Arcade Fire und die Schweiz. Beziehungsstatus: Es ist kompliziert
Win Butler, Sänger der kanadischen Überflieger Arcade Fire, hat sich 2014 bei den Schweizern nicht gerade beliebt gemacht. In einem Interview mit dem Rolling Stone beschwerte er sich über die schrecklichen Konzerte hierzulande. Die Schweizer seien einfach reich und verwöhnt. Deshalb haben sie sich die Regel auferlegt, hier nie mehr aufzutreten.
We’d already played Switzerland a couple times, and we’d made a rule we were never gonna do it again.
The shows were so awful, and the people were just so rich and spoiled.Win Butler, Arcade Fire
Bereits im letzten Jahr wurde diese jedoch mit dem Auftritt am Paléo Festival gebrochen. Damals standen sie als Headliner in Nyon auf der Bühne. Mit einer eigenen Show in Zürich, anlässlich ihrer Infinite Content Tour, wagte sich die Band auch wieder auf Deutschschweizer Terrain. Weltweit räumen Arcade Fire einen Preis nach dem anderen ab und gelten als Ausnahmekünstler. Für das Konzert im Hallenstadion wurden jedoch weit weniger Tickets verkauft, als gedacht. Ob das Statement von Butler noch nachhallt oder ob es an dem gleichzeitig stattfindenden Foo-Fighters-Gig im Berner Stade de Suisse lag, darüber kann man nur spekulieren. Jedenfalls wurde kurzfristig die Bühnen-Platzierung geändert, um den Raum zu verkleinern. Personen mit Sitzplatz-Tickets für die vorderen Ränge mussten deshalb ihre Karten umtauschen und bekamen neue Plätze zugeteilt. Die Fans schienen das Ganze aber relativ gelassen zu nehmen. Eher wirkten sie überrascht, dass ihre Band nicht mehr Publikum angezogen hatte.
Arcade Fire betreten die Bühne von einer ungewohnten Seite.
Arcade Fire: Are you ready to rumble?
Kurz vor Konzertbeginn beginnen Crew-Mitglieder eine Gasse zwischen den Zuschauern zu bilden. Kameramänner und Security-Personal flankieren sie dabei. Es scheint kein normaler Einstieg zu werden. Um 21 Uhr steht die Band nach den klassischen Klängen von A Fifth Of Bethoven plötzlich im hinteren Teil des Hallenstadions. Auf dem grossen Screen werden sie wie Boxer angepriesen – und zwar in deutscher Sprache. Grammy-Gewinner und Indie-Fürsten sind nur zwei der zahlreichen Attribute mit denen sie von einer überschwänglichen Stimme beschrieben werden. Im Scheinwerferlicht bahnen sich die Musiker den Weg zur Bühne, umringt von den begeisterten Fans.
Alles Jetzt! Arcade Fire haben ihren neusten Album-Titel in zahlreiche Sprachen übersetzt. Jede Version gibt es als eigene Vinyl-Ausgabe.
Mit Everything Now eröffnen sie das Set. Alles jetzt steht in grossen Lettern über den Köpfen von Arcade Fire. Die Lichtshow ist spektakulär, die Stimme von Butler glasklar und die Anzahl der Musiker beeindruckend. Es sind neun an der Zahl und jeder spielt gefühlt noch einmal so viele Instrumente. Was bei anderen ab Band kommt, wird bei Arcade Fire live gespielt – seien es Streicher- oder Saxophon-Einsätze. Sofort spannen die Kanadier den Bogen in die Vergangenheit. Mit Neighborhood #3 (Power Out) versetzen sie Zürich in immer ekstatischere Zustände. Die Bassläufe kommen satt und wuchtig aus den Boxen. Bereits nach zwei Songs weiss man, warum diese Band so erfolgreich ist. Der Sound ist einzigartig, wandelbar und doch unverkennbar. Arcade Fire leben für die Bühne und die Theatralik. Sängerin Régine Chassagne könnte mit ihrer Bühnenpräsenz ohne Probleme in einem Broadway-Stück auftreten.
Das Grammy-prämierte Album «The Suburbs» nimmt einen grossen Platz im Set ein.
Reise zwischen «Everything Now» und «The Suburbs»
Das Set steht klar im Fokus der neuesten Veröffentlichung und dem Grammy-prämierten Meisterwerk The Suburbs von 2010. Neon Bible ist mit Keep The Cars Running und No Cars Go nur mit zwei Tracks vertreten. Auch das vorletzte Album Reflektor wird nur mit dieser Anzahl von Songs bedacht. Arcade Fire haben die Qual der Wahl, denn ihr Repertoire umfasst unzählige Hits. So fallen leider Titel wie Normal Person, Intervention oder My Body is a Cage weg, dafür wächst einem das neuste Werk noch stärker ans Herz. Doch bevor sich Creature Comfort am Set-Ende zum Highlight des Abends mausert, schmettern Arcade Fire einen regelrechten The Suburbs-Block ab der Bühne. Schlag auf Schlag folgen sieben Songs des Albums.
Von der Bar aus kann Win Butler die Songtexte auf dem Screen gut lesen.
Das Hallenstadion verwandlet sich in eine Grossraumdisco.
Nun darf die Discokugel an der Hallendecke endlich ihren Dienst antreten. Zu Reflektor werfen die kleinen Spiegelchen ein magisches Licht aufs Publikum. In diesem magischen Moment, fragt man sich, wieso nicht jede Band eine Discokugel dabei hat. Der Effekt wirkt stärker als so manch aufwändiges Visual. Ergänzt wird der Titelsong des vorletzten Albums um Afterlife, einen weiteren Reflektor-Track. Immer wieder suchen Win Butler und Régine Chassagne den Weg ins Publikum. Mal tanzt sie beim Mischpult neben einer überdimensionalen Discokugel, mal steht er auf seitlichen Bar und gönnt sich einen Schluck kühles Bier.
Grossraumdisco Hallenstadion beim Konzert von Arcade Fire.
Nach dem zuvor erwähnten Creature Comfort verlassen die neun Musiker die Bühne. So schlimm kann es in der Schweiz scheinbar doch nicht sein. Denn sie kehren nach kurzer Zeit wieder zurück und stimmen das neue We Don’t Deserve Love an. Anschliessend wird noch einmal sichergestellt, dass einem der Ohrwurm Everything Now auch ganz bestimmt nicht mehr verlässt. In Everything Now (Continued) wird dessen eingängige Melodie noch einmal aufgenommen. Der Abschluss ist zwar keine Überraschung, aber noch immer eine Wucht. Wake Up steht schon seit Jahren immer ganz am Schluss der Arcade-Fire-Shows. Daran wird und soll sich auch so bald nichts ändern.
Fazit
Mit keinem Wort ging Win Butler auf seine Aussagen über das Schweizer Publikum ein. In vielen Köpfen dürfte sie jedoch immer noch rumgeistern. Wie er mittlerweile zu seiner Aussage steht bleibt offen. Sicher ist, dass Arcade Fire zu den ganz Grossen gehören. Nicht nur in Sachen Popularität, sondern vor allem aufgrund ihrer unbändigen Energie und Kreativität. Hoffen wir, dass die komplizierte Liebesgeschichte zwischen Arcade Fire und der Schweiz irgendwann in einem ausverkauften Arena-Konzert mit ausgelassener Stimmung ihr Happy End findet.