Jan Böhmermann & das Rundfunk-Tanzorchester in Zürich: Intergalaktisch-politischer Liederabend im ausverkauften Volkshaus

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Jan Böhmermann besuchte gestern mit dem Rundfunk-Tanzorchester zum zweiten Mal das aussereuropäische Zürich. Nach dem Auftritt in der Halle 622 im Jahr 2019, legte der Satiriker gestern einen Stopp im ausverkauften Volkshaus ein. Nicht nur heisst die Tour «Ehrenfeld Intergalactic», auch die Schlange vor dem Einlass war nicht von dieser Welt. Sie zog sich einmal ums komplette Gebäude. Drinnen wartete als Lohn ein politischer Liederabend zwischen Hüttengaudi, Gangster-Rap und emotionalem Singer-Songwriter-Charme.

Jan Böhmermann & das Rundfunk-Tanzorchester: Die Allzweckwaffe

Wer ein Orchester wie das RTO im Rücken hat, kann jeden Musikstil mit grossen Fanfaren auf die Bühne bringen. Das Konzert startet hinter einem riesigen Vorhang, von welchem einem die gigantische Konterfei Böhmermanns und des RTO entgegenblicken. Nach einem Countdown und dem Intro zu Can You Feel It der Jackson 5 wird der Blick auf das stattliche Orchester freigegeben. Einen harten Cut bringt der erste Auftritt von Jan Böhmermann. Mit FFP2-Maske kanalisiert er Andreas Gaballier und bringt das Ischgl-Fieber (Husti Husti Heh!) nach Zürich. Es ist erschreckend, wie leicht ein Publikum in Après-Ski-Stimmung verfällt, obwohl es die Ironie versteht. Dieses Gefühl zieht sich in anderen Genres wie ein roter Faden durch den Abend.

Jan Böhmermann

Jan Böhmermann und das Rundfunk-Tanzorchester bringen das Ischgl-Fieber ins Volkshaus.

Hauptprobe in Wien, Premiere in Zürich

Bei seinen Ansagen zwischen den Songs hat Böhmermann zwei Lieblingsthemen. Einerseits das augenzwinkernde Wien-Bashing, wo die Tour am Abend zuvor gestartet hat, andererseits die fehlende Zugehörigkeit der Schweiz zur EU. Zuckerbrot und Peitsche beherrscht er wie kaum ein anderer. Aber nebst knallhartem und betont vielfach ausgezeichnetem Investigativ-Journalist ist Böhmermann auch Mensch, genauer gesagt ist er Playboy Mann des Jahres 2022In seiner Vorstellung ist der Playboy in der Schweiz verboten, hier gebe es stattdessen nur nackte Euter. Mit dem schon legendären Cover von Style & das Geld, im Original von den Gross-Lyrikern Kay One und Bushido rekonstruiert er, wie dieser Zellhaufen, zusammengehalten von einer schlabbrigen Jogginghose und einer Glitzerjacke, zu solchen Ehren gekommen ist. Für die Performance kommen zum ersten Mal die vier Jadebuben in ihren Glitzer-Westen zum Zug. Sie werden den Satire-Barden noch mehrfach begleiten.

Ich bin Kay, der Playboy des Jahres
Ich schlucke vor den Playmates Cialis
Stöhn', Baby, ich werd' verrückt, wenn's passiert
Wenn du willst, mach' ich 100 Liegestütze auf dir
Stlye & das GEld, Kay One feat. Bushido
Nada Surf

Er hat Style & das Geld: Playboy Mann des Jahres 2022 – Jan Böhmermann

Am Besten ist Jan Böhmermann mit rollendem «R»

Bereits 1961 wurde Meinst du, die Russen wollen Krieg von Mark Bernes nach einem russischen Gedicht von Jewgeni Jewtuschenko veröffentlicht. Auch über sechzig Jahre später trifft die Komposition wieder einen Nerv im aktuellen Weltgeschehen. Bereits beim letzten Auftritt ist aufgefallen, dass Jan Böhmermann bei alten Songs sein ganzes Potenzial ausschöpft. Mit seiner Inbrunst sorgt er für einen Gänsehautmoment, wie er es 2019 mit dem Udo Jürgens-Song Tausend Jahre sind ein Tag getan hat. Ganz ähnlich verhält es sich auch ganz zum Ende des Auftritts bei Licht an! Licht an! Ein Anti-Nazi-Song im Klanggewand eines alten deutschen Liedermachers. Doch dazu später mehr. Zwischen diesen zwei Highlights liegen noch zahlreiche weitere.

Der Kampf hat uns nicht schwach gesehn,
doch nie mehr möge es geschehn,
daß Menschenblut, so rot und heiß,
der bitt’ren Erde werd’ zum Preis.

Meinst du, die Russen wollen Krieg?, Mark Bernes

Der Polizistensohn mit der Liebe zu Europa

Die Genres sind so vielseitig wie die Themen der Songs. Feinster Glam-Rock ist U.S.E. United States of Europe, eine Hymne auf die Europäische Union. Doch auch zur Polizei hat der Polizistensohn aus Bremen Nord ein gespaltenes Verhältnis. Als POL1Z1STENS0HN hat Böhmermann mehrere Songs über die Gewaltenteilung und den Wert der Polizei geschrieben. Nicht ohne Grund hat er für sein Alter Ego den Gangster-Rap gewählt. Dadurch werden die lächerlichen Texte vieler Vertreter dieses Genres karikiert und aufgezeigt, dass über allem das Gesetz steht, auch wenn man noch so sehr auf dicke Hose macht. Doch auch vor Problemen bei den Gesetzeshütern macht er nicht halt. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft bekommt sein Fett in Rainer Wendt (Du bist kein echter Polizist) weg und Die Polizei ist nicht im Internet behandelt den mangelhaften Kampf gegen Online-Hass-Kriminalität. 

Willst du mal die Sau rauslassen? Willst du schimpfen oder hassen?Willst Du auch mal volksverhetzen oder ein Gesetz verletzen?Willst du eine Bombe bauen oder nen Minister hauen?Es gibt da einen Ort, wo kein Streifenwagen hält!

Die Polizei ist nicht im Internet, Jan Böhmermann
Nada Surf

Die unerschrockene Stimme einer Generation in Zürich.

Das Rundfunk-Tanzorchester: Mehr als eine Showband

Auch wenn Jan Böhmermann im Scheinwerferlicht steht und die Augen auf ihn gerichtet sind – es ist das Rundfunk-Tanzorchester, das ihn trägt. Die spielerische Perfektion spürt man nicht nur bei den gesungenen Stücken, auch wenn Böhmermann das Feld räumt und seinem Orchester den Raum überlässt. Unter der Leitung von Lorenz Rhode versprühen die Musiker trotz der anspruchsvollen Kompositionen eine Lockerheit und Spielfreude, die ansteckend ist. Zweifellos ist das RTO stark von Grössen wie den Beastie Boys und vor allem Daft Punk inspiriert. Das zeigt sich alleine durch den Einsatz der Talkbox, wessen Schlauch Rhode einen grossen Teil der Zeit im Mund hat – oder wie Böhmermann sagt: Der Funk muss zwischendurch mal abgelassen werden, sonst ist das zu viel. Die Bandvorstellung ist mit der Verwendung von Music Instructor's Hymn sehr clever gelöst und begeistert das Publikum im ausverkauften Volkshaus.

Rundfunk-Tanzorchester

Von der String- bis zur Brass-Section: Das Rundfunk-Tanzorchester.

Der «was soll ich tun»-Faktor

Ähnlich wie bei Ischgl-Fieber, nur etwas harmloser, bringt einen Menschen Leben Tanzen Welt in eine moralische Zwickmühle. Obwohl das Stück eine Persiflage auf die erfolgreichen Singer-Songwriter ist, deren Songs aus dem immergleichen Gefühlsbingo bestehen, möchte man beinahe die Augen schliessen und das Feuerzeug in die Luft strecken. Dies, während Böhmermann einen Werbeslogan an den nächsten klatscht und vom schwarzen mit der blonden Seele singt. Was tut der Mensch in einer solchen Situation? Macht er nicht mit und sagt sich, ich verstehe die Ironie oder zündet er insgeheim ein inneres Kaminfeuer der Leidenschaft an. Die Wahrheit befindet sich irgendwo dazwischen.

Messer, Gabel, Schere, Licht
Sind für kleine Kinder nicht
Fruchtalarm Ich liebe es
Irgendwann erfrischt es jeden

Menschen Leben Tanzen Welt, Jim Pandzko feat. Jan Böhmermann
Nada Surf

Der verträumte Blick des Jan B.

Eine Gala geht zu Ende

Bevor das RTO mit einem Daft Punk-Medley die Zugaben eröffnet und der POL1Z1STENS0HN mit Ich hab Polizei die Sirenen anwirft sollte noch einmal Licht an! Licht an! Erwähnung finden. Im Song geht es darum, dass wir nicht die Augen vor Rassisten verschliessen dürfen und ihnen mit Ignoranz oder gar Freundlichkeit begegnen, um sie nicht aufzuschrecken. Stattdessen sollten wir alle im übertragenen Sinn das Licht an machen, auf sie zeigen und die Party beenden, sobald wir einen von ihnen entdecken. Musikalisch und textlich hat Jan Böhmermann mit diesem Stück den Nagel auf den Kopf getroffen. Hier wird die Ironie abgestellt und das Kind beim Namen genannt. Anlass für den Song war eine Party, die der ehemalige Spiegel-Kultur-Chef und kurzzeitiger Welt-Kolumnist Matthias Matussek in seiner Privatwohnung gegeben hat. Nebst dem Mann von Beatrix von Storch tauchten da auch drei Nazis von der Identitären Bewegung auf, während Rheinold Beckmann, Moderator und Musiker, mit aufgeknöpftem Hemd seine Songs zum Besten gab.

Willkommen, Herr Nazi, treten sie einZuerst in meinen Saal, dann aufs AusländerschweinSie lachen, Herr Nazi, und wir lachen mitWeil nicht wir, sondern sie sind ja Antisemit
Licht An! Licht An!, Jan Böhmermann

Da hat Michael Jürgens, Manager von Florian Silbereisen, Glück, dass sich direkt im Anschluss an diesen Knaller bei Micha (was hast du mir nur angetan?) an ihm abgearbeitet wird. Dadurch wir ihm und seinen dubiosen Machenschaften etwas weniger Aufmerksamkeit gezollt. Dafür dürfen Paare, die zu diesem Song das Tanzbein schwingen, Radek Stawarz' Bratsche berühren, wo sie möchten. Ein Preis, den sich nur Böhmermann spontan einfallen lassen kann. Damit findet die Gala mit einem Schlager-Epos und Instrumenten-Misshandlung ein stimmungsvolles Ende.

Nada Surf

Jan Böhmermann & das Rundfunk-Tanzorchester verabschieden sich vom Publikum.

Fazit

Jan Böhmermann & das Rundfunk-Tanzorchester sind die perfekte Kombination. Starke Satire-Songs treffen musikalisches Können. Dass Böhmermann schon zum zweiten Mal den Weg aus dem Fernsehstudio und auf Tour gewagt hat, ist ein Geschenk, denn die Musik ist ein grosser Teil dessen, was ihn ausmacht. Es scheint nicht so, als würden ihm in absehbarer Zeit die Themen ausgehen, wir können uns also bestimmt auf weitere Kompositionen freuen. Dass in der Playlist nach dem Konzert der richtige Gabalier-Song läuft, ist wohl auch kein Zufall. So sorgt Böhmermann dafür, dass man mit schlechtem Gewissen nachhause fährt, weil einem die Melodie nicht mehr aus dem Kopf geht.