Podcasts werden von Jahr zu Jahr populärer. Es gibt sie in allen Themenbereichen, sei es Geschichte, True Crime, Ratgeber oder Musik. Wer die sozialen Kanäle seiner Lieblingskünstler verfolgt, wird unweigerlich irgendwann mit dem Medium konfrontiert. Durch Interview-Podcasts erhält man Einblick in die Gedankenwelt der Künstler und kann dadurch ihre Musik aus einem anderen Blickwinkel sehen. Im Gegensatz zum Radio oder Fernsehen gibt es bei solchen Gesprächen oft kein Zeitlimit. Dies ist Fluch und Segen zugleich. Hindert und das Überangebot an Podcasts gar am Entdecken von neuer Musik oder helfen sie dabei?
Innerhalb der Interview-Podcasts ist Reflektor vom ersten deutschen Podcast-Label Viertausendhertz sogar noch einmal eine Kategorie für sich. Hier werden nicht nur Musiker aus sämtlichen Genres interviewt, der Host ist auch selbst aktiver Musiker. Jan Müller ist Gründungsmitglied und Bassist der Hamburger Band Tocotronic und hat somit einen ganz eigenen Zugang zu seinen Gästen. Auf die Frage, ob es ihm hilft, dass er die meisten seiner Interviewpartner schon kennt, antwortet er:
Ich kenne in etwas die Hälfte der Interviewpartner. Es hilft mir lediglich bei der Akquise. Das Gespräch ist zwar etwas anders, wenn ich mein Gegenüber zuvor bereits kenne, aber nicht unbedingt einfacher.
Dass er jedoch ein anderes Hintergrundwissen als viele Musikjournalisten mitbringt, ist sofort spürbar. Es ist nicht nur das Verständnis für Produktionsabläufe, sondern auch seine offensichtliche Leidenschaft für die Musik als solches. In Vorbereitung seiner Gespräche hört er sich durch das komplette Werk der Gäste und liest scheinbar jedes Interview. Das eigene Konsumverhältnis von Podcast zu Musik schätzt er auf 50/50, insgesamt drei bis vier Stunden am Tag.
Das Gespräch ist zwar etwas anders, wenn ich mein Gegenüber zuvor bereits kenne, aber nicht unbedingt einfacher.
Reflektor: Die Symbiose von Podcast
und Musik
© Tina Zellmer / Viertausendhertz
Hat das schriftliche Interview im Podcast-Zeitalter noch eine Chance?
Die Interviews auf indiespect.ch sind die meist Gespräche zwischen 15 und 30 Minuten, welche am Konzerttag aufgenommen und im Anschluss in eine schriftliche Form gebracht werden. Natürlich versucht man mit einer guten Vorbereitung auch hier andere Antworten zu bekommen, als blosse Promo-Floskeln. Doch kaum ist man richtig aufgewärmt ist das Zeitfenster auch schon ausgereizt. Ist es so überhaupt möglich, eine ähnliche Tiefe wie bei einem Podcast-Interview zu erreichen? Dazu meint der Tocotronic-Bassist:
Tiefe kann man meiner Meinung nach ebenso erreichen. Aber die Nähe ist eine andere. Dies sehe ich als schönen Vorteil. Andererseits kann das Konzentrat eines klassischen Interviews oder Artikels auch ein Vorteil sein. Podcast laufen auch Gefahr, zu zerfasern. Mich stört das leere Gerede in einigen Podcasts.
Im Gespräch mit Keith Murray von We Are Scientists, Juni 2016
Für indiespect.ch werden die Interview meist vor einem Konzert geführt und im Anschluss transkibiert. Die Gesprächszeit ist dabei in der Regel begrenzt.
Dass dieses Zerfasern nicht alle Hörer stört, zeigt der Erfolg von Podcasts wie Fest & Flauschig, Gemischtes Hack oder Baywatch Berlin. Der Inhalt ist dort sekundär, vielmehr ist man Zeuge eines Gesprächs von zwei oder mehr Personen ohne konkrete Thematik. Auch durch scheinbar belanglose Konversationen kann ein angenehmes Gefühl der Nähe entstehen. In dieser Welt kann man sich verlieren und viele Stunden der Woche auf solche Inhalte verwenden. Auch Jan Müller hat Lieblings-Formate, die ihn selbst erst auf die Idee brachten, einen eigenen Podcast zu starten:
Flimmerfreunde, Durch die Gegend, Und dann kam Punk, Elementarfragen, Quarantäne (Xatar&Sssio), Pandemia, Geschichten aus der Geschichte, Essay und Diskurs, Aus den Archiven. Von der Idee bis zur Umsetzung dauerte es ca. vier Monate. Ich habe mich ganz klassisch bei Viertausendhertz beworben, weil ich deren Formate toll finde (siehe oben, Durch die Gegend, Elementarfragen, Pandemia).
Ich lese noch immer gern und bin der Meinung, dass Podcasts immer nur ein ergänzendes, vertiefendes Medium sein können.
Ich lese noch immer gern und bin der Meinung, dass Podcasts immer nur ein ergänzendes, vertiefendes Medium sein können. Ihr Vorteil ist, dass man eine andere Nähe zu den Protagonisten spüren kann als in den klassischen Medien.
Einige der Gäste von Reflektor. Alle folgen gibt es hier.