Wolf Alice in Zürich:
Die zwei Gesichter der Ellie Rowsell im ausverkauften Dynamo

In Reviews by indiespect

Wolf Alice sind mittlerweile eigentlich zu gross fürs Dynamo. Die Venues der restlichen «Blue Weekend»-Tour sind mindestens doppelt so gross wie das Zürcher Kulturzentrum mit seiner 600er-Kapazität. Kein Wunder also, dass das gestrige Konzert schon seit längerer Zeit restlos ausverkauft war. Die englische Band um Sängerin Ellie Rowsell riss den Club mit ihrer Wucht auseinander und flickte ihn Sekunden später mit einer sanften Komposition wieder zusammen. Mit Annie Taylor war ein Support-Act mit an Bord, der wie die Faust aufs Auge passte.

Annie Taylor: Wenn Träume wahr werden

Es muss ein einmaliges Gefühl sein, wenn einer deiner grössten Wünsche plötzlich in Erfüllung geht. Wolf Alice sind der Grund, warum Annie Taylor überhaupt entstanden sind. Schon 2015 postete Sängerin Gini Jungi ein Foto mit Ellie Rowsell, das sie beim entspannten Gespräch vor der Bühne des Zürich Openairs zeigt. Dieses war mit folgender Legende versehen: just chilling with the singer of my favourite band... you know, the one who's gonna be our opening act. in a few years;). Zwar ist die Reihenfolge noch etwas verkehrt, aber wohl kaum hätte Gini damals überhaupt daran gedacht, sieben Jahre später mit den Engländern eine Bühne zu teilen. Dementsprechend spürbar ist der Wille, diesen speziellen Abend in vollen Zügen auszukosten. Mittlerweile sind Annie Taylor erfahrene Live-Profis und performen die Songs ihres Debütalbums Sweet Mortality mit einer Leidenschaft, als gäbe es kein Morgen mehr. Der Ton für den Abend ist mit einer ersten starken Frau am Mikrofon gesetzt.

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© Instagram: Gini Jungi

Annie Taylor

They made it: Annie Taylor als Support von Wolf Alice

Wolf Alice: Kraftvoll und zerbrechlich

Das dritte Album von Wolf Alice ist insgesamt ruhiger als seine Vorgänger. Mit Blue Weekend hat die Band ihrem Repertoire eine neue Tiefe verliehen, die sich live im Mix mit den roheren und wilden Songs, noch deutlicher bemerkbar macht. Es ist spannend Ellie Rowsell zu beobachten, denn je nach Track scheint sie ihre Persönlichkeit zu verändern. Von der schüchternen Alice, die sich am Mikrofonkabel festhält wird sie zum wilden Wolf, sobald das Tempo anzieht. Der Opener Smile ist die Verschmelzung der Wolf-Alice-Welten. Melodisch und doch krachend eröffnen die Engländer ihr Set im ausverkauften Dynamo.

If you want me you can find me at the barLost souls congregate at the barTake a minute and remember who you areSip your drink, sip one more and you're a star
Smile, Wolf Alice

Die Freude der Fans flimmert in der Luft, denn auch dieses Konzert konnte nicht am ursprünglich geplanten Termin im Februar stattfinden. Die Texte werden lautstark und emotional berührt mitgesungen. Weniger gut geht das in Passagen, in denen Rowsell ihr Stimmorgan bis zum Äussersten strapaziert, wie beispielsweise bei Fromidable Cool vom zweiten Album Versions of a Life (2017). 

Wolf Alice

Ellie Rowsell beherrscht sämtliche Gefühlslagen

Delicious Things: Melodien zum Träumen

Erst schreit sie sich die Seele aus dem Leib und Sekunden später singt Ellie bei Delicious Things mit samtener Stimme eine wunderschöne Melodie. Wolf Alice sind 2022 so wandelbar wie nie zuvor. Mit dem Wechselspiel der Stile stärken sich alle Songs gegenseitig und der Kontrast zwischen leise und laut wird intensiviert. Bei Lipstick On The Glass fliegen mehrere Rosen auf die Bühne, eine schöne Alternative zu Handylichtern in der Luft. 

Yeah, I know it seems surprisingWhen there's lipstick still on the glassAnd the full moon risingBut it's me who makes myself mad
Lipstick on the glass, Wolf Alice
Royal Republic

Wolf Alice im ausverkauften Dynamo, Zürich.

Dynamo-Premiere und Dernière gleichzeitig?

Das ausverkaufte Konzert im Dynamo ist der erste Besuch im Club direkt neben der Limmat. Wenn man die steigende Popularität und die Nachfrage sieht, welche diese Band derzeit hat, könnte es auch der letzte sein. Mit ihrer Aura ist kaum vorstellbar, dass Wolf Alice bei ihrem nächsten Besuch in Zürich nicht in einer grösseren Venue auftreten. Doch heute kommen die glücklichen Fans, die sich ihr Ticket frühzeitig gesichert haben, in den Genuss einer vergleichsweise intimen Clubshow. Nach Planet Hunter und Bros von den früheren Alben folgt ein Querschnitt aus dem neuen Album.

Look beyond your wallBend your own rulesSee how far you fall'Cause I bet it won't kill you
Safe from Heartbreak (If You Never Fall in Love), Wolf Alice

Passend zu den choralen Klängen von Safe from Heartbreak (If You Never Fall in Love) stimmt das Publikum ganz ohne Aufforderung einen mehrstimmigen Gesang an. Sowieso braucht die Band nicht zu animieren, um die Leute zum Mitmachen zu bringen. Man sieht in zahlreiche beseelte Gesichter und Menschen, die sich komplett in der Musik verlieren und in ihrer eigenen Welt das Konzert geniessen. Da fällt die eine Person gleich doppelt auf, die beinahe während des gesamten Konzerts auf seinem Handy Fussball-WM schaut. Aber was soll man da sagen? Jede Person fühlt Livemusik halt etwas anders.

Wolf Alice

Hannes Irengård: Der am wenigsten schlechte Tänzer der Band

Play the greatest hits: Ein Sturm zieht auf

Nun vollzieht Ellie Rowsell die grösste Verwandlung des Abends. Es wirkt fast als wäre der Vollmond durch die Wolken gebrochen und hätte einen Werwolf entfesselt, sobald die Engländer Play the Greatest Hits von der Bühne brettern. Obwohl auf dem vermeintlich ruhigeren dritten Album vertreten, ist dies wohl einer der wildesten Tracks von Wolf Alice. Die Punk-Attitüde des Gesangs und der Instrumentierung verschmilzt mit einer zweiten, harmonischen Gesangsmelodie im Refrain. Dieser Song ist eine Naturgewalt, kein Wunder fliegt hier statt weiteren Rosen plötzlich ein BH auf die Bühne.

The taste of someone's lipsTheir hands placed on my hipsSwaying in the kitchenTo all the greatest hits

Play the greatest hits, Wolf Alice
Wolf Alice

Wird zum Werwolf: Ellie Rowsell

Nach dem Unwetter in Seide gehüllt

© David James Swanson

Der Sturm verzieht sich und mit Silk wird ein beruhigender Klangteppich in Zürich ausgebreitet. Der Song vom Debütalbum ist Teil des Soundtracks der Trainspotting-Fortsetzung T2: Trainspotting von Danny Boyle und fungiert sogar als Abspann-Musik. Obwohl er in dieser Rolle äusserst passend ist, beendet er nicht den Konzertabend von Wolf Alice. Noch einmal tanzt die Band zwischen ihren Klangwelten hin und her und zieht das Publikum von einem friedlichen Wunderland in die Gitarren-Hölle.

No hard feelings, honeyThere'll be no bad bloodLosing your love has been hard enoughLife can be short, but life can be sweet
Are you gonna go my way, Lenny Kravitz

Den Abschluss machen das textlich poetische No Hard Feelings sowie das hymnische Don't Delete the Kisses. Mit einem Me and you were meant to be in love endet ein Abend, der wie ein Apriltag zwischen Sturm, Sonnenschein und Starkregen alles umfasst hat. Die neue Vielfältigkeit steht Wolf Alice ausgezeichnet.

Wolf Alice

Applaus von beiden Seiten. Wolf Alice in Zürich.

Fazit

Blue Weekend hat Wolf Alice in neue Spähren katapultiert. Nach dem vielseitigen dritten Album ist für die Engländer alles möglich. Sie können die schönsten Balladen schreiben und gleichzeitig mit aller Härte zuschlagen. Das gibt der Band die Möglichkeit, sich immer weiter zu entfalten und ihren Erfolg Stück für Stück auszubauen.