Interview mit Matthew Caws von Nada Surf: Wir sind alle sehr komplex und unterschiedlich

In Highlights, Interviews by indiespect

Nada Surf statteten Zürich mit ihrem aktuellen Album «Moon Mirror» einen Besuch ab. Es war das vierte Mal, dass die Band seit 2016 im Dynamo spielte. Vor der Show nahm sich Sänger Matthew Caws Zeit, um über das Album zu sprechen. Es ging auch darum, wie das Leben als netter Mensch ist und in welcher Hinsicht im seine kürzlich gestellte ADHS-Diagnose geholfen hat.

Editors are:

Tom Smith (vocals, guitar, keys)
Russell Leetch (bass)
Ed Lay (drums)
Justin Lockey (guitar)
Elliott Williams (synths, guitar)
Benjamin John Power (synths)

Indiespect: Euer aktuelles Album heisst «Moon Mirror». Du hast über deine Faszination für das Mondlicht und den Mond selbst gesprochen, weil es ein Objekt ist, das jeder auf der Welt sehen kann. Wenn ich nach oben schaue, sehe ich immer Orion. Hast du auch etwas, auf dass du dich sofort konzentrierst, wenn du in den Nachthimmel schaust?

Matthew Caws: Lustigerweise ist der Gürtel des Orion etwas, das ich auch immer sehe, da meine Mutter oft mit einem französischen Dichter namens René Char gearbeitet hat. Er ist der Grund, weshalb wir alle unsere Sommer in Südfrankreich verbrachten. So konnte sie in seiner Nähe arbeiten. Ich kenne seine Gedichte nicht gut, aber anscheinend spricht er darin über den Gürtel des Orion. Meine Mutter hat ihn mir immer gezeigt. Deshalb sehe ich ihn jetzt immer. Ich sehe auch den Grossen Wagen (Big Dipper). Da denke ich immer an diese Band aus Boston, die ich liebe. Nämlich eine Gruppe aus den 80er-Jahren namens Big Dipper. Sie sind überhaupt nicht bekannt, aber sie sind unglaublich gut und auf jeden Fall deine Zeit wert. Sie haben eine Platte namens Craps gemacht, die unglaublich ist. Aber ich denke beim Licht der Sterne nicht oft daran, dass es eigentlich aus der Vergangenheit kommt und dass einige dieser Sterne schon gar nicht mehr existieren. Das ist schon faszinierend, wenn man daran denkt.

Lustigerweise ist der Gürtel des Orion etwas, das ich auch immer sehe, da meine Mutter oft mit einem
französischen Dichter namens René Char gearbeitet hat.

Matthew Caws, Nada Surf

Indiespect: Der Gürtel des Orion ist sogar auf dem Cover-Artwork eurer Platte «Lucky» zu sehen.

Matthew: Das ist möglich! Daran hatte ich gar nicht gedacht. Ich sollte wieder genauer hinschauen.

Nada Surf

Matthew Caws mit seiner Band Nada Surf auf der Bühne in Zürich.

© Stefan Tschumi

Indiespect: Du bist im Januar Teil einer Benefizveranstaltung in New York, bei der die Musik von «How I Met Your Mother» gespielt wird. Kannst du mir etwas darüber erzählen?

Matthew: Wir werden die Songs spielen, die in der Show verwendet wurden. Ich glaube, es sind Inside Of Love, Beautiful Beat und noch ein anderer. Sie haben dieses Benefizkonzert jedes Jahr veranstaltet und haben mich schon früher angefragt, aber ich hatte nie Zeit. Aktuell versuche ich, so oft wie möglich nach New York zu kommen, um meine Mutter zu sehen, denn sie wird immer älter. Das ist ein guter Grund hinzugehen. Sie haben eine Hausband, die aus Darstellern oder Freunden des Serien-Entwicklers besteht. In der Mitte der Veranstaltung ist ein Konzert mit allen Liedern aus der Show geplant. Ich werde die drei Nada Surf-Songs mit ihnen auf die Bühne bringen und ich werde die Darsteller kennenlernen. Ich freue mich sehr darauf.

Chris Walla von Death Cab For Cutie produzierte das Album und wusste, dass wir etwas Zeit brauchten.
Also beschloss er, sich richtig ins Zeug zu legen.

Matthew Caws, Nada Surf

Indiespect: Viele eurer Songs waren im Fernsehen zu hören. Habt ihr «If You Leave» jemals live gespielt?

Matthew: Wir wissen nicht einmal, wie man es spielt. Wir haben es tatsächlich noch nie live performt, es ist eine Studiokreation. Das soll den Song nicht abwerten. Studiokreationen haben ebenfalls ihren Wert. Wir haben an «The Wait Is A Gift» gearbeitet und ich hinkte mit allem hinterher. Das Leben war kompliziert. Ich hatte nicht genug Songs fertig, deswegen hatten wir zu kämpfen. Dann kam diese Anfrage. Chris Walla von Death Cab For Cutie produzierte das Album und wusste, dass wir etwas Zeit brauchten. Also beschloss er, sich richtig ins Zeug zu legen. Deshalb ist es eine so besondere Kreation, das trägt alles Chris' Handschrift. Er hat den Song gebaut und uns bei der Aufnahme angeleitet. Der Track enthält eine Menge Tonartwechsel und ist schwierig zu singen.

Indiespect: Aber es ist wirklich ein schöner Song. Ich bin durch «O.C. California» und dessen Soundtrack auf den Geschmack von Indie-Musik gekommen, als die Serie damals im Fernsehen lief.

Matthew: Oh, das ist toll. Ich versuche, alles aufzunehmen, was mir Leute sagen. Manchmal kommen wir einfach nicht dazu, die Dinge umzusetzen. Viele fragten uns nach Where Is My Mind?. 20 Jahre nachdem wir immer wieder darauf angesprochen wurden, haben wir endlich angefangen, es live zu spielen. Ich weiss, dass viele Leute If You Leave mögen und wir sollten darüber nachdenken.

«If You Leave» was an essential part of a dramatic scene in the first season of hit series «The OC».

Indiespect: Eure Leadsingle «In Front Of Me Now» spricht sicher vielen Menschen aus dem Herzen. In Interviews hast du erzählt, dass bei dir vor einiger Zeit ADHS diagnostiziert wurde. Das hat sicherlich den Text beeinflusst. Doch auch generell ist es schwer, in einer Welt, in der so viele Dinge gleichzeitig passieren, den Fokus zu behalten. Hast du diesbezüglich einen Rat?

Matthew: Es hilft scho, die Umstände zu verstehen und auch zu erkennen, wie viele Menschen neurodivergent sind. Die Menschen sprechen mittlerweile oft darüber. Ich habe das Gefühl, dass vor zehn Jahren jeder über Schlafprobleme gesprochen hat und darüber, wie schwer es ist einzschlafen. Jetzt redet jeder darüber, dass er ADHS hat, und ich denke, das ist gut so. Auch autistisch zu sein, ist normaler geworden, und das ist grossartig.

I used to be dreaming when I was drivingI used to be leaving when I was arrivingI used to be calling when I was walkingI used to be thinking when I was talking

In Front of Me Now, Nada Surf

All diese Dinge sind gut. Die Erkenntnis, dass mehr Menschen trans sind, als wir angenommen haben, ist auch eine tolle Sache. Das Traurige, von dem ich mir wünsche, dass die Öffentlichkeit es versteht, ist, dass all das schon immer da war, es wurde nur geheim gehalten. Und das Verstecken ist schmerzhaft und gefährlich. Alles, jeder menschliche Zustand, der gesellschaftlich akzeptiert wird, ist nur gut. Die Vorstellung, dass wir alle normal und konform sein sollen, ist eine solche Illusion. Sie ist einfach nicht wahr. Wir alle sind äusserst komplex und sehr unterschiedlich. Das ist die Realität. Wir haben den Song Matilda. Darin sage ich: if it's in the Bible, you know, it's old, was ich für einen wichtigen Punkt halte. Wenn es ein Wort für etwas gibt, ist es nicht neu.

Nada Surf

Empathy is good, lack of empathy is bad: Matthew Caws lebt nach diesen Grundwerten.

Indiespect: Du bist ein nachdenklicher Mensch. Schreibst du auch Tagebuch?

Matthew: Zu meiner grossen Schande nicht. Meine Mutter, die seit 40 Jahren Schriftstellerin ist, hat immer gesagt: Du musst diese Dinge aufschreiben. Und das tat ich nie. Ich habe ihren Rat gehört, ihn aber nicht befolgt. Ich glaube einige Gedanken zu haben, die es wert wären, aber sie sind meist sehr kurz. Ich wäre nicht gut darin, zu sehr ins Detail zu gehen. Ich habe einige Freunden, die wirklich gute Dramatiker sind, sogar so gut, dass sie bekannte Intellektuelle sind. Das ist eine unglaubliche Fähigkeit. Aber ich habe diese Gabe nicht. Ich kann meinen Gedanken in einem Gespräch mit dir oder in zwei Zeilen in einem Lied kundtun. So zum Beispiel in Something I Should Do, wo ich sage: And now the lines of non-facts waiting to get in the conversation are longer and longer. We have to hold to that hippie point harder. Empathy is good, lack of empathy is bad. Ich versuche damit zu sagen, dass ich mir wünschte, ich hätte eine Menge Fakten und könnte effektiv über Politik diskutieren. Das kann ich aber nicht, weil mir die Fakten fehlen und ich zu viel Zeit mit Tagträumen verbringe. Ich wünschte, wir würden uns nicht auf Emotionen verlassen müssen. Die Welt sollte auf einer wissenschaftlichen Basis stehen. So weit sind wir aber noch nicht. Alles, was ich zu sagen habe, ist eine Variation von: Versuch, netter zu sein.

Alles, was ich zu sagen habe, ist eine Variation von: Versuch, netter zu sein.

Matthew Caws, Nada Surf

Indiespect: Ich glaube, es ist immer richtig, nett zu sein, auch wenn die Leute einen ab und zu belächeln.

Matthew: Ja, damit habe ich kein Problem. Ich weiss, dass ich aufrichtig und einfach gestrickt bin. Das ist doch offensichtlich. Es ist eigentlich lächerlich, dass wir Songs haben, die Inside of Love, Always Love oder So Much Love heissen. Es ist so albern, aber es ist okay für mich. Ich habe kein Problem mit den grossen, dummen Worten.

30 Jahre Bandgeschichte und Matthew Caws findet immer noch neue musikalische Variationen, um Menschen beizubringen, wie man netter sein kann.

Indiespect: Das ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass ihr so treue Fans habt, die immer wieder zu euren Shows kommen. Du löst im Innern ein bestimmtes Gefühl aus. Vielleicht zieht das eine bestimmte Art von Menschen an.

Matthew: Oh, das ist schön und wahrscheinlich ist da etwas dran.

wir hatten frühe Shows mit vielen Sportskanonen und Cheerleadern.
Es war, als ob alle, die das Video gesehen haben, dachten: Oh, cool, lass uns zu der verdammten Show gehen.

Matthew Caws on the effect of «Popular»

Indiespect: Ich habe noch nie ein Nada-Surf-Konzert erlebt, bei dem die Stimmung schlecht war. Kannst du dich an eins erinnern?

Matthew: Nein, definitiv nicht. Aber auf unserer ersten grossen Tour war die Stimmung anders. Das lag daran, dass Popular im Fernsehen zu sehen war. Ich will keine Sportler kritisieren, aber wir hatten frühe Shows mit vielen Sportskanonen und Cheerleadern. Es war, als ob alle, die das Video gesehen haben, dachten: Oh, cool, lass uns zu der verdammten Show gehen. Das ging einige Monate so. Ab und zu kam dann jemand, der ein bisschen mehr für Freaks and Geeks übrig hatte und fragte: Also, dieser Song... Machst du dich über diese Leute lustig? Und ich so: Das wollte ich zwar nicht, aber ja, du hast Recht.

Nirvana

Matthew Caws, eingebettet in Discokugeln.

Indiespect: Gab es auch eine Phase in deinem Leben, in der du es satt hattest, so nett zu sein. In der dich die Menschen vielleicht nicht mit genug Respekt behandelt haben?

Matthew: Nicht wirklich. Ich bin vielleicht manchmal ein bisschen ungeduldig und gehe in einem Laden ein wenig and die Decke. Aber das ist nicht tragisch. Es gibt Hard Power und Soft Power. Als ruhiger, netter und freundlicher Mensch kommt man relativ gut durchs Leben. Man wird respektiert, nur eben anders. Und das ist gut so. Das ist sowieso die einzige Art, wie ich Respekt bekommen möchte. Die andere brauche ich nicht.

Als ruhiger, netter und freundlicher Mensch kommt man relativ gut durchs Leben.

Matthew Caws, Nada Surf

Indiespect: Ihr seid jetzt schon eine ganze Weile auf Tour...

Matthew: Es war ein intensiver Herbst. Wir haben nur noch drei weitere Shows, einschliesslich heute Abend, und dann haben wir über Weihnachten frei. Aber wir haben eine lange US- und eine lange Europa-Tour hinter uns, und vor den USA war ich alleine einige Wochen auf Promotour in Plattenläden. Ich mache das gerne. Es ist nur schwer für meine Frau und mein Kind. Das es so lange ist, ist ungewöhnlich. Es ist einfach so, dass es vier Jahre her ist, seit wir das letzte Album veröffentlicht haben. Diesen Moment mussten wir nutzen.

Indiespect: Dein Sohn ist jetzt sieben Jahre alt, richtig? Ist die Familie nicht mit dir unterwegs, weil er zur Schule gehen muss?

Matthew: Ja, er muss zur Schule gehen. Ausserdem sind wir dafür nicht erfolgreich genug. Um mit der Familie zu reisen, braucht man zwei Tourbusse. Man hat den lauten Bus, in dem die Leute aufbleiben. Es ist schwer, nach einer Show zur Ruhe zu kommen, auch für mich. Manchmal brauchen wir zwei oder drei Stunden, um uns zu entspannen. In dieser Zeit unterhalten wir uns. Aber in einem Familienbus muss man schon zwischen 7 und 8 Uhr aufstehen. Zuhause gehe ich auch wirklich früh ins Bett. Ich bin gerne um neun im Zimmer. Da lese ich dann noch bis ungefähr elf, bevor ich schlafe.