Bosse in Zürich:
Eine Masterclass übers Träumen im Dynamo

In Reviews by indiespect

Bosse hat im Oktober «Übers Träumen» veröffentlicht. Sein neuntes Studioalbum brachte den sympathischen Braunschweiger für seine erst dritte Schweizer Clubshow nach Zürich. Wie schon 2018 trat er im Dynamo auf. Sein Charakter, seine Band und Kompositionen zwischen Nostalgie, Haltung und Lebenslust wärmten die Herzen im vollgepackten Club. Ein Konzert von Bosse fühlt sich an wie eine einzige lange Umarmung.

Bosse: Der Träumer mit dem Grossen Herz

Aki Bosse ist ein fleissiger Zeitgenosse. Seit 2005 hat er neun Alben veröffentlicht. In Deutschland ist er als feste Grösse in der Musiklandschaft etabliert und hat mit zwei seiner Platten die Spitze der Charts erreicht – die Top 10 knackte er mit ganzen sechs. Eigene Shows in der Schweiz spielt er hingegen erst seit 2015 und wenn er kommt, dann eher in die kleineren Clubs. An diesem kalten Mittwochabend spielt er zum zweiten Mal in Folge im Dynamo (Fassungsvermögen: 600 Personen). Ohne Support ist der Konzertbeginn auf 20 Uhr festgesetzt. Wenige Minuten vorher sieht es noch so aus, als blieben im Publikum einige Lücken. Doch dreht man nach Konzertbeginn den Kopf nach hinten, realisiert man schnell, wie rappelvoll es am Ende geworden ist. Gut so, denn Bosse hat mit seinen Kompositionen einen vollen Club verdient. Erst betritt seine sechsköpfige Band die Bühne, bevor der Wirbelwind zu den Klängen von Royales Morgenblau auf dem Parkett erscheint. Er tänzelt beschwingt über die Bühne und sucht immer wieder Blickkontakt mit seinen Fans. Seine Performance und die Bindung zum Publikum wirkt so natürlich und nahbar wie es nur sein kann. 

Fulminantes Morgenblau, royales MorgenblauFür alle, die im Dunkeln stehen, sieht das Helle heller ausFulminantes Morgenblau kneift dir in den AugenFür alle, die am hoffen sind, gibt der Horizont einen aus
Royales Morgenblau, Bosse
Ash

Kein Wunder kann bosse so gut träumen, bei seinen Konzerten powert er sich komplett aus.

Fehler machen Bosse liebenswürdig

Er ist ein Profi und kennt so ziemlich jede Bühne. Trotzdem wirkt Bosse nicht abgehalftert. Er versucht es erst gar nicht zu kaschieren, wenn er bei Frankfurt Oder eine falsche Strophe singt. Ein abgebrochener Song ist keine Schande, vielmehr ist er die Möglichkeit eine weitere kleine Geschichte zu erzählen, bevor man den Faden wieder aufnimmt. Wenn er nicht einen so vollen Terminkalender hätte, würde Aki Bosse gemäss eigener Aussage im Berliner Kneipenchor singen. Zusammen trinken und ohne Hemmungen gemeinsam Lieder singen, das ist seine Welt. Nun hat er sich für das Nächstbeste entschieden. Besagten Chor hat er für einige Tüten Chips und ein paar Bier ins Studio eingeladen und mit dem über 20-köpfigen Ensemble Ein Traum aufgenommen. Weil ihm die Session so viel Spass gemacht hat, ist der Chor nun auf mehreren Songs auf Übers Träumen zu hören. Das Dynamo stellt seine eigenen Kneipenchor-Qualitäten unter Beweis und Bosse hüpft weiter mit sich selbst um die Wette. Das Fitnessprogramm zeigt bereits seine Wirkung, dem Sänger tropft der Schweiss wie bei einem Saunagang aus dem Gesicht. 

Manchmal fällt's noch schwerDann schau ich uns hinterherZurückhol'n kann ich's kaumWar ein Traum, ein Traum
Ein Traum, Bosse
Bosse

Bosse wird getragen von seiner fantastischen Band

Der körper nutzt kurze verschnaufpausen

Das Tempo wir auch mit Alles ist Jetzt, 3 Millionen und Dein Hurra gehalten. Letzteres ist übrigens der einzige Song aus dem Album Engtanz der es ins aktuelle Set schaffte. Dies war die Veröffentlichung, die Bosse 2016 ins ausverkaufte Exil brachte. Bei 3 Millionen tanzt sich der Braunschweiger seinen Weg quer durchs Publikum – jetzt macht er seine Meter auch noch abseits der Bühne. Aber auch der grösste Sportfuchs braucht mal eine Verschnaufpause. Augen zu  Musik an gibt es in einer wunderbar reduzierten Akustikversion zu geniessen. Mit einem Lächeln bittet Aki seine Fans, bitte nicht rhythmisch zu klatschen, da er sonst sofort aus dem Takt fällt. Gesagt getan, jede Person im Raum lauscht aufmerksam und lässt die Hände wo sie hingehören. Und da passiert es. Bosse juckt es im Hals und ein Huster unterbricht den Song mittendrin. Langsam fragt sich der Musiker, was an diesem Abend los sei. Wie er in solchen Situationen handelt, macht unter anderem seinen Charme aus. Es muss nicht immer alles perfekt sein, solange es von Herzen kommt.

Baby, wie du pennst, sieht gemütlich ausIrgendwann baue ich uns ein FerienhausWir machen ein paar Kids, die sehen aus wie duUnd auf einer Bank sitzen ich und du
Augen Zu Musik an, Bosse
Bosse
Bosse
Bosse

    Kein Alligatoah dafür ein neustart bei «Salzwasser»

    Wenn Bosse wüsste, dass bereits beim kommenden Song der nächste Schluckauf lauert, hätte er sich die Haare gerauft. Vor dem Song erzählt Bosse jedoch von seinem schönsten Moment in diesem Jahr. Gemeinsam mit Gitarrist Torsten Sala hat er sich in die Wellen gestürzt. Besagter Torsten ist in Zürich besonders aufgeregt, weil seine ganze Familie anwesend ist. Er hat Verbindungen zur Limmatstadt und wir deswegen von Bosse als Zürcher Richard Geere bezeichnet. Doch zurück zum Schluckauf. Dieses Mal ist es keine körperliche Fehlfunktion, sondern eine technische. Bei Salzwasser steigt die Spannung, wer den Featuring-Part von Alligatoah übernimmt. Keyboarderin und Backgroundsängerin Viviane Essig nimmt pünktlich für ihren Einsatz mit Mikrofon bewaffnet den Platz in der Mitte der Bühne ein, und... Stille. Sie bewegt ihre Lippen, aber man hört nichts. Das Mikrofon ist nicht eingeschaltet. Einfach wieder einsetzen geht in diesem Fall nicht, also wird der Song noch einmal komplett von vorne gestartet – sehr zur Freude des Publikum. Dieses Mal funktioniert alles einwandfrei und Viviane macht den abwesenden Rapper stolz. 

    Und dennoch renne ich barfuß über die spitzesten Steine in die Fluten des MeersDieses menschenfeindliche Element hatte gute PRDie Hitze treibt mich an den Rand der gemauerten WeltIch glaube, aufrechter Gang ist ein Auslaufmodell
    Salzwasser, Bosse feat. Alligatoah
    Bosse

    Augen zu Musik an mit Bosse in Zürich

    Loslassen lernen mit dem vielschichtigen songwriter

    Nebst den alt bekannten und tanzbaren Hits ist ein ruhiger Song ein Highlight des Abends. Loslassen lernen geht tief ins Herz und zeigt die ruhige Seite von Bosse. Für einmal steht auch er wie angewurzelt auf der Bühne und verstärkt dadurch die Performance. Mit Alter Strand spannt sich der musikalische Bogen zurück ins Jahr 2009. Langsam aber sicher setzt die Band zum Endspurt an. Schönste Zeit ist ein weiterer energetischer Höhepunkt und markiert zugleich das Ende des regulären Sets. Ein letztes Mal wird das Credo: It's better to burn out then to fade away skandiert, bevor die Band zum ersten Mal die Bühne verlässt.

    Und Berlin war wie New YorkEin meilenweit entfernter OrtUnd deine Tränen waren KajalAn dem Tag als Kurt Cobain starb lagst du in meinen ArmenDas war die schönste Zeit
    Schönste Zeit, Bosse
    Bosse

    Tanzschritte mit Bosse

    Bis zum letzten Tanz

    Natürlich lässt Bosse seine Fans nicht so schnell ziehen. Diese sind ein bunter Mix durch vier verschiedene Alben. Kraniche, der Titeltrack vom gleichnamigen Album von 2013, Ich warte auf dich von Alles ist jetzt (2018), Ich liebe dich so vom aktuellen Album und der schon vom Titel her perfekte Track Der letzte Tanz von Sunnyside (2021) zum Abschluss. So charmant wie Bosse ist auch sein Publikum. Die Freundlichkeit des Künstlers spiegelt sich in seinen Fans wider. Sie singen euphorisch mit, wenn es laut und tanzbar wird, hören aber auch bedächtig zu, wenn es ruhig ist. Zusammen mit seiner Band sorgt Bosse für einen wunderschönen Konzertabend in der Adventszeit. Zürich wartet jetzt schon auf deine Rückkehr.

    Ein feiner Zug in Richtung DünenDie Kraniche auf den gepflügten FeldernEnde September, jedes Jahr wiederUnd ich am Gucken, als wenn's das erste Mal wär
    Kraniche, Bosse
    Bosse

    Springen mit bosse

    Fazit

    Bosse ist als Person und Sänger Balsam für die Seele. Er zeigt mit seinem Shirt und in Ansagen klar Haltung gegenüber Fremdenhass und geht mit besten Beispiel voran. Seine Texte sind keine Plattitüden. Mit seinem verschwitzten Körper kann er gefühlt alle Fans im Raum gleichzeitig in eine innige Umarmung nehmen. So viel Nächstenliebe überträgt sich auf sein Umfeld. Es ist gut, dass es Bosse gibt.