Placebo in The Hall, Zürich:
Brian Molko lässt die neuen Songs für sich sprechen

In Reviews by indiespect

Placebo haben sich nach Veröffentlichung ihres letzten Studioalbums neun Jahre Zeit gelassen, um neue Musik zu schreiben. Als Überbrückung diente die Best-Of-Compilation «A Place For Us To Dream» mit dazugehöriger Tour. Die Übergangszeit ist nach der Trennung von Schlagzeuger Steve Forrest mit dem achten Album «Never Let Me Go» endgültig vorbei. Dass Brian Molko und Stefan Olsdal stolz auf ihre neue Musik sind, zeigte sich alleine darin, dass beim gestrigen Zürcher Konzert in The Hall elf Songs von der neusten Veröffentlichung präsentiert wurden.

Brian Molko: Der stetige Kampf gegen die Technologie

Während Jack White Smartphones auf seinen Konzerten mittlerweile komplett verbietet, setzen Placebo auf etwas sanftere Methoden. Vor ihrer Show leuchtet den Fans von den LED-Screens ein Text entgegen, der sie auffordert, doch bitte das Handy in der Tasche zu lassen und stattdessen den Moment zu geniessen. Dieser Bitte wird etwas unmotiviert auch noch von einem Sprecher der Venue über die Boxen verlesen. Irgendwie passt das zu Placebo, im Speziellen zu Brian Molko. Der Sänger hat der Smartphone-Abhängigkeit unserer Gesellschaft und Social Media schon seit längerer Zeit in seinen Texten den Kampf angesagt. Generell findet seine Kommunikation einzig durch die Songs statt. Publikumsinteraktion ist auch 2022 nicht seine Lieblingsdisziplin geworden.

Placebo

Placebo mögen keine Smartphones.

Placebo: Die Qualität spricht für sich

Brian Molko war früher eine Wundertüte. Mal spielten Placebo grossartige und fesselnde Konzert, mal wirkte er lustlos bis divenhaft und wie eine Spieluhr, die ihre Melodien runterspielt bis der letzte Ton verklingt. Mittlerweile hat sich das verändert. Obwohl der Sänger noch immer keinerlei Ansagen macht, wirkt seine Performance deutlich einnehmender. Und gegen die Live-Qualitäten von Placebo konnte man sowieso noch nie etwas sagen. 

Everybody liesOne hundred times a dayThe silence in your hard eyesIs far too rare to give awayAnd it's exactly why I stay
Beautiful James, Placebo

Die Eröffnung machen wie auf dem Album Forever Chemicals und Beautiful James. Die Kreativpause hat der Band eindeutig gut getan, sie klingt so frisch und vor Energie strotzend wie schon lange nicht mehr. Als Bühnenbild fungieren fünf mobile LED-Screens, die verschiedenste von Filter überlagerte Live-Bilder von der Bühne zeigen. Dadurch wirkt die Show auffallend dynamischer, als dies mit vorgefertigten Visuals der Fall ist. Nebst Molko und Olsdal stehen vier weitere Musiker auf der Bühne, die dem Sound zusätzliche Wucht und Vielschichtigkeit verleihen. Den Feinschliff gibt wie immer der Einsatz von Live-Violine.

Placebo

Brian Molko mit seinem Louis XIV-Look in Zürich.

Die Aura des Unbekannten

Immer mehr Acts sind so nahe mit ihren Fans verbunden, wie noch nie. Über Social Media buhlen sie um deren Gunst und stehen in ständiger Interaktion. Bei Placebo verhält es sich noch wie früher. Die Band wirkt tendenziell unnahbar und sie umweht eine Aura des Unbekannten. Vielleicht ist es genau die Tatsache, dass Molko auf der Bühne kein Sterbenswörtchen an sein Publikum richtet, welche die noch immer bestehende Magie ausmacht. Es ist denn auch Stefan Olsdal, der mit Bionic den ältesten Placebo-Song, vom gleichnamigen Debütalbum von 1996, ankündigt. Dies bleibt die einzige Ansage des Abends. Im Verlauf des Auftritts möchte man sich regelmässig die Augen reiben, ob der Brillanz der Musiker auf der Bühne. Jeder Ton sitzt, ganz egal ob beim Gesang oder der Instrumentierung. Der Sound ist angenehm abgemischt und transportiert trotzdem die Wucht der Kompositionen.

Harder, fasterForever afterHarder, faster, forever afterHarder, faster, forever after, forever after
Bionic, Placebo
Placebo

Eine schön inszenierte Bühne auf der «Never Let Me Go»-Tour.

Never Let Me Go: Die Wiedergeburt von Placebo

Auch wenn Loud Like Love (2013) Songperlen enthält, war es im Vergleich zum vorletzten Album Battle For The Sun (2009) ein deutlicher Abstieg. 2009 spürte man die Frische des neuen, jungen Drummers. Scheinbar hielt die Chemie aber auf Dauer nicht an. Mit Never Let Me Go melden sich Placebo in Kernbesetzung und mit einem Ausrufezeichen zurück. Wie gut das Album wirklich ist, zeigt sich an diesem Abend eindrücklich. Einerseits ist es natürlich schade, dass Klassiker wie Every You, Every Me, Black Eyed oder Special K aus dem Set verbannt werden, aber am Ende ist es besser eine Band auf der Bühne zu haben, die Spass an ihren Songs hat. Und beim neuen Material ist diese Tatsache durchgehend spürbar. 

«Too Many Friends», ein Song der Brian Molko noch immer sehr am Herzen zu liegen scheint.

In der Mitte des Sets läutet Too Many Friends, das mit Abstand stärkste Stück des Albums von 2013, eine Retrospektive ein. An dieser Stelle gibt es auch die einzige Quasi-Ansage von Molko ans Publikum. Dem Text verleiht der Sänger mit der erweiterten und zusätzlich betonten Songzeile: What all YOU people do everyday – stare into a phone zusätzlich Nachdruck. Nach dieser musikalischen Ermahnung, nicht immer am Screen zu kleben, wird das Herz mit Nostalgie gefüllt. Songs wie For What It’s Worth, Slave to the Wage, Song to Say Goodbye, The Bitter End und Infra-Red bringen die Halle zum Erzittern.

Every step we took that synchronizedEvery broken boneReminds me of the second timeThat I followed you home

Bitter End, Placebo
Editors

Placebo: Brian Molko und Stefan Olsdal Seite an Seite.

Die beste Cover-Band der Welt

Das Album Sleeping With Ghosts (2003) wurde von einer zweiten Veröffentlichung voller Coversongs begleitet. Keine andere Band schafft es, Klassikern wie 20th Century Boy, Where Is My Mind und ganz besonders Kate Bush’s Running Up That Hill ihren ganz eigenen Charakter zu verleihen wie Placebo. Dies in einer Zeit, lange bevor Stranger Things das Original wieder in das Gedächtnis einer neuen Generation holte. Auch 2022 ist das Covern von Songs der Band noch nicht verleidet. Jüngst interpretierten sie den Tears for Fears-Hit Shout neu. Diesen gibt es in Zürich als erste Zugabe. Live wirkt er noch imposanter und beinahe wie das erste richtige Duett zwischen Olsdal und Molko. Die Stimme von Olsdal ist hierbei sogar tragender, als diejenige von Brian Molko – eine ziemliche Leistung. 

© David James Swanson

Shout, shout, let it all outThese are the things I can do withoutCome on, I'm talking to you, come on
Shout, Tears For Fears

Mit Fix Yourself nimmt die Band noch einmal die letzte Abzweigung zu ihrem aktuellen Album, bevor der Abend schon fast traditionsgemäss mit dem besagten Cover von Running Up That Hill (A Deal With God) beendet wird. Das Fanherz der Placebo-Fans schlägt nach einer solchen Perfektion so laut und schnell wie schon seit Jahren nicht mehr.

Editors

Placebo in der bis zuhinterst gefüllten The Hall in Zürich.

Fazit

Neun Jahre haben Placebo gebraucht, um Never Let Me Go zu schreiben. Natürlich wäre es schön, wenn man nicht wieder so lange warten müsste. Wenn dabei aber ein solch starkes Album entsteht und die Band so frisch zurückkehrt, lohnt sich die Geduld. Auf der Bühne können sowieso nur ganz wenige Acts Placebo das Wasser reichen. Schön, dass sie wieder da sind.