Für Sam Fender läuft es aktuell ziemlich gut. Anfang Februar hat der Sänger aus North Shields seinen zweiten BRIT Award als «Best Alternative/Rock Act» gewonnen. Kaum zu glauben, dass der Engländer, der noch 2019 im kleinen Zürcher Papiersaal auftrat, nun ausverkaufte Arenen-Konzerte in seiner Heimat spielt. Auch bis in die Schweiz ist der Erfolg geschwappt. Das zweite Album «Seventeen Going Under» ist in unserer Hitparade auf Platz 5 eingestiegen. Gestern spielte der begnadete Songwriter die erste Show seiner Europatour in der Zürcher Halle 622.
Sam Fender: Ein ernsthafter Songwriter mit Schalk im Nacken
Zweifellos schreibt der gerade 28 Jahre alt gewordene Sam Fender Texte mit Tiefgang. Mal kommen diese in ruhigem Gewand daher, mal mit einer Wucht und dem Spirit des Punk. Auch auf seinen Artworks blickt der Junge aus dem Norden Englands meist mürrisch, ernst oder kränklich aus der Wäsche. Doch das ist nur die eine Seite, die Fender uns präsentiert. Auf der Bühne zelebriert er trockenen britischen Humor und trägt immer wieder ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen. Die glaubwürdige Ernsthaftigkeit und das Ausbrechen aus dieser machen den talentierten Musiker aus. Man kann mit ihm leiden, aber auch gemeinsam lachen. Nach dem Intro legt der Brite mit Will We Talk los. Es ist erstaunlich dass dieser und auch die übrigen Songs vom Debütalbum Hypersonic Missiles erst 2019 veröffentlicht wurden. Sie klingen bereits jetzt wie Kompositionen von Songwritern mit einer deutlich längeren Lebensgeschichte als diejenige von Sam Fender.
Sam Fender mit seiner Band in der Halle 622, Zürich
Saxofon, Flammen und Konfetti
Jahrelang galt das Saxofon als absolutes No-Go in der Rockmusik. Nur ganz vorsichtig wurde es peu à peu ironisch wieder etabliert, mittlerweile wird das Instrument von vielen geliebt und bejubelt. Auch Fenders Kindheitsfreund Johnny «Blue Hat» Davis ist von der Bühne nicht mehr wegzudenken. Mit Schlapphut in Liam-Gallagher-Gedenkoptik bringt er mit seinem Blasinstrument das Blut des Publikums und seines Freundes in Wallung. Zwischen den beiden herrscht eine Dynamik, die man sonst eher von zwei Gitarristen im Zuge wilder Soli kennt. Während die Band beim ersten Song noch vor schwarzem Hintergrund steht, projiziert die LED-Wand im Anschluss stimmungsvolle Visuals in die Halle. Es wäre mit Sam Fenders Musik stimmig und völlig in Ordnung gewesen, wenn dies die einzigen Showelemente geblieben wären, doch der Rockstar-Status in England will natürlich zumindest im kleinen gelebt und zelebriert werden.
We close our eyes
Learn our pain
Nobody ever could explain
All the dead boys in our hometown
Sam Fender mit Flanellhemd und Gitarre
We've been Rammstein, good night!
Howdown Aldi Death Queue ist die B-Seite von Seventeen Going Under, dauert nur knapp zwei Minuten und ist ein absoluter Kracher. Die Visuals erinnern an die frühere TV-Serie Person Of Interest, wie diese zeigen sie die komplette Überwachung der Gesellschaft durch omnipräsente Kameras. Kein Schritt bleibt unbemerkt, kein Gesicht unerkannt. Mit Zeilen wie That's less than two fucking meters sollte jedem, der nicht erst dieses Jahr auf die Welt kam klar an welchem Thema sich Fender hier abarbeitet. Es ist eine Frust-Hynme auf Corona, aber eine von der richtig gute Sorte. Die Wut wird noch weiter kanalisiert und bricht sich in Form von Feuersalven Bahn. So viel zu unserem Rockstar aus North Shields. Ein Traum, wenn man sich endlich solche Spielereien auf Tour leisten kann. Den Song im Mitte des Sets quittiert Fender mit den Worten: We've been Rammstein, good night!
Woah, woah, woah, woah, woah, woah, woah
Keep your distance
I said woah, woah, woah, woah
That's less than two fucking meters
Sam Fender oder Rammstein?
Die Feuerkraft in nachhaltige Energie umgewandelt
Flammen verfehlen nie ihr Ziel. Der Adrenalinschub, der durchs Publikum ging, bleibt für den Rest des Sets in den Körpern. Fender hat sich für den zweiten Teil seines Sets aber auch wirkliche Perlen aufgehoben. Egal ob Get You Down, Spit Of You, Play God oder The Dying Light, es folgt eine musikalische Feuersalve nach der anderen. Spit Of You schweb im musikalischen Kosmos von Bands wie The War On Drugs, Play God hat durch seine Rhythmik einen nie abreissenden Spannungsbogen und The Dying Light beginnt als Klavierballade und entfaltet sich zum Ende hin zur lupenreinen Hynme. Damit setzt die Band einen starken ersten Schlusspunkt.
You kissed her forehead
And it ran like a tap
No more than four stone soaked wet through
And I'd never seen you like that
Saxofon ist wieder en vogue – auch bei Sam Fender in Zürich.
Seventeen Going Under und Hypersonic Missiles: Titeltracks als Schlussbouqet
Eröffnet werden die Zugaben von Saturday. Das Stück könnte mit anderer Stimmfarbe fast als Komposition von George Ezra durchgehen. Seine beiden Titeltracks hat sich Fender aber für den Schluss aufgespart. Bevor Seventeen Going Under die Halle in Ekstase versetzt, erzählt der Sänger noch, wie er vor dessen Veröffentlichung immer wieder bedrängt wurde, einen TikTok-Account zu eröffnen. Sogar der damals 26-jährige Musiker empfand sich dafür zu alt. Doch er liess sich überzeugen und landete mit dem Song einen Hit auf der Plattform der Stunde. Aber egal ob TikTok-User oder nicht, der Track hängt jedem noch Stunden, wenn nicht gar Tage nach dem Konzert im Ohr. Danach kann eigentlich nur noch der Anfang von allem folgen. Hypersonic Missiles beendet das Konzert mit einem Konfettiregen und frenetischem Applaus.
I was far too scared to hit him
But I would hit him in a heartbeat now
That's the thing with anger
It begs to stick around
Sam Fender mit stimmigen Visuals.
Fazit
Sam Fender macht was Sam Fender macht. Für seinen Erfolg verantwortlich ist die Substanz und die Authentizität seiner Songs und seiner Person. Auch wenn er nun mit Flammen, einer riesigen LED-Wand und Konfetti auffahren kann, so ist er auch auf der grösseren Bühne ein nahbarer Künstler geblieben, der sich mit seinen Fans auf Augenhöhe sieht. Er hat das Talent, um eine musikalische Legende im Stil von Bruce Springsteen zu werden. Dass die Qualität abfällt, kann man sich bei ihm fast nicht vorstellen.