüsse in der eigenen Musik verarbeitet worden, auch wenn es bei diesem Mix definitiv spannend wäre.
Michi ist zum Beispiel ein riesiger ABBA-Fan, das würde man gar nicht denken. Tobi hört MC5 oder Black Sabbath. Bei mir sind es eher Bands mit Frauen am Mikrofon.

Es geht darum aus der Norm rauszukommen und etwas zu erleben,
was etwas Spezielles für einen ist.

Gini Jungi, Annie Taylor
Not Yours!, der Titel der EP von 2019, war ziemlich wütend. Sweet Mortality hat hingegen etwas Bittersüsses an sich. Die thematische Entwicklung kam ganz natürlich.
Von «Not Yours!» zu «Sweet Mortality» gab es einen konstanten Rollercoaster auf der Gefühlsebene, den man halt hat im Leben. Ein Auf und Ab und Geschichten, die jedem passieren. Deswegen haben wir auch den Titel «Sweet Mortality» gewählt, um die Zerbrechlichkeit des Vergänglichen aufzuzeigen. In dem Sinn, dass alles umso schöner ist, weil du weisst, dass es vielleicht gar nicht für immer ist. Ansonsten wäre alles etwas langweilig. Es geht darum aus der Norm rauszukommen und etwas zu erleben, was etwas Spezielles für einen ist.
«A Thousand Times» – verträumte Melancholie
The Howl & The Hum
Für das Album wollten wir bewusst verschiedene Facetten zeigen. Melancholische Songs, aber auch energiegeladene. «A Thousand Times» ist für mich ein klassisches Annie-Taylor-Lied. Es enthält die typischen Elemente, Harmonien oder Riffs von Tobi. Es ist etwas melancholischer und nachdenklicher. In diese Richtung haben wir sicher noch etwas für die Zukunft.

Gini Jungi über «A Thousand Times»

Die Namensgeberin und andere schräge Vögel

Aus dieser Norm ist auch die Namensgeberin der Band zu ihrer Zeit ausgebrochen. Annie Taylor war 1901 die erste Person, die sich in einem Holzfass die Niagara-Fälle hinunter stürzte und das Abenteuer überlebte. Auf der Suche dem Bandnamen, welcher mit einer starken Frau verknüpft sein sollte, sind auch andere skurrile Geschichten aufgetaucht.
Annie Taylor

Annie Taylor und ihr patentiertes Fass. Darin überlebte sie 1901 als erste Person die Überquerung der Niagarafälle.

Aus dieser Norm ist auch die Namensgeberin der Band zu ihrer Zeit ausgebrochen. Annie Taylor war 1901 die erste Person, die sich in einem Holzfass die Niagara-Fälle hinunter stürzte und das Abenteuer überlebte. Auf der Suche dem Bandnamen, welcher mit einer starken Frau verknüpft sein sollte, sind auch andere skurrile Geschichten aufgetaucht.
Ich war schon immer interessiert an Leuten, die etwas aus der Reihe getanzt sind, mit dem was sie taten. Die ganzen Undercover-Agentinnen und so finde ich cool. Annie Taylor tauchte irgendwann nach etwas scrollen auf. Ich habe Geschichten über Geschichten von irgendwelchen Menschen gelesen. Da hatte es dazwischen auch Typen wie «Gartenstuhl Larry». Der hat Luftballons an einen Gartenstuhl gebunden und ist damit in Kalifornien mit einem Luftgewehr durch die Gegend geflogen. Danach bekam er Flugverbot vom Staat.

Ich war schon immer interessiert an Leuten, die etwas aus der Reihe getanzt sind,
mit dem was sie taten.

Gini Jungi, Annie Taylor
Larry Walters hat sich 1982 von 42 Wetterballons, gefüllt mit Helium, auf seinem Gartenstuhl in Los Angeles in die Lüfte ziehen lassen. Dabei unterschätzte er jedoch den Auftrieb der Ballons. Mit fünf Metern pro Sekunde zog es ihn dem Himmel entgegen. Also versuchte Walthers mit seiner Luftpistole die Ballone zu zerschiessen, um zu sinken. Die ganze abenteuerliche Geschichte gibt es hier zu lesen. Es ist wohl auch diese verrückte Geschichte, welche die Macher von Joko & Klaas: Das Duell um die Welt inspiriert, Moderator Joko Winterscheidt die beinahe identische Aufgabe zu stellen. So ähnlich wie in diesem Video, wird es bei Gartenstuhl-Larry auch ausgesehen haben.

Annie Taylor: SRF 3 Best Talent

Nach den abenteuerlichen Ausflügen zurück zur Musik. Annie Taylor sind im Monat September zum Best Talent vom Radio SRF 3 gekürt worden. Diese Auszeichnung trägt dazu bei, dass die Band auch bei einem Radiopublikum Gehör findet, von welchem ein Teil ansonsten nicht mit ihrer Musik in Berührung gekommen wäre. Daraus erhoffen sich die Zürcher vor allem die Möglichkeit mehr Konzerte spielen zu können – auch wenn es aktuell schwierig ist, überhaupt Shows zu planen. Doch auch dem steht Gini optimistisch gegenüber und mit einem Augenzwinkern verrät sie zudem, was sie sich vom Best-Talent-Status auf lange Sicht wünscht.
Ich glaube, man muss lernen mit diesen Enttäuschungen zu leben und umzugehen. Wenn du von Anfang an denkst, dass es sowieso nicht klappt, für was machst du dann irgendwas? Unser Name ist eine Hommage an Annie Taylor. Und es wäre sicher irgendwann noch ein Ziel, mit der Band zu den Niagarafällen zu gehen. Das müssen wir hinkriegen, dort spielen zu können. Zu deiner Frage, was wir uns vom SRF 3 Best Talent erhoffen – wir würden gerne bei den Niagarafällen spielen.

«Sweet Mortality»-Plattentaufe in Zürich

Die Plattentaufe von Sweet Mortality findet am Freitag, 2. Oktober 2020 in der ZUKUNFT in Zürich statt. Aufgrund der COVID-Massnahmen ist die Besucherzahl sehr beschränkt. Bei der Maximalgrösse von 100 Personen bei Veranstaltungen sind Club-Personal, Band und Techniker ebenfalls eingerechnet. Es wird also kuschelig, wenn Annie Taylor ihr Debütalbum in Zürich taufen. Support gibt es von Admiral James T. Da das Konzert bereits ausverkauft ist, spielen Annie Taylor am 3. Oktober in derselben Location eine Zusatzshow. Support am zweiten Abend kommt von Dawns Mystery.
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