Interview mit Nothing But Thieves Sänger Conor Mason: Es ist ein Schock, wieder auf Tour zu sein

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Endlich können Nothing But Thieves wieder auf Tournee gehen. Mit ihrem dritten Album «Moral Panic» spielen sie in grösseren Hallen als je zuvor. Sänger Conor Mason verrät im Interview, wie die Band funktioniert, wie er die zweijährige Zwangspause genutzt hat und wie es sich anfühlt, plötzlich wieder aufs Gaspedal zu treten. Ausserdem bringt ihn ein Flashback zum Lachen, nämlich wenn es um die Parallelen zwischen der aktuellen Single «It's Coming In Slow», ihrem ersten Hit «Trip Switch» und deren Verwendung im Soundtrack zu einem Videospiel geht.

Nothing But Thieves sind:

Conor Mason (Gesang)
Joe Langridge-Brown (Gitarre)
Dominic Craik (Gitarre)
Philip Blake (Bass)
James Price (Schlagzeug)

Indiespect: Das letzte Mal habe ich dich 2015 getroffen. Eure musikalische Reise seither ist erstaunlich. Auch in der Schweiz habt ihr bei eurer Rückkehr immer in grösseren Venues gespielt. Wie hat sich der wachsende Erfolg auf eure musikalische Arbeit und eure Vorbereitung auf Live-Shows ausgewirkt?

Conor Mason: Wir denken da nicht zu viel drüber nach. Stadionmusik oder Stadionrock gibt es nicht mehr. Es sind Songs. Billie Eilish und Travis Scott spielen in Arenen. Ich glaube nicht, dass wir unseren Sound ändern, wenn wir grösser werden. Es geht nur darum, unser Songwriting zu verändern und sicherzustellen, dass es mit jedem Album besser wird. Einige der Songs, die wir im letzten Jahr geschrieben haben, sind auf eine gute Art und Weise fast wieder in sich gekehrt und das liebe ich. Wenn ein Song gut ist, wird er überall gut klingen.

Ich glaube nicht, dass wir unseren Sound ändern, wenn wir grösser werden. Es geht nur darum, unser Songwriting zu verändern und sicherzustellen, dass es mit jedem Album besser wird.

Conor Mason, Nothing But Thieves

Indiespect: Aber man muss sich Gedanken über grössere Produktionen machen.

Conor: Das ist wahr. Bei dieser Tour in den großen Arenen, vor allem in Grossbritannien, war das unsere komplette Produktion. Es ist ziemlich grandios. Unser Produktionsleiter hat da einen tollen Job gemacht. Es ist schön, damit spielen zu können, es macht Spass, ein bisschen mehr Freiraum zu haben, um das zu tun, was man produktionstechnisch will.

Indiespect: Seid ihr als Band auch in diesen Prozess involviert?

Conor: Ja, natürlich. Man hat ein visuelles Konzept für sein Album, an dem man hart gearbeitet hat, und man will, dass es live umgesetzt wird. Man macht also eine Art Briefing mit der Produktion und dem Team und dann machen diese Zauberer ihr Ding. (lacht) Wir haben sehr viel kreative Freiheit, aber du weisst auch, wo deine Stärken liegen, und unsere liegen definitiv nicht in der Produktion. Aber natürlich willst du Teil des kreativen Prozesses sein, denn es ist deine Band und es ist deine Vision.

Nothing But Thieves

Nothing But Thieves sind (v.l.n.r.): Philip Blake, Dominic Craik, Conor Mason, Joe Langridge-Brown, James Price.

Indiespect: Eure Album-Artworks sind mehr als nur irgendein Foto, sie sind richtige Kunstwerke. Denkst ihr darüber nach, wie sich eure Musik auf das Visuelle überträgt?

Conor: Vor allem, als unsere Karriere langsam Fahrt aufnahm. Bei der ersten Platte waren wir gerade mal 19 oder 20 Jahre alt und haben mit dem Songwriting experimentiert, und ich habe meine Stimme gefunden, wir haben einfach nur herumprobiert. Bei allem, was dazugehörte, brauchten wir jede erdenkliche Hilfe. Es war der Designer Steve Stacey, der unser erstes Cover entworfen hat, und es war ein wunderschönes Bild. Das Pferd, das durch diese Art von Schleier kommt. Wir dachten uns: no brainer. Bei der nächsten Platte, Broken Machine, hatten wir definitiv ein besseres Gefühl dafür, wer wir waren und was wir sagen wollten. Es war einfach so einfach, sich damit zu identifizieren und es wieder zusammenzusetzen. Als wir diese Idee hatten, sprachen wir wieder mit Steve Stacey und er kam auf die Idee vom Kintsugi-Look für das Artwork [Kintsugi (jap. 金継ぎ, dt. „Goldverbindung, -flicken“) oder seltener Kintsukuroi (金繕い, „Goldreparatur“)[1] ist eine traditionelle japanische Reparaturmethode für Keramik. Keramik- oder Porzellanbruchstücke werden mit Urushi-Lack geklebt, fehlende Scherben werden mit einer in mehreren Schichten aufgetragenen Urushi-Kittmasse ergänzt, in die feinstes Pulvergold oder andere Metalle wie Silber und Platin[1] eingestreut werden. – Quelle: Wikipedia]. Es funktioniert im Grunde genau so. Du hast deine Vision, aber du lässt diese Leute so unglaublich sein, wie sie sind. Ich mag es nicht, wenn Bands versuchen, alles zu kontrollieren. Das ist einfach verrückt. Man kann nicht alles machen.

Ich mag es nicht, wenn Bands versuchen, alles zu kontrollieren. Das ist einfach verrückt. Man kann nicht alles machen.

Conor Mason, Nothing But Thieves

Auf «Broken Machine» haben Nothing But Thieves ihre eigene künstlerische Stimme gefunden

© Stefan Tschumi

Indiespect: Vielleicht ist das auch der Grund, warum ihr mehr Zeit habt, diese tollen Melodien und Riffs zu kreieren.

Conor: Ja, das ist Dom. Er ist verrückt! Wir haben neulich über unseren Schreibprozess gesprochen und darüber, was uns als unterschiedliche Menschen antreibt. Dom gehört zu den Leuten, die sich einfach hinsetzen und fünf Stunden lang an einer Idee oder einem Riff arbeiten, bis es gut ist. Das ist eine wirklich unglaubliche Art des Schreibens.

Dom gehört zu den Leuten, die sich einfach hinsetzen und fünf Stunden lang an einer Idee oder einem Riff arbeiten, bis es gut ist.

Conor Mason, Nothing But Thieves

Bei mir ist das Gegenteil der Fall. Ich rühre wochenlang nichts an. Und dann, vor diesem Interview beispielsweise, hatte ich einen Geistesblitz. In diesen Momenten setze ich mich einfach hin, und schreibe auf, was immer ich dabei fühle oder was auch immer die Inspiration ist. Wenn ich eine Eingebung habe, setze ich mich in eine Ecke und schreibe so lange es eben dauert. Im Anschluss speichere ich es auf meinem Handy, bis wir wieder im Studio sind. Ich finde es unglaublich, dass Dom einfach weitermachen kann bis die Inspiration kommt – er schafft die Inspiration. Das ist erstaunlich. Ich kann das einfach nicht tun. Er ist sehr produktiv, was das Schreiben von Riffs und Musik angeht. Er macht das nonstop und schmeisst 70% davon weg.

Indiespect: Zumindest in den Anfängen hat Joe die Texte geschrieben. Hast du jetzt auch damit angefangen?

Conor: Nein, es ist immer noch Joe. Das ist die Art und Weise, wie wir arbeiten und es funktioniert einfach am besten für uns.

Ben Tatcher

Nothing But Thieves auf der Bühne der Halle 622, Zürich

Indiespect: Deine Ideen sind also eher melodiebezogen?

Conor: Ja. Ich schreibe trotzdem immer noch die ganze Zeit. Ich arbeite an verschiedenen Projekte. Es geht einfach darum, kreativ zu sein. Aber Joe und ich sind Brüder und wir besprechen alles, worüber wir schreiben wollen. Es ist unser gemeinsames Baby. Es ist eine seltsame Familiendynamik, die wir in dieser Band haben. Sie besteht aus Respekt und Liebe, und es macht uns einfach glücklich.

Als wir «Trip Switch» veröffentlichten, bekamen wir all diese Kommentare zu dem Video, die lauteten: Wir haben euch bei Fifa gefunden, aber die andere Hälfte der Kommentare lautete: Wir haben euch auf einer Pornoseite gefunden, weil jemand unseren Song in einem berühmten Pornovideo verwendet hatte.

Conor Mason, Nothing But Thieves

Indiespect: Eure neueste Veröffentlichung heisst «It's Coming In Slow». Wurde die Single nur für Gran Turismo 7 geschrieben?

Conor: Irgendwie schon, ja. Wir hatten dieses Riff und den Titel im Kopf und bekamen ein Angebot für ein Rennspiel. Wir dachten, diese Idee passt perfekt. Wir haben es in etwa 3 Stunden fertiggestellt und abgeschickt. Wir bekamen den Auftrag und dachten, wow. In diesem Moment dachten wir schon gar nicht mehr daran.

Indiespect: Es ist nicht das erste Mal, dass ihr auf einem Soundtrack für ein Spiel vertreten seid. «Trip Switch» wurde in Fifa 16 verwendet. Hat das eurer noch jüngeren Karriere einen Schub gegeben? Wenn man sich die Kommentare unter dem YouTube-Video anschaut, gibt es eine Menge Leute, die geschrieben haben, dass sie euch durch Fifa gefunden haben.

Conor: Es hat wirklich geholfen. Ich musste gerade lachen, weil ich einen Flashback hatte. Als wir «Trip Switch» veröffentlichten, bekamen wir all diese Kommentare zu dem Video, die lauteten: Wir haben euch bei Fifa gefunden, aber die andere Hälfte der Kommentare lautete: Wir haben euch auf einer Pornoseite gefunden, weil jemand unseren Song in einem berühmten Pornovideo verwendet hatte. Was mich erstaunte war, dass die Leute den Song sogar so sehr mochten, dass sie unser Video gesucht haben (lacht sehr stark)

Das noch immer aktuelle Album
«moral panic»
VÖ: 23.10.2020

Typhoons
Tracklist
  1. Unperson
  2. Is Everybody Going Crazy?
  3. Moral Panic
  4. Real Love Song
  5. Phobia
  6. This Feels Like The End
  7. Free If We Want It
  8. Impossible
  9. There Was Sun
  10. Can You Afford To Be An Individual?
  11. Before We Drift Away
Album review

Indiespect: Hast du dir dieses spezielle Video angesehen und hat der Song mit der Performance harmoniert?

Conor: Wir haben es uns alle angesehen - zum Spss! Nicht zusammen, das wäre sehr seltsam. Aber wir fanden es einfach urkomisch.

«Life's Coming In Slow» ist der Beitrag von Nothing But Thieves zum Videospiel Gran Turismo 7.

© Eva Pentel

Indiespect: Vor dem Song für Gran Turismo 7 habt ihr im Juli 2021 eure EP «Moral Panic II» veröffentlicht. Arbeitet ihr schon an neuer Musik oder konzentriert ihr euch erst einmal auf deine Tour und den Festivalsommer?

Conor: Durch die Pandemie war es so unbeständig. Aber wir haben nicht gesagt: jetzt ist Schreibsaison, jetzt ist Tour-Saison. Wir tun es einfach. Wir hatten natürlich viel Zeit, und wir wohnen sehr nah beieinander. Wenn also jemand eine Idee hatte, haben wir uns einfach getroffen. Wir haben das zwei Jahre lang zwei oder drei Tage pro Woche gemacht. Das war grossartig. Wir waren frei und haben nicht zu viel darüber nachgedacht. Und wir haben so viele Melodien aufgenommen.

Wir haben wirklich das Beste aus der Einsamkeit und der Pandemie herausgeholt. Ich meine das auf eine egoistische Art und Weise. Ich weiss, dass es ätzend war.

Conor Mason, Nothing But Thieves

Indiespect: Ich habe gelesen, dass du gesagt hast, dass du für dich persönlich froh warst, eine Auszeit zu haben.

Conor: Auf jeden Fall. Wir haben wirklich das Beste aus der Einsamkeit und der Pandemie herausgeholt. Ich meine das auf eine egoistische Art und Weise. Ich weiss, dass es ätzend war. Ich habe für mich und an mir gearbeitet – und es hat funktioniert.

Royal Blood

Die Fans sind verrückt nach Nothing But Thieves.

Indiespect: Ich kann mir vorstellen, dass ihr natürlich euphorisch wart, wieder auf der Bühne zu stehen, aber es muss auch ziemlich hart sein, diese Energie nach so langer Zeit auf einen Schlag wieder zu erleben.

Conor: Ja, es ist ein Schock. Ich habe das heute mit jemandem aus unserer Crew besprochen. In der ersten Woche, in der man auf Tour ist, heisst es: Wow, wir sind auf Tour, das ist verrückt. Aber wenn man die Hälfte hinter sich hat, ist das Energielevel irgendwie erschöpft und man denkt: Noch drei Wochen. Lass uns den Rest der Tournee meditieren. (lacht) Man vergisst, wie anstrengend es ist, und ich persönlich warte immer noch auf ein paar Operationen und solche Sachen. Jeder hat mit seiner eigenen mentalen Gesundheit zu kämpfen. 

wenn man das Pedal durchdrückt und auf Tournee geht, ist man mit 18 Leuten zusammen, hat Auftritte und reist. Das ist einfach ein riesiger Schock für dein Gehirn.

CONOR MASON, NOTHING BUT THIEVES

Es ist interessant, wie man zuhause durch Bewältigungsmechanismen und die Art und Weise, wie man sein Leben lebt, als Mensch in Routinen gerät, ohne dass man sich dessen bewusst ist. Diese dienen hoffentlich alle deinem Gehirn und deinen Körper. Und dann, wenn man das Pedal durchdrückt und auf Tournee geht, ist man mit 18 Leuten zusammen, hat Auftritte und reist. Das ist einfach ein riesiger Schock für dein Gehirn. In der ersten Woche scheint alles wahnsinnig zu sein, danach gewöhnt man sich an den neuen Rhythmus. Wir haben das schon so lange nicht mehr gemacht. Vorher war es normal, zwischen diesen Rhythmen hin und her zu wechseln. Wir haben eine tolle Zeit und es ist so schön, wieder unter Menschen zu sein und in einer Gemeinschaft zu leben. Ich lebe allein und die Jungs leben mit ihren Partnern oder mit einem Mitbewohner zusammen. Im Vergleich zu dem hier ist das ein ziemlich kleines Umfeld. Jetzt sind wir eine Gruppe, bestehend aus unseren besten Kumpels, die zusammen herumreisen und eine tolle Zeit haben. Ja, es ist schön. Es ist wirklich schön.

Indiespect: Noch eine Frage zu Artworks. Abgesehen von euren eigenen, hast du ein Lieblings-Artwork?

Conor: Oh wow. Das ist wirklich schwer. Darauf hätte ich mich vorbereiten können. Ich komme darauf zurück.

Indiespect: Okay, ich kann auch eine andere Frage stellen. Vielleicht fällt dir später noch etwas ein.

Während der Pandemie hat die Band mehrere Videos in den so genannten «Soltitude Sessions» aufgenommen.

Conor: Ja, ich werde darüber nachdenken müssen. Die Sache ist die, dass die Artworks, die ich heutzutage mag, sich sehr von dem unterscheiden, was ich als meine Lieblings-Artworks betrachte. Ich bin ein grosser Fan von Artworks, die den Bedroom-Look haben, so wie Bon Iver oder Kanye ihre Cover machen. Ich liebe diese Art von Scrapbook-Art. Ich finde das so cool und es wirkt intim. Aber ich habe versucht, an die Klassiker zu denken. Momentan fällt mir nichts Besseres ein als das. Es tut mir wirklich leid.

Indiespect: Ich lese gerade Paul McCartneys Buch «Lyrics», in dem er...

Conor: Purple Rain! Das ist mein Lieblingsalbumcover. Es ist wie ein Film. Es ist so eindrucksvoll, nicht wahr? So dramatisch. Ich liebe das. Das ist sowieso eines meiner Lieblingsalben.

Indiespect: Wow! Während wir uns unterhalten haben, konntest du wirklich darüber nachdenken?

Conor: Ich weiss! Während wir geredet haben.

Purple Rain

Conor Masons Lieblings-Cover: Purple Rain von Prince.

Indiespect: Grossartig! Ich komme zurück auf meine vorherige Frage. Ich lese gerade Paul McCartneys Buch «Lyrics», in dem er seine Songtexte mit seiner Biographie verbindet.

Connor: Ich habe es gerade bekommen. Ich habe es zu Hause auf meinem Schreibtisch liegen.

Nothing But Thieves

Zurück in Zürich nach der Show im X-Tra 2018.

Indiespect: Da Joe die Texte schreibt, ist es vielleicht eine etwas schwierige Frage für dich, aber mit welchen Songs verbindest du die persönlichste Geschichte?

Conor: Nun, obwohl Joe die Texte schreibt, sind nicht nur er und ich, sondern wir alle stark mit den Songs verbunden. Es sind Dinge, die wir sagen wollen, wie wir uns fühlen und wie wir über Dinge ausserhalb unseres Ökosystems denken. Ich würde sagen, dass ich wahrscheinlich am meisten mit Broken Machine verbunden bin, weil ich mit meiner psychischen Gesundheit zu kämpfen habe. Man kann dem nicht wirklich entkommen, man muss nur lernen, damit zu leben und ein erfüllteres Leben damit zu führen. In dieser Platte steckt viel Herzschmerz drin. Ich würde einen Song wie Particles wählen. Es kommt auf den Tag an, aber insgesamt würde ich sagen, diese beiden Songs.

Indiespect: Vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast!

Conor: Keine Sache, das war grossartig.