Jan Böhmermann & das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld in The Hall: Gott spricht zu Zürich

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Jan Böhmermann hat die Fähigkeit ein Lachen auszulösen, das direkt wieder im Hals stecken bleibt. Auch bei seinem dritten Zürcher Auftritt mit dem Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld spart er nicht an Seitenhieben gegen die Schweiz. Nebst pointierten Ansagen liefert der Entertainer in The Hall erneut seine ganz eigene Version einer meinungsstarken Broadway-Show, inklusive Weisheiten vom KI-Gott.

Hier spricht Gott: Die Auferstehung einer Stimme aus dem Jenseits

Es ist eine vertraute und unverkennbare Stimme, die aus den Boxen donnert, während die Bühne noch von einem Vorhang verhüllt ist. William Cohn war Sprecher von Böhmermanns Neo Magazin Royale und ist 2022 verstorben. Nach langer ethischer Diskussion, in die auch die Hinterbliebenen einbezogen wurden, entschied man sich, seine Stimme mithilfe von KI wieder aufleben zu lassen. Dass er übersinnlich mit den Worten Hier spricht Gott wiederauferstehen würde, hätte Cohn bestimmt gefallen. Es ist nicht die einzige Ansage, die er an diesem Abend in den Zuschauerraum richtet. Nach einem dystopisch anmutenden Intro aus Zitat-Zusammenschnitten der Nachrichten und Politikwelt fällt der Vorhang und das RTO erscheint in seiner vollen musikalischen Pracht.

Schau mich nicht so lüstern an
Blaues Balkendiagramm
Warum machst du mich so geil
Oh, blutroter Deutschlandpfeil?

Faschismus is Back, Jan Böhmermann
Jan Böhmermann

Er liebt den grossen auftritt: Jan Böhmermann in Zürich

Bühnentier Böhmermann im kampf gegen den Rechtsrutsch

Jan Böhmermann liebt die Bühne und die Inszenierung. Auf einer rot beleuchteten Showtreppe in spärlichem Scheinwerferlicht erscheint der Satiriker vor dem grossen Eisern Ehrenfeld-Emblem, das martialisch über allem thront. So funky und tanzbar Faschismus is back auch klingt, so düster ist der Text. Es ist beängstigend, wie Kompositionen, die bei ihrer Erscheinung im ZDF Magazin Royale bereits Relevanz besitzen, über die Zeit sogar noch an trauriger Dringlichkeit gewinnen. Überhaupt ist es der Rechtsrutsch der Gesellschaft, der den Satiriker am meisten umtreibt. Er verarbeitet die Thematik geschickt und abwechslungsreich. Man muss den verrückt gewordenen Elon Musk nicht direkt ansprechen, es ist cleverer seinem ehemaligen Förderer und PayPal-Mitgründer Peter Thiel mit Right Time to Thiel in Bondsong-Manier die epische Nummer eines Bösewichts zu schreiben.

He knows it allWe are just pieces in his game of chessHe wants it allReviving rotten mammals from the past

Right Time to Thiel, Jan Böhmermann
Jan Böhmermann & das RTO

Das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld macht seinem Namen alle ehrer

Hallo Spencer, Fahrradinfrastruktur, Bahnstreik und Gewaltenteilung

Auch wenn Böhmermann mit Ironie arbeitet, sind seine Ansichten und Interessen erlebbar. Ende 2024 hat er mit Hallo Spencer – Der Film massgeblich am Wiederaufleben der gleichnamigen Kindersendung mitgewirkt. In Das ist Kunst übernimmt er den Part, der für den Film von Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow gesungen wird. Unterstützt wird er von den Handpuppen Die Quietschboys. Liebhaberprojekte wie dieses offenbaren sein Herz für Kunst in jeglicher Form. Von schlechter Fahrradinfrastruktur handelt Warum hört der Fahrradweg einfach hier auf?, das Jan mit den Jadebuben zum besten gibt. Er meint dazu: Das schöne ist, auf den fahrradsicheren Strassen, hat sich Zürich etwas Tolles einfallen lassen. Nämlich mit gelber Farbe einen gelben Strich in den Rinnstein gemalt, wo man fahren kann. Die Fahrradinfrastruktur, will ich sagen, ist beschissen in Zürich.

Warum kostet Schwarzfahren hundert Euro und Falschparken nur zehn?Warum sollten Kinder und Omas über Zebrastreifen geh'n? (Warum?)Woll'n Leute wirklich mit dem PKW zum Shopping in die Innenstädte?Und wie geil könnten die eigentlich sein, wenn niemand mehr PKWs hätte?

Warum hört der Fahrradweg einfach hier auf?, Jan Böhmermann

Der kürzlich in Rente gegangenen GDL-Funktionär (Gewerkschaft Deutsche Lokomotivführer) Claus Weselsky erhält seine eigene Hymne. Für einmal handelt es sich um eine echte Ehrung und nicht um das Zerpflücken einer destruktiven Figur aus der Öffentlichkeit. Zwar war Weselsky durch seine Position und die von ihm angeführten Bahnstreiks extrem unbeliebt, aber damit kann sich der Fernsehmoderator identifizieren. So beschissen wie ihm geht es mir nicht und das hat mir in dunkeln Stunden Kraft gegeben, merkt der Entertainer an. Den Wert der Gewaltentrennung (Legislative, Judikative und Exekutive) bringt er mit seinem Alter Ego POL1Z1STENS0HN mit Sonnenbrille und Hoodie im Hip-Hop-Gewand auf den Punkt.

Jan Böhmermann
RTO Ehrenfeld
RTO Ehrenfeld
RTO Ehrenfeld

    Keine Verschnaufpausen für das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld

    Das RTO legt den musikalischen Teppich für die Satiresongs, ganz egal in welches Genre diese Abdriften. Aber auch wenn sich der Moderator eine kurze Erholungspause gönnt, feuert das Orchester unter der Leitung von Lorenz Rhode aus allen Rohren und gönnt sich keine Verschnaufpause. Die Spielfreude ist bei allen Musiker:innen spür- und in den Gesichtern sichtbar. Das Ensemble wird als Überraschung zwischenzeitlich um einen eigens zusammengestellten Sopranchor und den Lokalmatador Faber ergänzt. Der Sänger bringt eine Version seines Tracks Leon auf die Bühne, die in dieser Weise wohl einmalig bleiben wird.

    Schau mal, wie der Mond scheintIn meinem Rotweinglas reflektiert der MondscheinTräume nicht dein Leben, lebe deinen TraumMein Leben ist ein TraumDu kannst das auch
    Leon, Faber
    Faber

    Faber als überraschungsgast in Zürich

    Eine vergiftete Party, ein geworfenes Ei, ein ESC-Dilemma und der ewige Sündenbock

    In den letzten Jahren sind zahlreiche neue Songs entstanden. Kein Wunder finden ältere «Perlen» wie Menschen Tanzen Welt oder Ischgl-Fieber keinen Platz mehr im Set. Aber eine wichtige Komposition hat sich zum Glück behauptet. Der Anti-Nazi-Song Licht an! Licht an! ist so direkt und auf den Punkt gebracht, wie kaum ein anderes Stück des Satirikers. Messerscharf und kompromisslos richtet er das Scheinwerferlicht auf alle Faschisten. Eine sanftere Version des Widerstandes bringt Wirf ein Ei, mit welchem der offizielle Teil endet. Zum Abschluss wirft Böhmermann ein Ei, dass sich mit einem perfekt gesetzten Fusstritt in ein Regen aus Konfetti auflöst. Diesen Special Effect hat vor ihm ziemlich sicher noch niemand verwendet.

    Auf meinem Fest, weil jeder mich kenntSind auch die Gäste sehr prominentAlle woll'n kommen und alle komm'n reinEs gibt Häppchen und Champagner und eiskalten WeinWer mitfeiern darf, nein, da bin ich nicht kritischMeine Türpolitik ist unpolitisch!
    Licht an! Licht an!, Jan Böhmermann
    Jan Böhmermann

    Seine Waffe ist das messerscharfe Wort.

    Wie es sich für eine gute Show zwischen Musical und politischem Liederabend gehört, wird das Publikum nicht ohne Zugabe nachhause geschickt. Das regelmässige ESC-Debakel Deutschlands bereitet Allemagne Zero Points auf. Im Anschluss labt sich der Moderator zu Böhmermann ist Schuld an der Verachtung, die von vielen Seiten auf ihn einprasselt. Wenn sie aus dem richtigen Lager kommt, hat er seinen Job richtig gemacht. Das scheint ihm Kraft und Energie für den nächsten Schlag zu geben. Mit einer Ode an seinen Herkunftsort, den Bremer Stadtteil Vegesack beendet er den abwechslungsreichen Abend in Zürich. Nach einer tiefen Verbeugung mit dem gesamten Orchester fällt der Vorhang und seine ganz persönliche Emoji-Signatur ❤️👊😉 prangt zum Abschied auf dem schwarzen Stoff.

    We've conquered ParisBut never one heartWe've killed millionsBut never kill it
    Allemagne Zero Points, Jan Böhmermann
    Jan Böhmermann

    Jan Böhmermann und das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld verabschieden sich von Zürich.

    Fazit

    Jan Böhmermann hält sich mit Cleverness und Tapferkeit an der Spitze der deutschen Satiriker. Sein Hang zu Musicals zeigt sich bei den Liveshows mit dem Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld immer wieder aufs Neue. Während man bei der ersten Tour noch dachte, dass es für ihn ein Gag sei, spürt man mittlerweile wie wichtig diese Liveauftritte für ihn sind. Eins scheint klar zu sein. Die letzten Songs sind noch nicht geschrieben und noch lange nicht gesungen.