Rezension: Travis – L. A. Times

In Album-Tipps, Spektrum by indiespect

Travis
  1. Bus
  2. Raze The Bar
  3. Live It All Again
  4. Gaslight
  5. Alive
  6. Home
  7. I Hope That You Spontaneously Combust
  8. Naked In New York City
  9. The River
  10. L.A. Times

Künstler: Travis

Album-Titel: L. A. Times

VÖ: 12.07.2024

9/10

Travis sind mit «L. A. Times» bei ihrem zehnten Album angekommen. Es ist der Nachfolger von «10 Songs» aus dem Corona-Jahr 2020. Dem Titel entsprechend wirkte diese Veröffentlichung eher wie zehn Singles, als wie ein zusammenhängendes Werk. Bei «L. A. Times» sind die Songs harmonischer aufeinander abgestimmt und selbst das Cover-Artworkt wirkt wie die Rückkehr zu Zeiten von «Where You Stand» oder «The Boy With No Name».

Travis: Orange is the new grey

Nachdem er 2016 vom Songwriter mit Hut zum bärtigen Grauhaar-Look wechselte, erfindet sich Fran Healy für die neuste Travis-Ära optisch wieder neu. Die orangen, aufgestellten Haare erinnern an die Trolls. Wieder glatt rasiert und mit markanter Brille wirkt der Sänger wie ein anderer Mensch. Spätestens wenn jedoch der erste Track des neuen Albums L. A. Times erklingt, ist sie wieder da – die unverkennbare Stimme des Schotten. Obwohl auch das jüngste Werk 10 Songs enthält, hebt es sich doch deutlich von der gleichnamigen Veröffentlichung ab. Dies liegt nicht nur daran, dass es in der CD- und Streaming-Version noch einmal mehrere Kompositionen in einer Stripped-Down-Version gibt.

Track by Track

Mit Bus eröffnet eine der Vorabsingles das zehnte Album von Travis. Eine eingängige Melodie trifft auf leicht asiatisch angehauchte Zwischenklänge. Es schwingt eine grosse Portion Fernweh und Sehnsucht mit. Unterstrichen wird diese durch die Songzeile Waiting on a gust of wind to blow us away / away to better days, away to better days im Refrain. Sofort merkt man, dass dies einer der klassischen Travis-Songs ist, die nie langweilig werden.

Für einen weiteren vorab veröffentlichten Track haben sich die Schotten prominente Freunde mit ins Boot geholt. Chris Martin (Coldplay) und Brandon Flowers (The Killers) sind Teil von Raze The Bar, aber übernehmen keine wirklich tragende Rolle. Man muss schon sehr genau hinhören, um sie nur erahnen zu können. Der leichte Gospel-Touch am Anfang des Songs passt hingegen gut zum Killers-Frontmann. Falls die Melodie in kurzen Augenblicken an etwas erinnert, ist es vermutlich der Song Follow Me von Uncle Kracker (z.B. 01:20 bis 01:24). 

Live It All Again ist eine sehr reduzierte Komposition. Das Akustik-Gewand verleiht dem Song zusätzlich Tiefe. Statt auf mehrschichtige Instrumentierung wird im Gesang mit Harmonien gearbeitet. Über der gesamte Spieldauer schwebt ein Gefühl der Melancholie. Das kann bei Liveauftritten ein ganz besonderer Moment werden. Einer, in dem ein gutes Publikum den Atem anhält und die Band komplett unverstärkt einen Raum für sich einnimmt.

Staring at the ocean from a window on the hillside
A million boats are floating in the high tide
I wanna be a million miles from here

Bus, Travis

Die Single mit dem grössten Hitpotenzial ist ohne Zweifel Gaslight. Schon mit dem Klavierintro gibt der Track seinen Vibe und sein Tempo vor. Diese Rhythmik bildet die Basis für alles was darüber geschieht. Das Stück baut sich ständig weiter auf und wird im Refrain sogar von Bläsern unterstützt. Obwohl so viel passiert, wirkt der Song nicht überladen. Ein grosser Wurf von Travis, bei dem man nur schwer stillstehen oder -sitzen kann.

Ein Country- und Western-Wind umweht die Instrumentierung von Alive. Doch es ist nicht einfach die staubige Wüste, die aus den Poren des Songs tropft, auch 80s-Synthesizer finden ihren Einsatz. Ein seltsamer Mix. Noch seltsamer ist, dass das wunderbar harmoniert. 

Die Perkussion steht bei Home im Fokus. Es basiert vorwiegend auf Bass und Schlagzeug, während die Gitarre mal eine Pause einlegen darf. Vor dem inneren Auge liegt sie entweder auf einem Liegestuhl am Pool oder gemütlich an eine Palme gelehnt auf einer kleinen Insel. Erst zum Ende hin gibt sie noch ein kleines, entspanntes Gasspiel. Dieser Track klingt nach Sommer und trotz des Titels nach Urlaub.

Auf einen Titel wie I Hope That You Spontaneously Combust muss man erst mal kommen. Das Gefühl vom vorherigen Song wird weitergezogen, auch dieses Stück klingt nach Sommer. In Anbetracht dessen macht es natürlich Sinn, jemandem ein spontanes Verbrennen zu wünschen. Es wirkt auf jeden Fall so, als hätten Travis beim Schreiben und aufnehmen dieses Tracks ziemlcih viel Spass gehabt.

Is there something wrong with me?'Cause I feel you're ignoring me

Gaslight, Travis

Naked In New York City hat etwas von einem Album-Closer, obwohl es keiner ist. Vielleicht ist es auch der erneute Wechsel in die akustische Instrumentierung, der dieses Gefühl vermittelt. Zurück ist auch die Melancholie vom Anfang der Platte. Travis haben sich zur Platzierung der Songs ohne Zweifel ihre Gedanken gemacht und deswegen wirkt L. A. Times auch deutlich mehr wie ein Gesamtwerk, als 10 Songs davor.

Als hätte man den Track in anderer Form schon seit Jahrzehnten in schottischen Pubs gesungen klingt The River. Im Herzen ein klassischer Folk-Song, der sich aber nicht auf klatschende Hände und Banjo beschränkt. Auch wenn der Schellenkranz mal geschwungen wird, klingt das wie eine Weiterentwicklung des Genres.

Der Helikopter im Intro vom Titelsong L. A. Times setzt den urbanen Ton, genauso wie die Sirenen, die danach einsetzen. Der Einsatz des Wortes fucking ist auffallend, aber auch dass sich der Album-Closer von allen übrigen Tracks abhebt. Sprechgesang statt schönen Harmonien, elektronische Klänge und Störgeräusche vermitteln die Härte einer Stadt. Die Klavier- und Gitarrenmelodien bilden den harmonischen Kontrast. Ein wunderbares Stück als Abschluss eines tollen Albums. 

Travis

© Steve Gullick/BMG/dpa

Travis (v.l.n.r.): Andy Dunlop, Fran Healy, Dougie Payne, Neil Primrose

Fazit

Travis können es auch 2024 noch immer. Die Schotten liefern seit 1996 konstant ab und sind viel mehr als ihre grössten Hits, die jeder kennt. Ein Deep-Dive in die breite Diskografie lohnt sich für alle, die bisher höchstens Why Does It Always Rain On Me? oder Sing gehört haben. L. A. Times ist ein abwechslungsreiches und gleichzeitig in sich stimmiges Album. Schön, dass die Band damit auch wieder einen Tourstopp in der Schweiz einlegen. Am 31. August 2024 treten Travis im Bierhübeli in Bern auf. Infos und Tickets gibt es hier.