Olli Schulz kehrte am 26. November 2024 mit seinem Nummer-Eins-Album «Vom Rand der Zeit» nach neun Jahren für ein Konzert nach Zürich zurück. Vor dem Auftritt nahm sich der Hamburger Musiker Zeit für ein offenes Gespräch, bei dem es unter anderem über seine musikalischen Anfänge, seinen Anspruch an die eigenen Texte und den Grund, weshalb er das Musikerdasein dem Fernsehen vorzieht, ging.
Indiespect: Eine Zeile von «Am Rand der Zeit» ist mir sofort im Kopf geblieben: «Manche Menschen sind wie Bilder, die vom Licht langsam verblassen. In ihren Herzen sind Geschichten, die im kleinen Rahmen passen». Wie kommst du auf eine so lyrische Wortkreation?
Olli Schulz: Da bin ich auch ein bisschen stolz drauf. Ich finde, dass momentan viele Menschen vergessen werden, die nicht in dieses Schwarz-Weiss-Schema passen. In dieser moralischen Welt, in der wir gerade sind und vieles gesellschaftlich neu behandeln wollen. Das ist einerseits wichtig, aber andererseits gibt es auch Menschen mit Geschichten, die jenseits von Gut und Böse stattgefunden haben, die viel vielschichtiger sind. Der Typ in der Kneipe basiert auf einer halbwegs wahren Geschichte. Als ich nach Berlin gezogen bin, ging ich immer mal wieder in eine urige alte Kneipe, weil ich dadurch Berlin ein bisschen kennenlernen wollte. Da war ein Alkoholiker, der richtig dünn war und bestimmt schon um die 60. Er ist wie ein kleiner Junge herumgehüpft und meinte irgendwann: Ich war schon mit meinem Papa hier in der Kneipe. Das hat mich berührt. Man hat gesehen, dass er in einer Welt den Anschluss verloren hat, die weitergeht und immer moderner wird und es für ihn keinen Platz mehr hat. Niemand kennt die Geschichten dahinter. Über alles wird sofort geurteilt. Das ist auch ähnlich beim Song Falsch Erzählt auf der Platte. Es geht momentan verloren, die Vielschichtigkeit, die verschiedenen Perspektiven und Geschichten von Menschen, die nicht einem Schema entsprechen, zu bedenken.
Ich finde, dass momentan viele Menschen vergessen werden, die nicht in dieses Schwarz-Weiss-Schema passen. In dieser moralischen Welt, in der wir gerade sind und vieles gesellschaftlich neu behandeln wollen.
Indiespect: Viele der neuen Lieder sind bereits vor der Pandemie entstanden. Seither ist die gesellschaftliche Spaltung noch grösser geworden. Wie ist es bei diesem Song?
Olli Schulz: Das ist in der Pandemie entstanden, aber das Bild ist schon viel älter. Ich hatte seit ein paar Jahren schon zwei, drei Textzeilen fertig, aber mir fehlte noch der richtige Kniff. Ich wollte daraus eine kleine Lebensgeschichte machen.
Indiespect: Spürst du, wenn ein Text sitzt?
Olli Schulz: Für mich, ja. Ich muss damit zufrieden sein. Es gibt jedoch auch viele Lieder von meinen alten Platten, die ich heute neu texten würde oder denke, da war ich zu faul und habe es nicht gut zu Ende gebracht. Bei einigen hadere ich heute mit den Texten denke: das hätte man noch schöner machen können und da war ich zu schnell. Aber bei dem Lied war ich besonders stolz auf den Text, weil ich finde, dass es ein gutes Bild ist. Es ist eine Milieustudie.
Indiespect: Dein Debütalbum ist 21 Jahre alt und du hast auch dafür schon nachdenkliche Texte geschrieben. Warst du schon immer grüblerisch?
Olli Schulz: Ich war schon immer melancholisch veranlagt. Das ist bei vielen so, die laut sind und mit Humor arbeiten. Solche Menschen haben oft auch eine sehr verletzliche, emotionale Seite. Ich wusste schon immer, dass Leute mich witzig finden und dass ich sie sehr gut mit derbem und auch mal feinsinnigem Humor unterhalten kann. Das Laute wird aber immer zuerst in den Fokus gesetzt. Ich war schon 28, als ich die erste Platte aufgenommen habe. Bereits da wusste ich, dass ich auf Dauer nicht nur Gag-Songs machen möchte. Der erste Song war damals für meine grosse Liebe, die mich verlassen hat. Der heisst Weil die Zeit sich so beeilt. Die Platte fängt also gleich mit dem traurigen Song an. Das ist ein Teil, den ich auch immer ausleben wollte.
Ich war schon 28, als ich die erste Platte aufgenommen habe. Bereits da wusste ich,
dass ich auf Dauer nicht nur Gag-Songs machen möchte.
Indiespect: Aber es folgte dann doch nicht so eine Abrechnung, wie der Albumtitel «Brichst du mir das Herz, dann brech ich dir die Beine» vermuten lässt.
Olli Schulz: Nein, das war einfach nur ein Wortwitz, den ich gut fand. Der Titel ist ein Hingucker. Er fällt Leuten auf und ich werde bis heute darauf angesprochen.
Olli Schulz bei seinem Auftritt in Zürich.
Indiespect: Deine ersten TV-Auftritte hattest du bereits im Schülerfernsehen. Damals warst du auch schon für die Musik zuständig. Wann hast du angefangen, dich für Musik zu interessieren und welche war das am Anfang?
Olli Schulz: Es hat ganz früh angefangen. Wenn meine Eltern am Wochenende erst um zwölf aufgestanden sind, weil sie irgendwo unterwegs waren und ich schon seit neun wach war. Da hab’ ich Radio gehört und Mixtapes aufgenommen. So entdeckte ich meine Liebe für Musik. Meine erste Platte war nicht so spektakulär. Das war 1985, die No Jacket Required von Phil Collins. Aber ist 'ne gute Platte. Später habe ich angefangen, Platten zu sammeln. Wir waren eine kleine Familie. Mein Stiefvater hat den ganzen Tag gearbeitet, meine Mutter halbtags.
Ich war viel allein und habe mich schnell in die Musik geflüchtet. Das war schon immer meine grosse Liebe.
Ich war viel allein und habe mich schnell in die Musik geflüchtet. Das war schon immer meine grosse Liebe. Ich habe aber erst mit 18 angefangen Gitarre zu spielen, als ich von zuhause ausgezogen bin. Meine Eltern haben nicht kapiert, dass man dem Jungen, der den ganzen Tag Musik hört mal ein Instrument schenken könnte. Deswegen bin ich mit dem, was ich mache ein Spätzünder. Musik war für mich echt schon früh ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Vor allem die Texte. Als ich zum ersten Mal Bad Religion gehört und die Texte gelesen habe, habe ich dadurch ein politisches Bewusstsein gekriegt. Es geht um viel mehr, als dass es nur groovt. Man kann hinterfragen, worum es denen geht und was die für eine Message haben.
«No Jacket Required» von Phil Collins mit dem Hit «Sussudio» war die erste Platte von Olli Schulz.
Indiespect: Früher habe ich viel mehr neue Musik entdeckt. Durch meinen Podcast-Konsum merke ich je länger, je mehr, dass ich Leute fast öfter über Musik sprechen höre, als dass ich sie mir aktiv anhöre. Vor drei Jahren hatte ich darüber einen Artikel geschrieben und Jan Müller vom Podcast «Reflektor» zu seiner Meinung befragt. Kennst du das auch?
Olli Schulz: Ich mache mit Jan Böhmermann seit 13 Jahren Podcast. Wir reden einmal die Woche miteinander. Jetzt wieder sehr lange, fast zwei Stunden. Ich höre eigentlich wenig Musik-Podcasts, wenn dann gerne mal Disgraceland. Mit Reflektor hat Jan [Müller] tolle Arbeit geleistet. Egal ob das ein zweistündiges Interview mit Stephan Mahler vom Slime, das Gespräch mit dem Sänger von Mutter, Max Müller oder auch das mit Jens Rachut ist. Das macht sonst keiner und das finde ich geil. Das höre ich schon.
Musik ist für Olli Schulz ein wichtiger Lebensbestandteil.
Indiespect: Nimmst du dir aktiv Zeit, um neue Musik zu entdecken?
Olli Schulz: Ich versuche immer, in unserem Podcast Newcomer zu fördern. Das stelle ich Songs vor von Leuten vor, die mir was schicken. Ich höre mir das an und kann innerhalb von 30 Sekunden erkennen, ob ich es scheisse finde oder ob es interessant ist. Da ich selbst mal als unbekannter Typ angefangen habe Musik zu machen, weiss ich, wie wichtig es in der heutigen Zeit ist, überhaupt eine kleine Plattform zu kriegen. Das mache ich gerne. Ich habe mir gerade sechs oder sieben Vinyl gekauft. Das sind aber alles alte Platten. Ich mag es lieber, in der Musikgeschichte herumzuwühlen, als nur aktuelle Sachen zu hören. Daran stört mich, dass durch den Wegfall von Studios alles am Rechner gleich produziert wird. Gerade bei deutschsprachiger Musik klingt alles relativ gleich. Es gibt natürlich auch gute Sachen, aber mir macht es mehr Spass, in der Geschichte der Musik herumzuwildern. Jetzt habe ich gerade Fela Kuti und afrikanische Musik für mich entdeckt. Da habe ich eben erst drei Platten bestellt. Oder alte Aretha Franklin-Platten von Livekonzerten. So was finde ich geil. Eine Platte aus einer anderen Zeit.
Da ich selbst mal als unbekannter Typ angefangen habe Musik zu machen, weiss ich,
wie wichtig es in der heutigen Zeit ist, überhaupt eine kleine Plattform zu kriegen.
Indiespect: Du musst über den Podcast unglaublich viele Zusendungen erhalten. Wie entscheidest du das, was du hörst und was nicht. Wenn jemand etwas Spezielles dazu schreibt, zum Beispiel?
Olli Schulz: Nach dem Zufallsprinzip. Manchmal schreibt jemand arschlang mit viel Leidenschaft: Wir haben diese Platte aufgenommen, wir haben drei Jahre dran gesessen. Dann hörst du es dir an und denkst: voll scheisse. Also das ist dann mein persönlicher Geschmack. Aber heute gerade habe ich was Tolles gehört. Eine deutsche Band namens So Soon. Die haben fünf Jahre an einem Konzeptalbum gesessen. Da habe ich gedacht: Wow, das klingt ja geil.
«Fidi & Bumsi», die Playlist von «Fest & Flauschig» dient auch der Förderung junger Acts.
Indiespect: Bevor du Musiker wurdest, hast du unter anderem als Roadie, Security oder gearbeitet. Hast du aus dieser Zeit ein Konzert, das dir emotional am wichtigsten ist?
Olli Schulz: Mein allererster Job war Spotfahrer bei André Heller. Das war so eine Art Musical-Wintermärchen und ich wollte unbedingt bei Konzerten arbeiten. Aber mein Chef hat mich noch nicht arbeiten lassen, weil ich erst 18 oder 19 war. Irgendwann musste ich Polizeigitter, diese Gitter, die bei Konzerten vorm Einlass hingestellt werden, in die Markthalle nach Hamburg bringen. Das war im November 1991 und der Laden brach auseinander.
Kurt Cobain und diese Band zu erleben und zu merken, dass eine Musikrevolution stattfindet. Sowas gab es noch nicht.
Die Securities meinten: Ein Glück, dass ihr kommt. Wir brauchen dringend noch ein paar, weil wir zu viele Tickets verkauft haben. Ich musste nur die Gitter da hinbringen und fragte meinen Kollegen, der da gearbeitet hat: Wer spielt denn heute? Er meinte: Nirvana spielen heute und ich so: Echt? Krass! Kann ich das mir angucken? Ja klar, geh einfach rein. Dann konnte ich übers Treppenhaus durch eine Seitentür rein und habe 1991 das gesamte Nirvana-Konzert gesehen. Ich muss sagen, das war vielleicht das Beeindruckendste, was ich je gesehen habe. Kurt Cobain und diese Band zu erleben und zu merken, dass eine Musikrevolution stattfindet. Sowas gab es noch nicht. Mir war die Musik anfangs fast zu noisy. Ich kam damals aus dem Metal, aber dieser Auftritt hat mich so dermassen beeindruckt, dass ich das als eines der bedeutendsten Konzerte, das ich je gesehen habe, beschreiben würde.
© livenirvana.com
Das Nirvana-Konzert in der Markthalle in Hamburg hat sich in das Gedächtnis von Olli Schulz eingebrannt
Indiespect: Dann hattest du das Glück, dass du durch deine Jobs Konzerte gesehen hast, die du als Besucher vielleicht gar nicht auf dem Schirm gehabt hättest.
Olli Schulz: Absolut. Ich bin glücklich, dass ich Nirvana mal noch live gesehen habe. Das war sensationell. Auch wenn man jetzt auf Nirvana und Kurt Cobains Haltung zurückblickt. Er war seiner Zeit so weit voraus mit ganz vielen Themen: Frauen, Gleichheit auch sich ein Kleid anzuziehen, um Leute ein bisschen zu schocken. Es ist ein Jammer, dass er tot ist. Ich würde gerne wissen, was er zur heutigen Zeit sagen würde.
Es ist ein Jammer, dass er tot ist. Ich würde gerne wissen, was er zur heutigen Zeit sagen würde.
Seit 21 Jahren als Musiker unterwegs: Olli Schulz
Indiespect: Haben sich die 21 Jahre seit der Veröffentlichung deines Debütalbums nach einer langen Zeit angefühlt?
Olli Schulz: Kommt mir schon lange her vor, 21 Jahre. Aber nicht so, dass ich denke, wo ist die Zeit geblieben? Das denke ich bei anderen Sachen. Meine Tochter ist jetzt 15, sie ist 2009 geboren und dann denke ich: Alter, wo ist die Zeit geblieben? Was die Musik angeht, war das eine sehr ereignisreiche Zeit. Von grossen Konzerten wie Rock am Ring hin zu kleinen Clubs. Am Anfang auch immer mal wieder ein Konzert, bei dem nur zehn Leute da waren. Wenn ich so auf den ganzen Weg zurückblicke, war das doch eine ziemlich ereignisreiche, lange musikalische Reise bis jetzt.
Meine Tochter ist jetzt 15, sie ist 2009 geboren und dann denke ich: Alter, wo ist die Zeit geblieben?
Indiespect: Aber eine schöne?
Olli Schulz: Total. Deswegen mache ich das auch weiter. Als ich eine Zeit lang im Fernsehen war, haben die Leute da nicht verstanden, warum ich weiter Musik mache. Ich hätte doch jetzt eine Chance, als Comedian zu arbeiten. Ich arbeite wahnsinnig gerne mit Jan zusammen. Er ist von all den Leuten, die ich kennengelernt habe, der, mit dem ich die beste Arbeitsbeziehung habe. So lange habe ich mit noch niemandem gearbeitet. 13 Jahre, das ist Wahnsinn. Aber was ich halt auch immer merke, ist, Fernsehen ist keine Kunst in dem Sinne. Fernsehen ist keine Kunst, bei der du was Persönliches machst. Du musst Leute pleasen und darfst nicht mehr abwegig sein. Wenn es abwegig ist, ist es inszeniert. Du kannst keine Kunst machen, weil du von Quoten abhängig bist. Wenn du drei Jazz-Sendungen machst, wirst du rausgeschmissen. Dann wird die Sendung abgesetzt. Das ist bei der Kunst auf der Bühne nicht so. Leute verzeihen dir, wenn du mal einen schrägen Auftritt hast. Sie finden das sogar mal interessant. Meine Freiheit auf der Bühne, die habe ich bei keinem anderen Ding so sehr.
Olli Schulz ist glücklicher auf der Bühne als im Fernsehen.
Dadurch, dass ich mich nicht genug verbogen habe, ist es jetzt nicht so, dass da noch Leute sind,
die hoffen, dass ich nochmal etwas im Fernsehen mache.
Indiespect: Das klingt so, als hättest du einen Punkt an dem du sagst: bis hierhin und nicht weiter.
Olli Schulz: Dadurch, dass ich mich nicht genug verbogen habe, ist es jetzt nicht so, dass da noch Leute sind, die hoffen, dass ich nochmal etwas im Fernsehen mache. Ich habe die relativ abgestossen und viele haben es nicht verstanden. Auch, dass ich Schulz in The Box nach einer Staffel aufgehört habe. Ich habe gemerkt, dass es meiner Seele nicht guttut, wenn ich davon abhängig bin, was Leute über mich denken. Menschen, die nie einen Song von mir gehört, nie einen Text von mir gehört haben. Die einfach nur sagen: Was will er denn hier? oder Muss man den kennen? Diese ganze Dummheit, mit der du konfrontiert wirst, wenn du im Fernsehen stattfindest. Dann musst du dir noch anhören, dass die Quote nicht gut war und du sagst, das war aber eine geile Sendung. All das hätte mich nicht glücklich gemacht.