Rezension: Franz Ferdinand – The Human Fear

In Album-Tipps, Spektrum by indiespect

Travis
  1. Audacious
  2. Everyday Dreamer
  3. The Doctor
  4. Hooked
  5. Build It Up
  6. Night Or Day
  7. Tell Me I Should Stay
  8. Cats
  9. Black Eyelashes
  10. Bar Lonely
  11. The Birds

Künstler: Franz Ferdinand

Album-Titel: The Human Fear

VÖ: 10.01.2025

8/10

Franz Ferdinand veröffentlichen mit «The Human Fear» ihr erstes neues Album in der aktuellen Besetzung. Nach dem Einstieg von Schlagzeugerin Audrey Tait wurde zuvor mit dem Best-Of «Hits To The Head» zurückgeblickt. Nun geht die Band aus Glasgow mit grossen Schritten in eine neue musikalische Zukunft. Dies ist in Teilen gewöhnungsbedürftig, aber die Formation um Sänger Alex Kapranos weiss genau, was sie macht. Spätestens nach den Liveshows werden auch exotischere Tracks zu Hymnen werden. 

Franz Ferdinand sind:

Alex Kapranos (Gesang, Gitarre)
Audrey Tait (Schlagzeug)
Bob Hardy (Bass)
Dino Bardot (Gitarre, Backgroundgesang)
Julian Corrie (Keyboard, Gitarre, Backgroundgesang)

The Human Fear: Mutige Musikalische Experimente stehen im kontrast zum albumtitel

Franz Ferdinand waren schon immer experimentierfreudig. Während die ersten beiden Alben klar im Indie Rock anzusiedeln sind, gibt es beim 2009 veröffentlichten Tonight schon klare Einflüsse elektronischer Musik. Am stärksten ist dies beim Song Lucid Dreams hörbar. Mit Right Thoughts, Right Words, Right Action (2013) wendete sich die Band wieder ihren Wurzeln zu. Doch mit der Kollaboration FFS (Franz Ferdinand & Sparks, 2015) und dem Ausstieg von Gitarrist Nick McCarthy wird der musikalische Shaker erneut geschüttelt. Es folgen weitere Besetzungswechsel und ein Best-Of. The Human Fear ist der Startschuss für eine neue Franz-Ära. Das erste Studioalbum mit frischen Songs in der aktuellen Besetzung erscheint sieben Jahre nach dem letzten regulären Studioalbum Always Ascending. Auch wenn das neue Werk The Human Fear von den verschiedensten Formen menschlicher Ängste handelt, ist davon musikalisch wenig zu spüren. Franz Ferdinand nutzen den Neuanfang, um instrumentell ihre Antennen auszurichten.

Track by Track

Here we go with Riff one. Audacious eröffnet das Album so, wie man Franz Ferdinand liebt. Die Komposition klingt sofort vertraut und gleichzeitig frisch. Vor dem inneren Auge regnet Glitzer vom Himmel. Der hymnische Refrain erinnert an Weihnachten, ohne dass ein textlicher Zusammenhang besteht. Wahrscheinlich hängt dies mit dem feierlichen Gefühl zusammen, das der Opener transportiert

Mit repetitivem Bassspiel startet Everydaydreamer. Der Titel hält, was er verspricht. Er fühlt sich an wie ein Tagtraum und spannt einen musikalischen Bogen zu früheren Kompositionen wie Fresh Strawberries. Der Einsatz der Backingvocals unterstreicht gleichzeitig den neuen weiblichen Einfluss. Der Einstieg von Schlagzeugerin Audrey Tait hat die bis dato reine Männertruppe aufgelockert.

Diagnose: Tanzwut. The Doctor führt bei Liveshows ohne jeden Zweifel zu einem erhöhten Puls. Zu diesem Song möchte man sich bewegen und unkontrolliert springen, bis der Doktor kommt. Zuhause sollte man sich zuvor Zeit für den unterhaltsamen Text nehmen und nicht nur: Doctor, Doctor, Doctor schreien.

I got the fear
I've got the human fear
That's alright
That's alright, you see

Hooked, Franz Ferdinand

In Hooked kommt im Text der Albumtitel The Human Fear vor, was den Song quasi zum Titeltrack macht. Der wummernde Bass und die elektronischen Hooks (Achtung Wortspiel) wirken zwar etwas cheesy, aber es gibt ja bekanntlich keine Guilty Pleasures. Das Stück fördert nicht unbedingt die Konzentration und eignet sich daher weniger zum Hören im Büro. Dafür steht einer ausgelassenen Indie-Disco nichts im Weg.

Build It Up ist im Kontrast dazu wieder auf der traditionelleren Seite angesiedelt. Reduziert ist trotzdem das falsche Wort, hier gibt es in Sachen Instrumentierung sehr viele Ebenen zu entdecken. Schliesslich muss die Tatsache ausgenutzt werden, dass man in den vergangenen Jahren zum Quintett gewachsen ist.

Die zweite Vorabsingle Night Or Day braucht keine Angewöhnung. Der Song ist zu hundert Prozent Franz Ferdinand und kombiniert alle Stärken der Band. Wenn man die Schotten jemandem erklären müsste, der sie noch nicht kennt, ist dieser Track die Antwort. Er spannt den Bogen über die gesamte Bandgeschichte und verbindet sämtliche Stilelemente miteinander.

Life never gonna be easyBut if you're living it with meWe're gonna live it up, night or day

Night Or Day, Franz Ferdinand

Mit klassischen Pianoklängen beginnt Tell Me I Should Stay. Es baut sich eine Spannung zwischen Thriller und Horrorfilm auf, bevor ein Schuss Zirkus und Sirtaki hinzukommt. Die Melodie entwickelt sich wie ein Karussell, das immer schneller dreht und irgendwann komplett losgelöst von der Schwerkraft aus seiner Verankerung fliegt. Die Band mag es nicht, mit anderen Acts verglichen zu werden. Beim längsten Track des Albums, haben sie jeglichen Vergleich unmöglich gemacht.

Cats hat nichts mit dem Musical zu tun. Das Gitarrenriff trägt eine gewisse Ähnlichkeit mit der Melodie des frühen Hits The Dark of the Matinee in sich. Gleichzeitig schwingt ein leichter Western-Vibe mit. Die Schotten sind so unvorhersehbar und eigenwillig wie eine Katze.

Alex Kapranos ist der Sohn eines griechischen Vaters. Als Hommage kann Black Eyelashes verstanden werden. Hierfür hat der Sänger sogar eine griechische Passage einstudiert, da er die Sprache sonst nicht beherrscht. Es ist faszinierend, wie vor dem inneren Auge gleichzeitig eine griechische Taverne erscheint und der Sound trotzdem eindeutig nach Franz Ferdinand klingt. 

Es ist auffallend, wie dominant der Bass von Bob Hardy auf dem Album ist. Auch wenn ringsherum alles ausufert, bildet er oft den roten Faden. So auch in Bar Lonely. Nach dem Ausstieg der beiden Gründungsmitglieder Nick McCarthy und Paul Thomson müssen die beiden verbleibenden Urgesteine natürlich ihre Akzente setzen. Am Bass stellt sich das schwieriger dar, als am Mikrofon. Aber Hardy setzt sich gekonnt in Szene.

Richtig wild wird es beim Abschluss mit The Birds. Die Wiederholungen in der Melodie lassen auf die grosse musikalische Explosion warten. Diese kommt erst ganz zum Schluss, in Form eines schrillen Schreis aus Kapranos' Innersten. Der Song hat etwas aufwühlendes und löst ein eher beklemmendes Gefühl aus. Vielleicht war das genau das Ziel, um die menschliche Angst vor Vögeln, die durch Alfred Hitchcock erschaffen wurde, wieder aufleben zu lassen.

Travis

© Fiona Torre

Franz Ferdinand (v.l.n.r.): Dino Bardot, Bob Hardy, Alex Kapranos, Julian Corrie, Audrey Tait

Fazit

Franz Ferdinand fordern ihre Fans heraus. Es ist nicht im Interesse der Band, gefällige Songs zu schreiben, die alle wie Take Me Out klingen. Das führt dazu, dass man bei einem neuen Release erst einmal auf die Kompositionen einlassen muss. Bei einigen Tracks von The Human Fear ist das definitiv der Fall. Doch Franz Ferdinand wären nicht Franz Ferdinand, wenn sie nicht spätestens bei ihren Liveauftritten mit ihrer Energie die neuen Stücke in die Fan-Herzen einpflanzen würden.