Paul McCartney in Manchester: Der jungenhafte Ausdruck in den Augen altert nicht

In Reviews by indiespect

Es ist kein Geheimnis, dass Paul McCartney nicht jünger wird. Nach Möglichkeit sollte man die seltene Chance nicht verpassen, den Beatle live zu erleben. Als zweitletzter Stopp der «Got Back Tour» 2024 stand die Co-Op Live Arena in Manchester auf dem Tourplan. Beim ersten von zwei Gigs in der brandneuen Venue bot McCartney trotz seiner 82 Jahren eine Show der Extraklasse und zeigte auch nach über zweieinhalb Stunden absolut keine Ermüdungserscheinungen.

Paul Mccartney: Wenn eine historische figur mit der gegenwart verschmilzt

Die Arena erhebt sich kollektiv von ihren Sitzen als wären die Menschen von einer kollektiven Vorahnung ferngesteuert. Das Licht geht aus und auf den Screens erscheint der ikonische Höfner-Bass vor einem Sternenhimmel. Paul McCartney betritt die Bühne und ist durch seine reine Präsenz beinahe eine göttliche Erscheinung. Es ist kaum zu fassen, wie viel dieser Mann in seinem Leben gesehen und für die Musikgeschichte geleistet hat. 30 Minuten von seiner Heimatstadt entfernt, sorgt er mit A Hard Day's Night zum Auftakt für Begeisterungsstürme in Manchester. Natürlich ist die Stimme des Liverpoolers nicht mehr so kraftvoll wie früher, niemand kann die Zeit anhalten. Dafür wirkt Macca noch so verschmitzt wie damals, als er Anfang der 60er-Jahre mit seinen drei Freunden die Beatlemania entfachte.

It's been a hard day's night, and I been working like a dogIt's been a hard day's night, I should be sleeping like a logBut when I get home to you I find the things that you doWill make me feel alright

A Hard Day's Night, The Beatles

Es sind die Augen, die von der Zeit unangetastet blieben. Sie strahlen auch 2024 eine jugendliche Neugierde und Verschmitztheit aus. Nach etwa zwanzig Minuten zieht Sir Paul sein Jacket mit den Worten: And that's the biggest costume change you'll see tonight, aus. Nicht nur während der Songs ist dieser Mann eine Klasse für sich, er vermag es auch auf eine nahbare Weise mit seinen Fans zu interagieren, obwohl er für viele mindestens ein Halbgott ist. 

Paul McCartney

Seine Band begleitet Paul McCartney bereits seit über 20 Jahren, länger als es die Beatles und Wings je gegeben hat.

Ein langes leben bietet platz für mehrere grosse Liebesgeschichten

Linda McCartney war die grosse Liebe in McCartneys Leben. Sie hat den Musiker geerdet und seinen Charakter geprägt. Nicht nur hat er mit der amerikanischen Fotografin drei Kinder bekommen und ihre Tochter Heather aus erster Ehe adoptiert, nach der Beatles-Ära war auch Teil seiner Band Wings. Man spürt in vielen Songs die Verbundenheit zu Linda, doch auch für seine aktuelle Ehefrau ist im musikalischen Kanon Platz. Das romantische My Valentine hat er 2012 für Nancy Shevell geschrieben und widmet es ihr auch an diesem Abend. Sie ist in Manchester ebenfalls im Publikum. Zwei Songs später folgt mit Maybe I'm Amazed eine musikalische Liebeserklärung an Linda, die er 1998, wie bereits seine Mutter, an den Brustkrebs verloren hat. 

Well, knowing you, you'd probably laughAnd say that we were worlds apartIf you were here today, oohHere today

Here Today, Paul McCartney

Bereits bei den Beatles war das Thema Liebe omnipräsent. Damals war sie jedoch vorwiegend von einer jugendlichen Naivität und Unschuld geprägt. Mit Here Today hat Paul McCartney nach John Lennons Tod auch ihm ein emotionales Liebes-Denkmal gesetzt. Er erklärt, dass es nicht üblich war, sich unter Männern zu sagen, dass man sich liebt. Ganz alleine mit einer Akustikgitarre singt er die Zeilen I am holding back the tears no moreooh I love you, ooh. Die Verbindung dieser zwei unterschiedlichen Männern trägt seit jeher eine ganz eigene Magie in sich. Diese Komposition zeigt eine sehr schöne Facette davon.

Paul McCartney

Paul McCartney trägt viel Liebe in sich.

Now And then: Durch die Zeit gereist

Nicht weniger emotional ist der neuste Beatles-Song Now And Then. Erst im November 2023 veröffentlicht, basiert der Track auf einem Demo von John Lennon aus den 70er-Jahren, an dem die drei verbleibenden Beatles bereits in den 90er-Jahren gearbeitet haben. Doch erst mit dem Dokumentarfilm Get Back und den zusätzlichen technischen Möglichkeiten, die Peter Jackson und sein Team zur Bearbeitung der alten Tonspuren entwickelt und verwendet haben, konnte der Track schliesslich fertiggestellt werden. 22 Jahre nach dem Tod von George Harrison. Dieser Song ist im wahrsten Sinn durch die Zeit gereist und wird die letzte Komposition sein, an der alle Beatles-Mitglieder mitgewirkt haben. 

And now and thenIf we must start againWell, we will know for sureThat I will love you
Now and Then, The Beatles

Einen Kurzen Einblick in die Entstehungsgeschichte von «Now And Then» gibt es in diesem Video

Mehr Tempo und eine Weihnachtsüberraschung

Langsam aber beständig wird das Tempo angezogen. Lady Madonna setzt den Takt für das was noch kommt. Ob-La-Di-Ob-La-Da ist textlich in etwa so tiefgründig wie Radio Ga Ga von Queen, aber es funktioniert live über Generationen hinweg und löst mit seiner Einfachheit bei Klein und Gross Euphorie aus. Mit Band On The Run folgt einer der bekanntesten Wings-Tracks. Ein Song, der nicht existieren würde, wenn McCartney in seiner Beatles-Zeit nicht gelernt hätte, Kompositionen auswendig im Kopf zu behalten. Damals war das in Ermangelung an Aufnahmemöglichkeiten nötig, bei Band On The Run weil die Demos in Nigeria gestohlen wurden, bevor man im Studio war. 

Simply having a wonderful Christmastime
We're simply having a wonderful Christmastime
Simply having a wonderful Christmastime
Wonderful Christmastime, Paul McCartney

It's good to be back on home soil – das sagt McCartney zu seiner Rückkehr nach England. Zur Feier dieser Heimkehr und passend zur Adventszeit steht mit Wonderful Christmastime eine festliche Überraschung an, inklusive einer Menge Kunstschnee und Kinderchor. Der Weihnachtssong wurde bereits 1979 veröffentlicht und findet in Manchester zum ersten Mal seit sieben Jahren seinen Weg ins Set.

Paul McCartney

Eine Weihnachtliche überraschung: Mccartney bringt sein «Wonderful Christmastime» zum ersten mal seit 2018 auf die bühne.

Beatles-Klassiker und ein Bondsong mit feuer

Mit ikonischen Visuals vom letzten Beatles-Auftritt auf dem Dach des Apple-Corps-Hauptquartiers in London im Januar 1969 lassen McCartney und seine Band Get Back aufleben. Der Song hat kein bisschen Staub angesetzt. Ebensowenig wie Let it Be, das Paul in Erinnerung an seine Mutter Mary ebenfalls für das gleichnamige und letzte Beatles-Album geschrieben hat. Richtig laut und heiss wird es beim Bondsong Live and Let Die. Zu dessen Untermalung wird nicht an Flammen und Feuerwerk gespart. Sogar Westminster wird zumindest visuell in die Luft gesprengt. 

Jojo was a man who thought he was a lonerBut he knew it couldn't lastJojo left his home in Tucson, ArizonaFor some California grass
Get Back, The Beatles

Nach dem Schlussknall hält sich McCartney demonstrativ die Ohren zu und gibt vor nichts mehr zu hören. Es ist erstaunlich, wie viel Pyrotechnik in einer Arena erlaubt ist. Solche Freiheiten werden einem vielleicht zugesprochen, wenn man bei einem Set während beinahe drei Stunden aus dem Vollen schöpfen kann und selbst längst dann nicht alle Hits auf die Bühne bringt. Hey Jude löst erneut einen generationsübergreifenden Chor aus. Manche Kinder werden wohl erst in einigen Jahren zu schätzen wissen, an welches Konzert sie von ihren Eltern mitgeschleppt wurden, aber bei Songs wie diesem, geht selbst bei der jüngsten Generation ein Licht auf. 

Nada Surf

Paul McCartney wird bei «Live And Let Die» eingezeizt. Die Schneeflocken sind spätestens bei diesem Pyro-Einsatz wieder geschmolzen.

Wenn die Zugaben nach 30 Songs beginnen

Nicht nur Now and Then hat Paul indirekt dem Regisseur Peter Jackson zu verdanken, sondern auch die Tatsache, dass er für I've Got A Feeling zumindest über die Screens noch einmal mit seinem Jugendfreund John Lennon singen kann. Zum Abschluss des Konzertabends geht es auf eine Reise durch verschiedene Beatles-Ären. Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band versprüht den Hippie-Spirit und Helter Skelter steht für die rockigste Seite der Beatles. Mit einem Medley aus Golden Slumbers, Carry That Weight und The End verabschiedet sich McCartney standesgemäss von seinen Fans. Dass er die Worte: See you next time! nicht nur auf den zweiten Konzertabend in Manchester bezieht, scheint bei diesem Energiebündel offenkundig zu sein.

I've got a feelingA feeling deep insideOh yeahOh yeah, that's right
I've Got A Feeling, The Beatles
Paul McCartney

Eine der letzten lebenden Legenden des Rock: Paul McCartney

Fazit

Paul McCartney ist längst Teil der Geschichtsbücher und trotzdem spielt er auch heute noch doppelt so lange Konzerte, wie deutlich jüngere Acts. Er scheint seinen Jungbrunnen in der Musik gefunden zu haben. Seine Lebensfreude und Agilität sind von der Leidenschaft für die Musik geprägt. Sie ist seit den späten 50er-Jahren sein ständiger und treuster Begleiter. Diesen Ausnahmemusiker live erleben zu dürfen, ist als Musik- und Geschichtsfan ein riesiges Privileg.