Half Moon Run im Kaufleuten Zürich: Wenn der magische Funke zum lodernden Feuer wird

In Reviews by indiespect

Half Moon Run waren schon immer eine gute Band, doch mit ihrem vierten Album «Salt» haben die Kanadier im Juni ihr bisher bestes Album veröffentlicht. Es ist mitreissend, dynamisch und überraschend. Genau diese Zutaten haben dem Trio bei früheren Liveauftritten etwas gefehlt. Bei ihrem Konzert im Kaufleuten in Zürich sorgten die neuen Kompositionen dafür, dass auch die alten Stücke in neuem Glanz erstrahlen konnten. Es entstand die Symbiose aus einem grossartigen Publikum und begnadeten Musikern auf ihrem kreativen Höhepunkt.

HAlf Moon Run: Das Destillat aus Zehn Jahren

Das Album Salt basiert auf Ideen die schon lange in den Köpfen der drei Musiker Devon, Conner und Dylan herummgeisterten. So entstand beispielsweise das Riff für den Song Alco bereits vor zehn Jahren. Damals konnte das Gerüst noch nicht in dieses wunderbaren Gebilde umgewandelt werden, das es heute ist. Für Half Moon Run hat es sich gelohnt, den Kompositionen Zeit und Raum zu geben, um zu gedeihen. So präsent, vielseitig und verspielt hat das Trio noch nie geklungen. Da ist es natürlich ein Glücksfall, wenn man bei der Tour eines solchen Albums live bei einem Konzert dabei sein kann.

Half Moon Run

Half Moon Run scheuen in Zürich das Grelle Licht

Lass alles los, ein für alle mal

You Can Let Go ist eines der prägendsten Stücke des neuen Albums und Half Mon Run setzen dieses Brett direkt an den Anfang ihrer Show. Das ist ein Statement und ein Weg, die Stimmung im Publikum zu testen. Der Refrain eignet sich perfekt zum Mitsingen und das ooh, ooh, ooh das ihn begleitet, schwirrt jedem Fan sowieso ständig im Kopf herum. Das Experiment gelingt – der Funke in Zürich ist schon gesprungen, bevor der Opener fertig ist. Mit Hotel in Memphis folgt ein weiterer Song von Salt. Dieser erinnert an Supertramp in ihren besten Zeiten. Den Hattrick komplett macht Everyone's Moving Out East, das die Upbeat-Tracks mit den ruhigeren Seiten der neusten Veröffentlichung verknüpft. 

You can let goThat weight you carry with ya (ooh, ooh, ooh)Once and for allOnce and for all

You Can Let Go, Half Moon Run
Elton John

Half Moon Run präsentieren «Salt» in Zürich

Die Fans als viertes Bandmitglied

Wenn es auf der Tour einen Preis für Publikumsbeteiligung gäbe, wäre Zürich sicher vorne mit dabei. So textsicher und enthusiastisch zeigen sich die Schweizer Fans selten. Es scheint so, als würden Half Moon Run von der Energie im Saal in neue Höhen getrieben. Nicht nur die schnellen Stücke wirken kraftvoll, auch die ruhigeren entwickeln auf der Bühne eine neue Intensität. Das aktuelle Album scheint für den gesamten Songkatalog wie eine Zellerneuerung gewirkt zu haben. Früher gab es etwas überspitzt gesagt als Highlights Call Me In The Afternoon und Full Circle. 2023 merkt man, dass Half Moon Run schon damals unzählige Songperlen geschrieben haben. Ihnen haben bei Auftritten nur teilweise die passenden Gegenparts gefehlt. Razorblade vom Album A Blemish in the Great Light (2019) ist ein knapp 8-minütiger Epos und musikalisch so vielschichtig, dass es einen staunend zurücklässt. Nach dem treibenden Rhythmus und der Dringlichkeit von 9beat verschmelzen die Welten der beiden Alben.

You can have it if you don't mind some or all the others stay with meYou confuse me with your riddles and your sudden generosity
Call me in the afternoon even by one by oneCall me in the afternoon even by one by one
Call Me In The Afternoon, Half Moon Run

Multi-instrumentalisten soweit das auge reicht

Dylan Phillips haut nicht nur aufs Schlagzeug, sondern gleichzeitig in die Tasten, als wäre es das normalste der Welt. Auch Conner Molander wechselt fliegend zwischen Gitarre und Tasteninstrumenten. Seine flinken Finger fliegen nur so über die Klaviatur. Währendessen spielt, trommelt und singt sich Devon Portielje die Seele aus dem Leib. Seine Stimme klingt live glasklar und noch kraftvoller als bei den Studioaufnahmen. Beim vorher erwähnten Ur-Hit Call Me In The Afternoon übernimmt das Publikum mehr als nur den Backgroundgesang. Der Klang des kollektiven Gesangs im Kaufleuten löst unweigerlich Gänsehaut aus.

Half Moon Run

Warum sollte man sich zwischen Schlagzeug und Tasteninstrument entscheiden, wenn man beides haben kann?

Menschen brauchen keine Flügel, wenn sie Musik haben

Das über den Verlauf von zehn Jahren entstandene Alco ist das musikalische Äquivalent zum Fliegen. Man braucht nur die Augen zu schliessen und der Song trägt einen in luftige Höhen. Auch ist die Angst vor einem Absturz unbegründet, hier stimmt einfach alles. Nach dem Tagtraum schwebt man sanft wie eine Feder wieder auf den sicheren Boden zurück. Musikalität strömt beim Trio aus jeder Pore und man wünscht sich, nur annähernd mit so viel Talent gesegnet zu sein wie die drei Herren auf der Bühne. Immerhin haben diese sich dazu entschieden, ihre Fähigkeiten mit den Fans zu teilen. 

You just want me to jump both feet downInto the bottom of the river with youIt's not a question you can answerAnd the second you believe it, it's true

Alco, Half Moon Run

Half Moon Run spielen die Songs, die man sich wünscht und auch solche, von denen man es bis zum Abend selbst nicht wusste. Das Set ist wunderbar ausgewogen und die Kanadier legen Perlen frei, die in der Konzertvorbereitung übersehen werden können. Egal ob She Wants To Know oder Favourite Boy, jeder Track ist auf seine eigene Weise ein Meisterwerk. Kollektive Glücksgefühle löst natürlich ganz zum Ende auch nach all den Jahren noch immer Full Circle aus. Stimmiger kann ein Konzert eigentlich nicht zu Ende gehen, als mit einem Song, dessen Titel schon einen Kreis schliesst. Ob Half Moon Run im Kaufleuten ihr bisher bestes Konzert in der Schweiz spielen, müssen Fans beurteilen, die die Band schon öfter gesehen haben. Viel besser konnte es aber mit ziemlicher Sicherheit noch nie gewesen sein. 

Half Moon Run

Verschwitzt und bezaubernd: HAlf Moon Run in zürich.

Fazit

Half Moon Run sind elf Jahre nach ihrem Debüt auf dem vorläufigen musikalischen Zenit angekommen. Während andere Bands nach drei Alben eher mal schwächeln, sind die Kanadier so gut wie nie und live ein wahrer Genuss. Wer das neue Album Salt noch nicht gehört hat, sollte das so schnell wie möglich nachholen. Von da aus kann man sich wunderbar durch die Diskografie in die Vergangenheit arbeiten.