In Deutschland gibt es wohl keinen anderen Musiker, der seine Laune so ungefiltert sichtbar macht wie Olli Schulz. Dieser Mann kann und will aus seinem Herzen keine Mördergrube machen. Auch bei Konzerten merkte man jeweils schnell, wenn ihn einzelne Personen im Publikum durch Zwischenrufe nervten. Knapp 10 Jahre hat der Hamburger nicht mehr in Zürich gespielt. Gestern kam er mit seiner Band ins Volkshaus. Auf der Bühne stand ein Künstler, der in sich ruht, wie nie zuvor.
Olli Schulz: Der melancholische Optimist mit der lockeren Zunge
Mit seinem Album Vom Rand der Zeit hat es Schulz zum ersten Mal auf Platz 1 der deutschen Albumcharts geschafft. Der Reifeprozess den er mit dieser Platte durchlebt hat, zeigt sich nicht nur äusserlich, sondern vor allem in den reflektierten Texten. Noch immer rückt der Hamburger Aussenseiter in den Fokus, beispielsweise im berührenden Titelsong Am Rand der Zeit. Beim Film würde das inspired by a true story heissen, weil die Songs im Kern von echten Geschichten handeln. Mit 51 Jahren vermag es Olli Schulz persönliche Themen textlich so umzusetzen, wie er es vor wenigen Jahren noch nicht gekonnt hätte. Er ist in einer neuen Lebensphase angekommen, die ihn zu Höchstleistungen antreibt.
Manche Menschen sind wie Bilder
Die vom Licht langsam verblassen In ihren Herzen sind Geschichten Die in keinen Rahmen passen
Ein Geschichtenerzähler mit Humor und Tiefe: Olli Schulz
Ausufernde Ansagen feiern ihr Comeback
Bei seinem letztjährigen Konzert in Bern waren die Ansagen von Olli Schulz zwischen den Songs vergleichsweise kurz. In Zürich plaudert der Musiker bereits mit dem Publikum, bevor er einen einzigen Ton gespielt hat. Wenn die Music nicht so laut wär' eröffnet nach dem unkonventionellen Einstieg musikalisch das Set. Vom kostenlosen Popcorn gestärkt, das vor der Show im Foyer verteilt wurde, sind die Fans von Anfang an dabei. Sie hängen an Ollis Lippen, lachen über seine humorvollen Ansagen und schwelgen zu seiner Musik. Im Volkshaus herrscht eine wunderbar friedliche und freundliche Stimmung. Das entgeht dem Akteur auf der Bühne nicht. Immer wieder sagt er begeistert: Es ist so toll, für euch zu spielen. Und wenn Olli Schulz das sagt, meint er es auch so.
Die Zeit ist ein Lügner
Der die Geschichte verdreht Und dass dein Vater ein Arsch war Wurde so nie erzählt
Ganz egal ob er vom Moment erzählt, als Bono in seiner Gunst sank, weil er einen Fan wie ein Baby an seiner Wasserflasche nuckeln liess, wie Ina Müller sich in Portugal die Füsse machen lässt oder wie er Ende der 90er-Jahre für einige Zeit als Aussteiger bei einer Künstlerin/Verschwörungstheoretikerin im Wald gelebt hat, die Geschichten gehen Olli niemals aus. Genau wie in seinen Songs vermischt sich auch da Wahrheit mit Seemannsgarn. Käpt'n Blaubär wäre stolz auf sein menschliches Pendant.
Ein Stadtfest in Zürich mit Gesangspartnerin Lea
Ein Stadtfest in Zürich
Die Setlist stellt der Künstler je nach Stimmung und Ort neu zusammen. In Zürich hat er eine schöne Auswahl aus sämtlichen Phasen seiner Karriere getroffen. Einige Klassiker wie Phase oder Als Musik noch richtig groß war dürfen natürlich nie fehlen, schliesslich sind sie essenziell in der Schulz'schen DNA. Weil das – Zitat Olli – Hobeln an Ina Müllers Füssen gut und gerne zwei bis drei Wochen dauert, steht sie für das Duett Stadtfest in Bonn in Zürich leider nicht zur Verfügung. Er hat es sich zur Tradition gemacht, mit jemandem aus dem Publikum zu singen. Das hat bisher immer geklappt, mit Ausnahme von Trier. Da habe sich einfach niemand gemeldet, obwohl die Stadt sogar im Text erwähnt wird. Heute wird er aber nicht hängen gelassen. Lea meldet sich beherzt und überzeugt mit einer beeindruckenden Selbstsicherheit. Gesanglich gibt es vielleicht noch Luft nach oben, aber die Performance ist stark. So sagt Olli denn auch mit einem breiten Grinsen: Alleine von der Art wie du auf die Bühne gekommen bist, dachte ich, du singst mich gleich an die Wand. Ich bin froh, dass es nicht so war.
Am Anfang war'n wir wie Sonny und Cher
Als würden wir etwas bedeuten Jetzt stehen wir hier beim Stadtfest in Trier Vor nich' einmal 200 Leuten
Ein Olliversum an guten Songs
Egal aus welcher Ära der Hamburger seine Lieder pickt, sie sind alle toll. Natürlich fehlt immer der eine oder andere Wunschsong auf der Setlist, aber wenn Dann schlägt dein Herz, Einfach so und Wenn es gut ist vertreten sind, darf man sich nicht beklagen. Musikalisch bewegt sich Olli Schulz eher auf der emotionalen als auf der witzigen Seite, das ist in Kombination mit den humorvollen Ansagen harmonisch gewählt. Für die ersten beiden Zugaben kommt der Sänger alleine mit seiner Gitarre auf die Bühne. Koks & Nutten entfaltet in dieser Reduziertheit seine bezaubernde Tragik besonders gut. Etwas weniger ernst wird es bei Spielerfrau, das der Sänger richtig niedlich einleitet. Er erzählt von seiner ersten Freundin und dass er damals ein Pferdejunge/Pferdemann gewesen sei. Wenn sie mit ihrem Pferd irgendwelche Abzeichen gemacht habe sei er immer da gewesen und habe sie voller Stolz dabei beobachtet. Sogar ihre Stiefel habe er ihr jeweils zum Auto getragen. Dieses Bild vor Augen wärmt das Herz.
Als junges Ding warst du bekanntDas Mädchen, das am Spielfeldrand Niedlich zu den Jungs hinsah Bis keiner mehr die Kugel traf
Kissenschlacht mit Olli Schulz
Zum Song Phosphormann kommt die Band nach und nach wieder auf die Bühne und das musikalische Phosphorfeuerwerk brennt hell. Zum krönenden Abschluss steht wie bereits auf der Tour im Vorjahr eine ausgelassene Kissenschlacht an. In anderen Städten hätten sie manchmal auch noch Konfetti ins Publikum geschossen, aber für die Reinigung wären in Zürich dafür 500 Franken extra verrechnet worden. Auch die Kissenschlacht sei aufgrund der Verletzungsgefahr bei den Behörden auf der Kippe gestanden, doch sie hätten sich gesagt: scheiss drauf (natürlich, Olli). Während er zum Abschluss als textlichen Kontrast So muss es beginnen performt, wird Olli im Sekundentakt von weichen Kissen getroffen. Darüber freut er sich wie ein kleiner Junge.
Da ist ein Licht
Das lässt mich tanzen
Jede Nacht strahlt es mich an
Und ich werd zum Phosphormann
Olli Schulz & Band in Zürich
Fazit
Ein Olli-Schulz-Konzert, wie man es sich nur wünschen kann. Olli und Band in Besftorm in Kombination mit einem freundliche und aufmerksamen Publikum sorgen für einen herzerwärmenden Abend. Man fühlt sich in seine dicken Affenarme eingekuschelt, um es mit einem seiner Lieblingssprüche zu beschreiben. Seine Brüchigkeit macht den Hamburger einzigartig. Er ist nicht angepasst und trotzdem alles andere als ein Misanthrop. Einfach ein Original im besten Sinne.