Jack White in THE HALL Zürich:
Fifty shades of blue

In Reviews by indiespect

Jack White besteht aus Musik. Zeugnis dafür sind seine legendären Kompositionen in verschiedensten Formationen, sein eigenes Plattenlabel Third Man Records, die unzähligen Einflüsse und seine «Phone Free Show». Die mittlerweile unverzichtbar gewordenen Smartphones vom Konzert zu verbannen, sorgt für das Aufleben einer beinahe ausgestorbenen Live-Kultur. Was leider auch ein Jack White nicht zu verhindern in der Lage ist, sind Menschen, die ihr lautes Stimmorgan nicht zum Mitsingen der Songs, sondern zum Stammtischgespräch nutzen. All das und noch mehr gab es gestern bei seinem Auftritt in THE HALL, Zürich, anlässlich der «Supply Chain Issues»-Tour.

Jack White: Vorhang auf für eine Musiklegende

Die ersten Takte spielt Jack White mit seiner Band hinter einem klassisch anmutenden Theatervorhang, auf welchem die beleuchteten Silhouetten tanzen und wieder verschwinden. Nach einem ersten Jam erklingt das unverkennbare Gitarrenspiel von White und der Vorhang lüftet sich langsam. Spätestens jetzt würden normalerweise die Handys nach oben schnellen, doch diese sind sicher verstaut in einem magnetischen Täschchen. Um Entzugserscheinungen zu mindern, darf man das zwar bei sich tragen, jedoch kann der Magnet nur in kleinen Phone-Area im Foyer geöffnet werden. Auf der Bühne ist nebst den blauen Haaren der Sängers auch alles andere in der Lieblingsfarbe des Musikers aus Detroit gehalten. 

DANA
© David James Swanson

Die blaue Stunde dauert bei Jack White etwas länger als in der Natur.

«Fear of The Dawn» im April, «Entering Heaven Alive» im Juli

Während andere Jahre brauchen, bis sie ein Studioalbum schreiben, hat White im April 2022 Fear Of The Dawn veröffentlicht und bringt bereits am 22. Juli, also nur drei Monate später, das nächste Album Entering Heaven Alive auf den Markt. Dieser Mann ist so umtriebig wie sonst nur Damon Albarn (Blur, Gorillaz, The Good The Good, the Bad & the Queen). Egal ob Solosongs oder The White Stripes- und The Raconteurs-Kompositionen, der Gitarrenvirtuose zerrt von verschiedensten Einflüssen. Mal spürt man Johny Cash-Vibes, mal drückt der Funk oder Blues durch. Alles was mit einer Gitarre zu spielen ist, scheint Jack White anzulocken, wie das Licht die Motte. Doch auch vor Tasteninstrumenten schreckt der Amerikaner keineswegs zurück. Immer wieder setzt er sich ans Klavier oder die Orgel, so beispielsweise beim wunderbaren The Raconteurs-Stück You Don't Understand Me. Es ist faszinierend wie Musik zugleich frisch und nostalgisch klingen kann. Jack White ist unverkennbar und dabei weder retro noch modern.

If I die tomorrow
Could you find it in your heart to sing?
If my mother cries in sorrow
Will you help her with the many things

If I Die Tomorrow, Jack White
Declan McKenna
© David James Swanson

Jack White weiss auch mit anderen Saiteninstrumenten als der Gitarre umzugehen.

Gehasst oder geliebt, aber nicht gleichgültig.

Nach zwei Songs in einfacher Bühnenbeleuchtung wird der Sänger ein erstes Mal auf eine LED-Wand projiziert. Ansagen gibt es nicht, Jack White lässt lieber seine Songs für sich sprechen. Das höchste der Gefühle ist, wenn er kurz etwas einschiebt wie: The next song is based on a true story. And so are all of the others. Trotz der fehlenden Interaktion wirkt er nicht abgehoben, vielmehr lebt er in seiner Klangwelt. Nicht jeder kann mit den teils eigenwilligen Kompositionen von Jack White etwas anfangen. Das spürte auch er selbst bei seinem Bondsong Another Way To Die, den er gemeinsam mit Alicia Keys für Quantum of Solace (2008) geschrieben und aufgenommen hat. Er habe gespürt, dass der Track entweder gehasst oder geliebt wird, dazwischen gebe es nicht viel. Dies erzählte der Musiker im Podcast Conan O'Brien Needs a Friend. Auch wenn Zürich nicht in den Genuss des gesamten Songs kommt, spielt White dennoch die ikonischen Anfangstakte an, ein rares Geschenk an die Fans.

Fall is here, hear the yell
Back to school, ring the bell
Brand new shoes, walking blues
Climb the fence, books and pens
I can tell that we're going to be friends

We're Going to Be Friends, The White Stripes

Von den Solosongs sind unter anderem der Titeltrack des noch aktuellen Albums Fear Of The Dawn sowie Lazaretto vom gleichnamigen Album von 2014 Highlights. Für Fear Of The Dawn werden die Visuals des Albumcovers auf dem LED-Screen animiert. Der ikonische Cartoon-Look mit dem Vollmond passt ausgezeichnet zur Komposition mit der Wucht eines Werwolfs. Auch die Ära der White Stripes wird nicht ausgespart. Eines der ruhigsten und freundlichsten Stücke ist dabei We're Going to Be Friends. Mittlerweile gibt es dazu das passende Kinderbuch, welches auch beim Merch-Stand angeboten wird. Gegen der Performance wird ein Fan eingeblendet, der das besagte Buch stolz in die Höhe hält.

Jack White vs. das Bier

Einerseits ist es ein Erlebnis, wieder einmal ein Konzert ohne Telefon zu geniessen, andererseits scheinen sich dafür andere störende Elemente zu verstärken. Wie in der Einleitung erwähnt, gibt es zahlreiche «Fans», die sich lieber schreiend unterhalten, als den Fokus auf die Bühne zu richten. Das Bier trägt seinen Teil dazu bei. Nach jeder Runde werden noch einige Dezibel hochgeschraubt. Zum Glück liefert Jack White gleichzeitig dermassen ab, dass man seine Aufmerksamkeit nach vorne lenken kann und die Genervtheit nur noch schwach im Hinterkopf sitzt.

Find yourself a girl and settle down
Live a simple life in a quiet town
Steady as she goes
Steady as she goes
Steady, As She Goes, The Raconteurs

The Raconteurs zum Abschluss des Sets

Steady, As She Goes ist die Debütsingle von The Raconteurs vom Album Broken Boy Soldiers (2006). White spielt eine mit Gitarrensoli versetzte Extended-Version und entzückt damit seine Fans kurz vor Ende des Sets. Es ist einerseits die Freude über den Song, aber auch die freudige Erwartung dessen, was noch kommen muss. Doch Jack White lässt sich nicht hetzen. Die Zugaben beginnt er mit einem weiteren Jam und wilder Gitarrenakrobatik. Nach zwei zusätzlichen Songs setzt das Riff ein, das wohl jeder Mensch auf der Welt kennt. Seven Nation Army ist mittlerweile die Gröl-Hymne schlechthin geworden. Sobald es irgendwo erklingt, fragt man sich, was Jack White wohl davon halten würde. Spätestens jetzt merkt man: er findet das ganz schön gut. 

Declan McKenna

© David James Swanson

Jack White spielt sein unsterbliches Riff bei «Seven Nation Army»

Don't wanna hear about it
Every single one's got a story to tell
Everyone knows about it
From the Queen of England to the Hounds of Hell
Seven Nation Army, The White Stripes

Seven Nation Army: Larger Than Life

Irgendwie scheut man automatisch davor zurück, das Riff von Seven Nation Army in Jack White's Gesicht zu schreien, weil man den Künstler nicht zum Ballermann-Star verkommen lassen will. Aber er selbst scheint damit gar keine Mühe zu haben. Mehrfach fordert er die Fans auf lauter und noch lauter genau das zu tun. Es ist spannend zu sehen, wie sehr der Amerikaner mit seinem Song im Reinen ist, der eindeutig larger than life geworden ist und ein unkontrollierbares Eigenleben entwickelt hat. So geht ein virtuoses Konzert mit einem Knall zu Ende. Mehr geht nicht.

Declan McKenna

© David James Swanson

Ein Moment der Ruhe und ein Blick in ein Publikum ohne Handyscreens.

Fazit

Man kann sich ein Konzert ohne Smartphone schon fast nicht mehr vorstellen. Aber es ist definitiv ein schönes Gefühl, das wieder einmal zu erleben. Natürlich fällt so auch die Möglichkeit weg, sich während des Auftritts kurze Notizen zu machen. Der klassische Notizblock hilft auch nur bedingt, wenn man nichts sieht. Aus diesem Grund ist dieser Artikel ein reines Gedächtnisprotokoll und kann Abweichungen enthalten. Neben all der speziellen Umstände hat Jack White vor allem bewiesen, dass die Musik durch seinen Venen strömt – ein beeindruckendes Phänomen.

Titelbild: ©David James Swanson