dEUS haben seit Beginn ihrer Karriere acht Alben veröffentlicht, zuletzt «How To Replace It» im Februar 2023. Die Belgier haben nach elf Jahren neue Songs geschaffen, die einen beim Zuhören fordern und gleichzeitig bei jedem Durchlauf neue Facetten enthüllen. Gestern stand die Formation um den exzentrischen Sänger Tom Barman im Kaufleuten in Zürich auf der Bühne.
dEUS: Kein Anspruch auf leichte Kost
Die musikalischen Einflüsse von dEUS scheinen grenzenlos zu sein. Egal ob Jazz, Folk, Funk oder Punk, es schlägt sich so manches in den Kompositionen der Band nieder, die seit 1989 existiert. Mit dem Titeltrack How to Replace It eröffnen die Musiker ihr Set. Das neuste Werk von dEUS ist komplex, vertrackt und in Teilen disharmonisch. Es ist wohl kaum ein Album, das ein leichter Einstieg für potenzielle neue Fans ist. Vielmehr sollte man den Songs Zeit geben und in jede Klangebene eintauchen, um die Schönheit im Chaos zu entdecken. Die schlichte und gleichzeitig wilde Lichtshow unterstreicht den Charakter der Belgier. Diese Herren sind Meister ihres Fachs. Egal ob als Multiinstrumentalisten oder als alternierende Backgroundsänger, jeder ist mehrfach gefordert.
dEUS im Klubsaal des Kaufleuten zürich.
Ein Trip aus Klang und Licht
Wenn das Licht grün durch den ehrwürdigen Klubsaal des Kaufleuten flimmert, wähnt sich auf der Anzeige eines Flugradards, das den Luftraum nach feindlichen Objekt im Himmel absucht. Die Stimme von Barman ist in gesprochenen Passagen so tief, dass selbst Leonard Cohen zu Lebzeiten neidisch geworden wäre. Sobald er in den Gesang wechselt, verwandelt sie sich und scheint von einer anderen Person zu stammen. Immer wieder übernehmen auch andere Musiker Gesangs-Parts. Während Stéphane Misseghers auf sein Schlagzeug eindrischt, ist er im gleichen Atemzug für die höheren Stimmlagen verantwortlich. Schon fast animalisch wird es, wenn Gitarrist Maurits Pauwels das Mikrofon ansetzt.
He said, "I won't throw myself from the pier
I'm gonna go home and shut up for a year And when the year is over, I'll reappear And have a solution"
Bei dEUS klingt nicht alles lieblich, aber immer kraftvoll. Es steckt so viel rohe Energie und Virtuosität in der Performance, dass es an eine sehr laute Version von Jazz erinnert. Allen voran performt sich Barman in einen ekstatischen Zustand – sein weit aufgeknöpftes Hemd ist schnell klitschnass. Zwischen dem musikalischen Unwetter lassen die Belgier aber auch Platz für einige ruhige Momente. 1989 ist gleichzeitig Gründungsjahr der Band und einer der harmonischsten und ruhigsten Tracks des neuen Albums. Passend zum Titel schwingt die Nostalgie der 80er-Jahre mit. The Architect hingegen ist einer der zugänglichsten Songs im Repertoire und eignet sich daher perfekt für Einsteiger ins dEUS-Universum.
Bis der Schweiss tropft: Deus in Zürich.
Nach der Jubiläumstour ist «The Ideal Crash» auf der Ersatzbank
2019 feierten dEUS im X-Tra 20 Jahre The Ideal Crash und brachten ihr drittes Album komplett auf die Bühne. Kein Wunder, dass es nun wieder etwas in den Hintergrund rückt. Bei den Belgiern ist es gar so, dass mit Instant Street nur ein einziger Song mit auf die aktuelle Tour genommen wurde. Wenn dieser nicht so wichtig und einmalig in der Bandgeschichte wäre, hätten sie bestimmt auch den letzten Track ihres Erfolgswerks vom Set getilgt, um mehr Platz für anderes zu haben. Doch Instant Street ist eine Macht. Die Komposition fliegt gemächlich dahin, bevor nach über vier Minuten in den Hyperschallmodus gewechselt wird und alles in einem Instrumentalinferno in Brand gesteckt wird.
You're probably right, seen from your side, that I've been lucky
But I've been meaning to crack all week. Yes I've been involved, it never resolved into anything shocking. Pains playing yo-yo in my body as we speak.
Klaas Janzoons und Tom Barman: Die deus-urgesteine.
Eine Band mit vielen Gesichtern
W.C.S. (First Draft) vom Debütalbum Worst Case Scenario (1994) ist in der Studioversion eine gespenstische Mischung aus Jazz und Sprechgesang. Auf der Bühne verwandelt sich Tom Barman eher in einen Rapper, der seinem Kontrahenten bei einem Battle die Bars ins Gesicht spittet. Die repetitive Passage it's the first draft of a worst case scenario gegen Ende des Songs mit einer Mischung aus Jazz, Hip-Hop und Punk würde auch den Beastie Boys gut zu Gesicht stehen. Gezähmt sind die Belgier auch nach über 35 Jahren Bandgeschichte nicht. How To Replace It setzt da an, wo Following Sea (2012) vor mehr als zehn Jahren aufgehört hat hat.
Oh they say that time presses, but time doesn't press
It's just a figure for motion and emotional unrest It's a matter of seeing and of being seen As far as I'm concerned time is the state of my jeans
Der französische Track Quattre Mains von der 2012er-Platte ist ein echter Livekracher. Sun Ra beschliesst das reguläre Set und Bad Timing, beide vom Album Pocket Radio (2005) macht nach mehreren Zugaben den Sack zu. Ein fast 10 Minuten andauerndes dEUS-Feuerwerk fegt durch den Saal. Belgien hat sich musikalisch ein weiteres Mal von seiner stärksten Seite gezeigt. Nicht immer leicht verdaulich, aber nachhaltig und irgendwie nicht von dieser Welt.
Ein Instrumental-Feuerwerk in Aktion.
Fazit
Beim Jubiläumskonzert zu The Ideal Crash wusste man, was einen in groben Zügen erwartet. Auf der Tour zum ersten neuen Album in elf Jahren setzen dEUS dafür erst recht auf Unvorhersehbares. Die Musik fordert das Publikum und spendet im selben Moment unglaublich viel Energie. dEUS haben vielleicht eine relativ hohe Einstiegshürde für neue Fans, aber es lohnt sich, der Band die Zeit zu geben. Die Kompositionen entfalten sich Stück für Stück und offenbart ein ganz neues Universum.