Die Zeit scheint am Radar Festival ihren eigenen Regeln unterworfen zu sein. Auch die 5. Ausgabe des Festivals für neue Musik verging gefühlt mit einem Wimpernschlag. Spätestens mit der Veröffentlichung der Timetable beginnt das grosse Kopfzerbrechen. Es ist ein Abend der Entscheidungen, denn man verpasst unvermeidbar genauso viele spannende Acts, wie man entdecken kann. Über 20 Acts spielten in 7 Locations rund um die Langstrasse in Zürich ihre Sets für ein neues Publikum.
Radar Festival 2023: Der Zürcher Musiktrail
Das Konzept bleibt dasselbe, nur die Bühnen sind teilweise verschwunden, oder neu dazu gekommen. Frisch dabei sind unter anderem das Plaza und die Alte Kaserne, dafür bieten das Kino Roland oder die Bar Rossi keine Bühne mehr. Das musikalische Spektrum ist breit gefächert und bietet für jeden Geschmack etwas. Wenn man an diesem Abend mit anderen Musikfans spricht, sind diese zwar wohl am gleichen Festival unterwegs, haben aber ein komplett anderes Line-Up gesehen. Aus diesem Grund ist dieser Bericht nur ein Fragment einer Konzertwanderung rund um das Zürcher Langstrassenquartier.
Mary Middlefield in der Amboss Rampe
Mary Middlefield in der Amboss Rampe
Mary Middlefield ist von der Klassik in den Indie Pop gewechselt. Die Musikerin war SRF 3 Best Talent im April 2023 und der Sender hat zu diesem Zweck ein schönes Portrait über die Künstlerin aus Lausanne geschrieben. Ihre musikalische Transformation und eine Trennung brachten sie zu ihrem Debüt Thank You Alexander und damit auf die Bühne des Radar Festivals. Ein Hauch von Klassik ist aber auch im neuen Mary-Middlefield-Universum mit der Begleitung eines E-Cellos noch zu spüren.
So maybe I have to lose a shoe
Or follow some yellow brick road
Before finding my way to you
'Til then
This one's for you
DANA auf der bühne des Plaza Klubs
dana: erfahrene live-performerin im plaza
Ihr Debütalbum Future Daughters feiert genau am Festivaltag seinen ersten Geburtstag. Seit dessen Release war DANA ununterbrochen auf den Bühnen des Landes unterwegs und hat gleichzeitig mit Alright, Ex-Extrovert und Hype immer wieder Musik veröffentlicht. Die Bielerin ist so umtriebig, dass man sie 2023 schon länger auf dem Radar haben sollte. Sie war für einen Swiss Music Award nominiert, trat an gefühlt jedem grossen Festival auf und begeisterte dabei mit ihrer Stimme und der natürlichen Herzlichkeit neue Fans in allen Teilen des Landes. Im Plaza steht sie mit ihrer kompletten Live-Band auf die Bühne. Nebst ihrem leiblichen Bruder am Bass ist dies ihre selbst gewählte Familie an den übrigen Instrumenten. DANA singt entwaffnend offen über schwierige und persönliche Themen und wird dabei von der Liebe ihrer Bandkollegen getragen. Die Verbundenheit ist in jeder Sekunde spürbar.
All my friends got their hearts broken
Now the million little cracks are open
Wiped so many tears until they're kinda okay
You could see the crash from a mile away
Dancing in the flames like they had to stay
Talk hat das zeug zum superstar
Talk: Ein Newcomer, der wie ein headliner wirkt
Obwohl es so etwas wie einen Headliner beim Radar Festival nicht gibt, wirkt Talk aus Kanada trotzdem so, als wäre er alles andere als ein Newcomer. Die Erscheinung und die Stimme des Sängers vermögen es, jeden Raum zu füllen – dabei ist es tatsächlich der erste Schweizer Auftritt des Künstlers. In den Studioversionen klingen seine Songs kraftvoll und man hört das Potenzial der Stimme, aber zusammen mit seiner Band, braut sich bei Talk ein Gitarrengewitter zusammen, welches das Plaza zum Erzittern bringt.
What If I run away to Mars?Would you find me in the stars?Would you miss me in the endIf I run out of oxygen?When I run away to Mars
Talk ist aber auch ein souveräner Unterhalten. Zwischen zwei Songs meldet sich ein Fan mit einem Zwischenruf und der Kanadier sucht das Gespräch mit ihm. Er fragt, woher er denn komme. Es wird nicht ganz klar, ob der Herr nun aus Seattle, Vancouver oder doch aus der Schweiz kommt. Auf jeden Fall sei er halb Kanadier. Kurzerhand ruft ihn der Sänger auf die Bühne und als würde er ihn zum Ritter schlagen, sagt er die Worte: I officially proclaim you Canadian. Als der Fan nachher noch neben dem Mikrofon stehen bleibt, meint Talk mit trockenem Humor: I have to do a concert now, get the fuck down. Er verwandelt sich auch in ein anderes Performance-Genie, indem er Jack Black kanalisiert und mit dem School of Rock-Titeltrack die Bühne in Flammen setzt.
Von Talk zum Kanadier Ernannt: EIn Fan bekommt die staatsbürgerschaft verliehen.
Hitzestau mit Dominik Hartz im OG
Wer sich einen Aufguss holen möchte, bahnt sich den Weg ins OG zu Dominik Hartz. Irgendwo zwischen Cro, Fanta 4, Clueso und Jan Delay schreibt Hartz deutschprachige Songs, die sich eine eigene Nische neben den aktuell erfolgreichen Indie-Pop-Helden Deutschlands schaffen. Das OG oberhalb der Zukunft ist brechend voll und die Temperatur steigt mit jedem Schritt in den Raum um mehrere Grad. Vielleicht denken die Anwesenden schon bald an diesen Moment zurück, als Dominik Hartz noch in diesem engen Raum für das Radar-Publikum performt hat. Denn auch der Künstler aus Deutschland hat das Potenzial, die grossen Bühnen zu erobern.
Kann sich irgendjemand sicher sein?
Frage, fühlst du dich sicher? Nein
Tage fühlt man im Nachhinein
Ohnе Tinte sind die Striche klеin
Dominik Hartz spielt in der Finnischen Sauna aKA OG
Fazit
Mit der Ankündigung beginnt jeweils eine lange Phase der Vorfreude auf das Radar Festival. Hier steht die Musik im Zentrum und es gibt immer unglaublich viel zu entdecken. Das sorgt dafür, dass der Abend selbst so schnell vergeht, dass man gar nicht richtig hinterher kommt. Erst Tage später lässt sich verarbeiten, was man alles wieder gesehen hat. Eins ist schon fast sicher. Einige dieser Acts werden bald grössere Auftritte spielen. Der Entdeckergeist der Besucher macht dieses Festival zu dem, was es ist. Hier spürt man das Potenzial neuer Talente, die sich vor einem interessierten Publikum beweisen können.