Rezension: Johnossi – Mad Gone Wild

In Album-Tipps, Spektrum by indiespect

Johnossi
  1. Give me the knife
  2. Something=Nothing
  3. Yeah yeah
  4. Koala before the storm
  5. Interlude
  6. Mad gone wild
  7. Killer
  8. Black hole
  9. A passenger
  10. Wizard of Os
  11. Screaming

Künstler: Johnossi

Album-Titel: Mad Gone Wild

VÖ: 11.02.2022

9.5/10

Johnossi sind eine Naturgewalt auf der Bühne. Es muss sich bei den Schweden über die letzten beiden Jahre einiges an Energie angestaut haben, denn mit ihrem Album «Torch // Flame» (VÖ 28.2.20) konnten sie nie auf Tour gehen. Aufgrund der Zwangspause suchte sich dieses Feuer ein anderes Ventil. Im siebten Album «Mad Gone Wild» entlädt sich alles. John Engelbert und Ossi Bonde melden sich wütend, kraftvoll und dennoch melodiös zurück. Sie haben die schwierige Aufgabe gemeistert, trotz oder gerade wegen der schwierigen Umstände, ein starkes Album zu schaffen.

Johnossi: Wie eingesperrte Raubtiere

Die COVID-Zeit war und ist für alle Bands nicht leicht. Durch den Wegfall von Live-Auftritten kämpfen Musiker nicht nur mit den finanziellen Folgen, sondern auch mit einem Mangel an Inspiration, den sie sonst durch ihre Reisen und die Energie der Fans ziehen können. Bei einer Formation wie Johnossi fühlt sich das noch einmal extremer an. Das Duo definiert sich so stark durch ihre energetischen Live-Shows, dass sie sich, gefangen im Proberaum, wie eingesperrte Raubtiere gefühlt haben müssen. Dieser Frust ist auf Mad Gone Wild durchaus spürbar. Es herrscht ein härterer Grundton, als auf den letzten Johnossi-Alben. Doch es wir nicht einfach Gift und Galle gespuckt, die Schweden haben es nicht verlernt, ihren Kompositionen immer wieder grosse Melodien einzuweben. Wenn sie ihre mehrfach verschobene Tour endlich spielen können, wird das ein Gewitter an neuen Songs geben. Da bleibt gefühlt kein Platz mehr für die alten Hits. Dank der Qualität des neuen Materials wäre das nicht einmal tragisch.

Track by Track

Eröffnet wird das Album mit Give Me the Knife. Zur Veröffentlichung gibt es für den Opener auch gleich ein Musikvideo geschenkt. Melodiös und treibend startet das Duo in seine siebte Studioveröffentlichung. Dieser Auftakt macht sofort Lust auf mehr und Erleichterung macht sich breit – Corona hat den Schweden musikalisch nicht geschadet, im Gegenteil. Die Zwangspause entfesselte gar eine neue Kraftquelle.

Something = Nothing war eine der drei Vorab-Singles und zeigt die härtere Seite von Johnossi. Die Wucht erinnert stark an die rohen Anfänge, ganz im Stil von Party With My Pain oder Execution Song. Im Vergleich zu den immer öfter durch den Keyboard-Einsatz poppigeren Kompositionen fühlt sich Something = Nothing wie eine Zeitreise an. Als würden die jungen Wilden wieder zum ersten Mal auf einer Festivalbühne in der prallen Sonne spielen, während die Bierbecher in die Luft fliegen.

Dem Titel entsprechend denkt man sofort: Yeah Yeah, wenn John Engelbert in diesem Song anfängt zu singen. Das Tempo prescht vor. Immer schneller, immer weiter. Mit seinem Schlagzeugspiel lässt Ossi Bonde dem Sänger keine Verschnaufpause. Der Sprint wird zum Langstreckenlauf, bis man ausgelaugt über die Ziellinie läuft und die Zunge aus dem Mund hängt. Wenn Johnossi dieses Lied live performen, brauchen sie danach ohne Zweifel einen grossen Schluck Flüssigkeit (ob Schnaps oder Wasser sei dahingestellt).

I could be sane And you, loving and warm We can be everything we ever were Before before the stormKoala Before The Storm, Johnossi

Eine klassische Schnapsidee war ziemlich sicher Koala Before the Storm. Nicht der Song selbst, der ist eine richtige Johnossi-Hymne, aber der Koala im Titel passt da irgendwie nicht richtig hin. Musikalisch ordnet sich das Stück eher wieder beim Stil des Vorgänger-Albums ein und enthält neben «Claps» auch die Pop-Elemente, welche die Band seit den Album Transitions (2013) zugelassen hat. Die Mischung zwischen dreckig und geschliffen ist ein Faktor, der das Duo auch 2022 noch immer frisch und abwechslungsreich klingen lässt.

Nach dem kurzen Instrumental-Interlude (Free in Thought) folgt mit Mad Gone Wild zur Mitte des Albums der Titeltrack. Davon verspricht man sich immer etwas Besonderes, die Essenz einer Veröffentlichung. Tatsächlich hält Mad Gone Wild dieses Versprechen. Der langsame Aufbau, der bis zu Bläser-Einsätzen und einer sich immer weiter steigernden Dramatik führt, ist schlicht grossartig. Die Instrumentierung ist bis zur Mitte stark reduziert und wird durch den verzögerten Einsatz des Schlagzeugs umso eindrucksvoller.

Die Gitarrensaiten werden bei Killer (Slowly Fantasize) wieder in einem gesunden Tempo angeschlagen. Das sind Riffs, bei denen John Engelbert auf der Bühne längst völlig verschwitzt sein lädiertes Instrument malträtiert. Gefühlt ist das Stück etwas gar schnell vorbei und die Melodie kann sich deswegen nicht sofort im Kopf festsetzen.

Eine melodische Verschnaufpause bietet sich mit Black Hole. Die ruhige Nummer zeigt eine weitere Stärke von Johnossi. Es muss nicht immer alles laut sein, um unter die Haut zu gehen. Bei Black Hole werden die Tastenklänge durch kurze Synthesizer-Passagen ersetzt. Da diese nur sehr punktuell eingesetzt werden, setzt das neue Akzente und verwischt nicht die Johnossi-DNA, sondern fügt sich ihr harmonisch hinzu.

I am a passenger And I ride, and I ride I ride through the city's backsides I see the stars come out of the skyBoilermaker, Royal Blood

Der letzte der drei Vorab-Veröffentlichungen heisst A Passenger. Ein klassischer Johnossi-Kracher, der keine Angewöhnungszeit braucht. Jeder Fan der Schweden wird diesen Song sofort ins Herz schliessen. Sogar ein kurzes, knackiges Gitarrensolo wurde dem Stück geschenkt – einfach wunderbar.

Nein, das kommt nicht von draussen; bei Wizard of Os zwitschern tatsächlich die Vögel aus den Boxen. Ein drei Minuten langes Instrumentalstück gab es bisher in der Geschichte von Johnossi auch noch nicht. Dennoch fügt es sich wunderbar in die Gesamtwirkung des Albums ein. Wenn John Engelbert ausnahmsweise seine Stimme schonen darf, kommt ihm das bestimmt entgegen.

Nicht nur den perfekten Opener haben Johnossi für Mad Gone Wild geschrieben, auch der Close Screaming ist genau an der richtigen Stelle platziert. Im Duett mit einer engelsgleichen, weiblichen Stimme bringt John die Platte zu seinem sanften Ende. 

Johnossi

© Mads Perch

Johnossi: Oskar «Ossi» Bonde (links), John Engelbert (rechts)

Fazit

Johnossi ist es trotz Pandemie gelungen, ein kreatives Album zu schreiben. Die Erwartungen waren nicht extrem hoch, da der Vorgänger erst zwei Jahre zuvor erschienen ist. Deswegen ist die freudige Überraschung umso grösser, dass es den beiden Schweden gelungen ist, die angestaute Energie in kraftvolle Musik zu verwandeln. Den halben Punkt Abzug gibt es eigentlich nur für das Cover-Artwork.