Nada Surf feiern «Let Go» in Zürich:
Drei Stunden pure Freude im Dynamo

In Reviews by indiespect

Nada Surf feiern ein ganz spezielles Album: 15 Jahre «Let Go»

Nada Surf gehören zu den Urgesteinen des Indie-Rock. Bereits 1992 wurde die Band in New York gegründet. Das Debüt-Album High/Low folgte vier Jahre später. Darauf enthalten war das College-Rock-Stück Popular, welches sofort zu einem Überraschungserfolg wurde. Kein Wunder war die Band um Sänger Matthew Caws damals sofort bei einem grossen Label unter Vertrag. Elektra Records gehört mittlerweile zur Warner Music Group. Nach dem Erfolg des Debüt-Albums, ausgehend vom grossen Hit Popular war der Erwartungs-Druck auf Nada Surf immens.

Mit The Proximity Effect legten sie ein 1998 zweites Album vor. Das Label befand damals, dass es keine radiotauglichen Hits enthalte. Trotz guter Kritiken wurde die Band von Elektra Records kurz nach dem Europa-Release und einer ersten Tour in Frankreich fallengelassen. In den USA war The Proximity Effect damals noch gar nicht erschienen. Gut zwei Jahre musste Nada Surf darum kämpfen, die Rechte am Material wieder zu bekommen, um das Album auf dem eigens gegründeten Label MarDev Records auch in ihrem Heimatland veröffentlichen zu können.

Finanzielle Durststrecke und kreative Entwicklung

Matthew Caws arbeitete zu dieser Zeit in einem Plattenladen in New York. Finanziell sah es durch den verlorenen Label-Vertrag nicht rosig aus, dafür waren die Musiker komplett frei. Man liess sich also alle Zeit der Welt, um am dritten Album zu arbeiten. Dadurch veränderte sich auch der Stil der Band. Ruhigere Stücke waren zuvor praktisch nicht im Spektrum von Nada Surf gewesen. Für viele Leute waren sie eine Spass-Band mit einem einzigen bekannten Song. Let Go wurde damals mit den Einnahmen aus dem Merchandising-Verkauf finanziert und im September 2002 (Europa) sowie Februar 2003 (USA) veröffentlicht.

Seither gilt es dank Songs wie Blizzard of ’77, Happy Kid oder Indside of Love als das beliebteste Album von Nada Surf. Es schien also naheliegend, dass das Jubiläum mit einer speziellen Tour gefeiert werden sollte. Auf dieser wird unter dem Motto Celebrating the 15th anniversary of Let Go ohne Vorband erst das komplette Jubiläums-Album gespielt. Nach einer kurzen Pause folgt ein zweites Set mit weiteren Songs der Band.  Gestern waren Nada Surf im Zuge dessen für ein Konzert im Dynamo in Zürich zu Gast.

Nada Surf

Daniel Lorca und Ira Elliot während «Blizzard of ’77»

Erstes Set: Let Go in seiner vollen Pracht

Zu den sanften Klängen von Blizzard of ’77 eröffnen Nada Surf kurz nach 20 Uhr einen langen Konzertabend. Da Schlagzeuger Ira Elliot bei diesem Stück keine Arbeit an seinem Instrument zu verrichten hat, teilt er sich mit Daniel Lorca ein Mikrofon. Die Stimmung ist fröhlich und entspannt. Der Frühling ist endlich da, es ist Freitagabend und Nada Surf feiern Let Go – was will man mehr?

Musikalisch hält das erste Set mit der Song-Auswahl für keinen Fan Überraschungen bereit. Aber auch wenn das Hit-Album bei regulären Konzerten immer gut vertreten ist, so werden doch auch Titel präsentiert, die es nicht oft live zu hören gibt. Fruit Fly startet als sanfter Akustik-Song. So hat ihn Matthew Caws auch schon bei Solo-Konzerten gespielt. Aber wenn seine Bandkollegen nach der ersten Strophe einsetzen, erhält er noch einmal eine ganz andere Dynamik. Die Entstehungsgeschichte von Let Go ist spürbar und die Dankbarkeit über dessen Erfolg ebenfalls. Kaum eine Band wirkt so bescheiden und auf einer Ebene mit den Fans wie Nada Surf.

Nada Surf

Seltenes Bild: Daniel Lorca an den Lead-Vocals bei «Là Pour Ça»

Von Romantik bis Rock ist alles dabei

Bob Dylan wird bei Blonde on Blonde gehuldigt. Geschmachtet wird beim Klassiker Inside of Love. Caws singt ihn noch immer, als wäre ihm eben erst das Herz gebrochen worden. Bei Hi-Speed Soul wird es gleich im Anschluss richtig rockig. Let Go ist ein ausgewogenes Album für alle Lebenslagen. Für das französische Stück Là Pour Ça wechselt Bassist Daniel Lorca ans Mikrofon in der Mitte der Bühne. Mit akzentfreiem und gefühlvollem Gesang zieht er die Fans in seinen Bann. Dass er zwischenzeitlich einen Text-Hänger hat und Hilfe suchende Blicke in Richtung Caws wirft, macht das Ganze noch charmanter und aussergewöhnlicher. Es ist eines dieser Stücke, welches wohl nicht so schnell wieder live gespielt wird. Lorca fühlt sich auf seiner Seite sichtlich wohler. Mit Treading Water und dem wundervollen Paper Boats endet das erste Set von Nada Surf. Wie im Theater wird für die Vorstellung für 20 Minuten unterbrochen, bevor es mit einem zweiten Teil weitergeht. Zweimal Headliner an einem Abend – kann es etwas besseres geben?

Matthew Caws: Seine Stimme hat an diesem Abend einiges zu tun.

Zweites Set: Vergessene Perlen und alte Hits

Die Musiker wirken beim erneuten Betreten der Bühne sogar noch fröhlicher als zuvor. Denn jetzt folgt der Teil, in welchem sie die Fans überraschen können. Nur eines ist gewiss: Es folgen keine Let Go-Songs mehr. Obwohl auch das nicht ganz stimmt. Im ersten Set präsentierten die New Yorker die Tracks der europäischen Veröffentlichung des Albums. Diese unterscheidet sich marginal von der US-Version. Den Song Neither Heaven Nor Space liefern Nada Surf deshalb der Vollständigkeit halber und sehr zur Freude des Publikums im Mittelteil noch nach. Doch zurück zum Anfang.

Sanfter Einstieg mit alten Bekannten

Mit Imaginary Friends, Teenage Dreams und What Is Your Secret? wird der zweite Teil eröffnet. Es sind vertraute Klänge, die aus den Boxen kommen. Obwohl diese Songs teilweise seit Jahren nicht mehr live gespielt wurden, hat man sofort das Gefühl, sie eben erst gehört zu haben. Vom aktuellsten Album You Know Who You Are (2016) gibt es Cold To See Clear und Out Of The Dark zu hören. Bei diesen beiden ist es weniger verwunderlich, dass sie einem noch so gut im Gedächtnis sind. No Snow On The Mountain wurde hingegen seit dessen Veröffentlichung auf The Stars Are Indifferent To Astronomy (2012) und der dazugehörigen Tour nicht mehr auf die Bühne gebracht. Seine Live-Premiere ist auf dem Album Live at the Neptune Theatre zu hören.

Nada Surf haben sichtlich Spass ihre alten Songs zu spielen.

Eine Zeitreise mit Nada Surf

Die musikalische Reise führt nun immer tiefer ins Nada-Surf-Universum. Your Legs Grow ist kein Song, der sofort mit der Band assoziiert wird. Dabei steht er in seiner einfachen Schönheit Hits wie Inside of Love in Nichts nach. Schön zu sehen ist auch, dass dem vom Label nicht sonderlich geliebten The Proximity Effect mit vier Songs Respekt gezollt wird. Es ist deutlich spürbar, dass Musiker es geniessen, diese Stücke wieder einmal auf die Bühne zu bringen. Firecracker wird dabei sogar zu einem absoluten Highlight des Abends. Selten sieht man Matthew Caws und seine Bandkollegen so ausgelassen auf der Bühne agieren. Robots ist eine weitere Perle ab demselben Album. Wenn die zuständigen Leute bei Elektra Records damals keine Hits hörten, scheinen sie damals scheinbar keine Ohren gehabt zu haben.

Ira Elliot gibt an den Drums den Ton an.

Covers? Fehlanzeige

Der Abend bietet wirklich alles, was das Fan-Herz begehrt. Doch von den vor der Tour angekündigten Covers gibt es keine Spur – mit einer einzigen Ausnahme. Nada Surf’s Stalemate hat schon 22 Jahre auf dem Buckel. Der Song wurde auf dem Debüt High/Low veröffentlich. Dieser geht an diesem Abend nach dem Mittelteil in ein Cover von Joy Devision’s Love Will Tear Us Apart über. Von einer politisch nicht ganz unabhängigen Fernsehstation handelt The Fox. Nach dem eingängigen Amateur, wiederum einem Titel von The Proximity Effect, wird es wieder richtig vertraut. Natürlich sollen auch die Fans der Hits nicht zu kurz kommen. Deshalb folgen zum Abschluss die meist gespielten, aber nicht minder wunderbaren Stücke von Nada Surf.

Der perfekte Abschluss für einen perfekten Abend

Aus der Sicht von Knochen erzählt See These Bones von der Vergänglichkeit. Es ist eines dieser Lieder, in welches man sich gleich beim ersten Hören verlieben muss. Nun folgt Popular, der Hit, der die Band auf einen Schlag bekannt gemacht hat. Im Gegensatz zu anderen Bands spielen ihn Nada Surf noch immer gerne und mit viel Leidenschaft. Wahrscheinlich jedoch vor allem, weil sie gerne sehen, wie glücklich er ihre Fans macht. Always Love, welches im Anschluss folgt, ist kein klassisches Liebeslied. Viel mehr handelt es davon, dass Hass nie die Lösung für Probleme sein kann. Eine Message die in der heutigen Zeit wichtiger scheint, als jemals zuvor. Mit den Worten Oh fuck it, I’m gonna have a party und dem Song Blankest Year verabschiedet sich eine der sympathischsten Bands unserer Zeit mit einem Knall von der Bühne.

Fazit

An dieses Konzert wird jeder Nada-Surf-Fan noch lange denken. Ohne grossen Pomp oder sonstiges Spektakel feierten die New Yorker ihr erfolgreichstes Album. Während drei Stunden präsentierten sie vertrautes, geliebtes und vergessenes aus 26 Jahren Bandgeschichte. Diese Band hat bewiesen, dass eine solide Fanbase wichtiger ist, als ein Vertrag mit einem grossen Label. Und sie wirken dabei glücklicher als jeder Superstar dieser Welt. Nada Surf muss man einfach lieben.

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