Editors sind mit ihrem neuen Album «EBM» zur sechsköpfigen Band gewachsen und haben sich den elektronischen Klängen verschrieben, wie nie zuvor. Grossen Anteil daran hat ihr neustes Mitglied und «Violence»-Produzent Benjamin John Power aka Blanck Mass. Die Briten experimentieren seit jeher mit ihrem Sound. Dadurch gewinnen sie neue Fans und vergraulen Traditionalisten, die den Anfangszeiten nachtrauern. Was sich nie ändert ist, dass Editors eine extrem kraftvolle Liveband sind. Das unterstrichen sie bei ihrem gestrigen Auftritt im Volkshaus Zürich einmal mehr.
Editors: Ein lebender Organismus
Während bei anderen Bands von Zeit zu Zeit ein Mitglied die Band verlässt und ersetzt wird, verhält es sich bei Editors etwas anders. Nach dem Ausstieg von Gitarrist Chris Urbanowicz trat nicht einfach nur ein Gitarrist an seine Stelle, mit Justin Lockey wurde seine Position neu besetzt, aber gleichzeitig stiess auch Elliott Williams dazu. Dadurch wurden nach den ersten Ausflügen in die elektronischen Gefilde mit dem dritten Album In This Light And On This Evening (2009) die Synthesizer immer wichtiger. Während den drei nachfolgenden Alben in erweiterter Besetzung experimentierten die Engländer zwischen Rock, New Wave und Electro. Beim letzten Studioalbum Violence (2018) arbeiteten sie schliesslich zum ersten Mal mit dem Produzenten Blanck Mass zusammen – sein Einfluss war auf jener Platte bereits deutlich spürbar.
EBM: Editors + Blanck Mass
Unter dem Titel The Blanck Mass Sessions veröffentlichte Benjamin John Power seine eigene Interpretation der Violence-Songs. Mittlerweile ist der Produzent zum vollwertigen Mitglied geworden und hat der Band eindeutig seinen Stempel aufgedrückt. EBM ist so elektronisch wie noch kein Album zuvor, dennoch ist es im Herzen eine Rock-Platte. Denn Live-Drums und Bass sind genauso relevant wie eh und je.
Wurde auch mit EBM nicht arbeitslos: Editors-Schlagzeuger Ed Lay.
Eine laute Band wird noch lauter
Bei einem Konzert von Editors hatte man im Optimalfall schon immer die Ohrstöpsel griffbereit. Live entfaltet die Band um Sänger Tom Smith ihre volle Wucht. Mit den zusätzlichen elektronischen Elementen wird noch einmal eine Schippe zugelegt. Der Opener Heart Attack knallt durchs Volkshaus wie ein Peitschenhieb. Doch es sind nicht nur die neuen Tracks, die mit der sechsten Dimension namens Blanck Mass angereichert sind, auch bei den älteren Kompositionen spürt man jedes Bandmitglied deutlich. Ein Bindeglied zwischen den alten und den neuen Editors ist Karma Climb. Obwohl es starke Synthesizer-Elemente enthält, ist es durch seine Melodie ein eher klassische Editors-Song. Wohl auch deshalb kommt er bei sämtlichen Fans gleichermassen gut an.
I got a warm taste and I'm fallin' awayGod is decarded in a field I got a calm space and it won't let me shake Man, I'm so far from what's real
Auf der aktuellen Tour findet In This Light and on This Evening wieder Einzug in die Setlist erhält. Das gleichnamige Album transformierte Editors 2009 von einer klassischen Indie-Band immer mehr in die spannende Mischung von heute. Songs wie Sugar, Magazine und ganz besonders The Racing Rats sind alte Bekannte, an denen man sich nie satt hören kann. Ebenfalls ist die unverkennbare Gestik von Tom Smith geblieben. Wenn er seine Hände wieder einmal durch die Luft wirft, wie ein Velociraptor auf Drogen, ist das einfach ein wunderschöner Anblick.
Bei Tom Smith singen die Hände mit.
Auch ein Monster braucht mal eine Verschnaufpause
Frankenstein war einer der drei neuen Songs auf dem Best-Of-Album Black Gold (2019). In bester Halloween-Manier wird das Bühnenlicht in Grüntönen gehalten, um das Monster live zu entfesseln. Es ist toll, dass sich der Track trotz des neuen Albums im Set halten konnte. Für eine Gelegenheit zum Durchatmen sorgt die Solo-Akustik-Performance von Tom Smith bei Nothing. Ebenfalls zeigt sich All The Kings von In Dreams (2015) wieder auf der Bühne. Die Komposition wurde zuletzt nur dreimal im Jahr 2017 live gespielt. Überhaupt haben Editors ein gutes Händchen für die Zusammenstellung ihrer Setlist. Auf jeder Tour wird bunt gemischt. Logisch, dass da auch einiges wegfällt, aber dafür besteht immer die Chance, dass ein persönlicher Favorit plötzlich wie der Phönix aus der Asche emporsteigt.
Loneliness forever, loneliness foreverHolding back a river, holding back a river All the kings are coming Marching to the sound from your ribcage
Kiss ist mit einer Länge von 7:50 Minuten alles andere als radiotauglich. Doch bei keinem anderen Song ist der Klang-Kontrast so auffallend wie hier. Eben erst sitzt Tom Smith am Klavier und spielt eine ruhige Melodie und wenig später bricht im Volkshaus der Rave aus. Hier spürt man ganz deutlich die Einflüsse von Depeche Mode, im Speziellen denjenigen von Enjoy The Silence. Bei gewissen Passagen könnte man beinahe den Text des Klassikers singen, ohne dass es auffallen würde.
Vom Klavier zum Rave in wenigen Sekunden.
Alter Song in neuem Glanz und frischer Epos
No Harm war schon immer ein guter Song, in jüngster Zeit haben Editors dem Stück auf der Bühne jedoch noch einmal neues Leben eingehaucht. Es wirkt 2022 hymnischer, leidender und imposanter als je zuvor. Diese Zellerneuerung ist einer der Vorteile, wenn sich das Line-Up einer eingespielten Band ab und zu verändert. Ein Track der im Gegensatz zu No Harm im EBM-Line-Up entstanden ist, heisst Strange Intimacy. Der letzte Song des regulären Sets ist vielmehr ein Epos, als ein gewöhnliches Lied. Der Synthesizer-Part, der die erste Minute dominiert, erinnert an die elektronische Grund-Melodie Rammsteins Deutschland. Der Refrain ist an düsterer Schönheit kaum zu übertreffen und trotz seiner über sechs Minuten hat Strange Intimacy keinerlei Längen. Es definiert die neue Editors-Ära in wunderbarer Art und Weise.
Strange intimacy
This party is over Let the rain pour down on me Eclipsing the loneliness
Editors verausgaben sich auf der Bühne im Volkshaus Zürich
Ein Hattrick als Finale
Bei den Zugaben treffen Editors mit allen drei Songs direkt ins Schwarze Herz der Fans. An End Has a Start, Munich und Papillon sind allesamt Kompositionen, die seit deren Erscheinen bei keinem Konzert fehlen dürfen. Gemäss setlist.fm wurde Munich bereits 752 Mal gespielt und trotzdem hat es noch nicht an Glanz verloren. Mit den anderen beiden verhält es sich genauso. Ein letztes Mal wird die elektrisierende Energie freigesetzt, wenn Tom Smith singt: it kicks like a sleep twitch.
© David James Swanson
Make your escape
You′re my own papillon
The world turns too fast
Feel love before it's gone
Bei ihnen gibt es keine schlechten Live-Shows: Editors in Zürich.
Fazit
Editors sind ständig im Wandel und genau aus diesem Grund bleiben sie relevant und spannend. Mit ihrem elektronischen Fokus auf EBM haben sie bestimmt nicht jeden Fan glücklich gemacht, doch das ist auch nicht ihre Aufgabe. Wer die früheren Songs lieber mag und trotzdem ans Konzert geht, wird spätestens da sein Herz auch für die neuen Kompositionen ins Herz schliessen. Schliesslich werden sie Tom Smith und seiner Band mit einer solchen Leidenschaft präsentiert, dass es jedes Fanherz freuen muss.