Nada Surf in Zürich: Musik für den Seelenfrieden im Dynamo

In Reviews by indiespect

Nada Surf haben «Never Not Together» im Februar 2020 veröffentlicht. Nur zwei Monate später wollte die Band um Matthew Caws ihr siebtes Album in Zürich auf die Bühne bringen. Es wäre ihr drittes Konzert im Dynamo innerhalb von vier Jahren geworden. Die Pandemie sorgte jedoch für vier Verschiebungen und dafür, dass die neuen Songs erst gestern ihre Premiere in der Schweiz feierten.

Kevin Devine: Fast ein Teil der Band

Matthew Caws und Kevin Devine kennen und schätzen sich schon lange. Die beiden New Yorker haben anlässlich der Devinyl Splits-Reihe von Kevin Devine gegenseitig jeweils einen ihrer Songs gecovert. So kommt an diesem Abend zusammen, was zusammen gehört. Devine wirkt schon beinahe wie ein Teil von Nada Surf, denn er transportiert ein ganz ähnliches Mindset. Wer ihn nicht kennt, sollte sich die zahlreichen Alben auf alle Fälle zu Gemüte führen. Auf der aktuellsten Veröffentlichung Nothing's Real, So Nothing's Wrong ist der Song Albatros der Anspieltipp Nummer eins. In Zürich steht er alleine mit seiner Akustikgitarre auf der Bühne und singt auch immer wieder mit vollem Stimmvolumen abseits des Mikrofons. 

Kevin Devine

Kevin Devine: Mehr Familienmitglied als Support-Act für Nada Surf

Nada Surf: Die Tour nach der Tour

Der 7. April 2018 war ein denkwürdiger Abend. Damals brachten Nada Surf nicht nur das Album Let Go anlässlich dessen 15. Geburtstags auf die Bühne des Zürcher Dynamos, die Amerikaner spielten gleich zwei Sets und bescherten den Fans so drei Stunden pures Glück. Let Go ist auch auf der aktuellen Tour Spitzenreiter der Setlist, dicht gefolgt vom aktuellen Album. Auch bei regulärer Konzertlänge schaffen es Nada Surf stets ein Set zusammenzustellen, das liebevoll kuratiert ist. Ein Mix aus lange verschollenen Tracks, Fan-Lieblingen und neuen Kompositionen sorgt für die harmonische Mischung.

Being attractive is the most important thing there isIf you want to catch the biggest fish in your pondYou have to be as attractive as possibleMake sure to keep your hair spotless and clean
Popular, Nada surf

Ein neuer Trend: Der überraschende Opener

The Killers haben es vorgemacht. Als sie am Openair St. Gallen 2018 ihr Konzert plötzlich mit Mr. Brightside, ihrem wohl bekanntesten Track, eröffneten, gab es im Sittertobel kein Halten mehr. Popular heisst das Pendant von Nada Surf – und damit startet nun ihrerseits die Band aus New York. Klotzen statt kleckern heisst es für einmal bei der sonst so bescheidenen Band. Der Überraschungseffekt funktioniert, wie die Reaktion des Publikums an diesem Konzertabend zeigt.

Nada Surf

Nur die Haare sind länger geworden: Matthew Caws und Nada Surf in Zürich.

So much love – and so much noise

Warum ausgerechnet bei ruhigeren Songs viele Besucher das Gefühl haben, einen guten Moment für lautstarken Small Talk erwischt zu haben, ist unerklärlich. Auch Nada Surf werden Opfer dieses unsäglichen Phänomens. Matthew Caws webt seine Verletzlichkeit in tiefgründige Kompositionen ein, die eine gewisse Aufmerksam erfordern und verdienen. Wenn ihnen diese nicht zuteil wird, können sie nicht in ihrer Gänze genossen werden. Das ist sehr schade, denn auf dem siebten Album sind einige der emotional stärksten Tracks der bisherigen Bandgeschichte vertreten.

I've got some stuff in a box, maybe i'll show you sometime
But the box would think that was unwise
Some days the view from here, it means nothing
I woke up with the fear again this morning
Telescope, Nada Surf

Wie schon bei früheren Konzerten gräbt die Band tief in ihrer Repertoirekiste. Mit Telescope packen sie dabei einen Song von der EP Karmic (1995) aus, die sogar noch vor dem Debütalbum High/Low (1996) erschienen ist. Seit 2008 wurde der Titel nicht mehr live gespielt. Ähnlich verhält es sich mit Bad Best Friend von The Proximity Effect (1998). Das zweite Album von Nada Surf ist nur in Europa erschienen, nachdem es Probleme mit der Pattenfirma gab. Es ist die Versöhnung mit einer Phase, in der es für die Band nicht gerade rund lief. Dass es Nada Surf nach 30 Jahren trotz aller Widrigkeiten im Musik-Business noch immer gibt, spricht für die Charakterstärke jedes einzelnen Mitglieds.

Nada Surf

Liebevoll kuratiert: Die Setlist von Nada Surf.

Matthew Caws: Moralische Instanz ohne Zeigefinger

Seit jeher ging es Nada Surf nie darum, eine besondere Coolness auszustrahlen. Verletzlichkeit und Gefühle hatten immer ihren festen Platz in der DNA. Auf dem neuen Album wird das alles noch einmal konkreter. Der Song Mathilda handelt davon, dass Matthew als Kind in der Schule Mathilda genannt wurde, weil er nicht stark war, nicht besonders männlich wirkte und eine hohe Stimme hatte. Damals wusste er nur, dass ihn das traurig machte, aber die Gefühle in Worte fassen konnte er nicht richtig.

My voice was kinda highNot a typical guyThey used to call me MathildaI was never sure why
Mathilda, Nada Surf

Daraus ist ein berührender Song entstanden. In seiner persönlichen Ansage lobt Caws seinen Vater, der selbst extrem maskulin war, aber seinen Sohn für seine Verletzlichkeit nie verurteilt oder auch nur komisch angeschaut hat. Wenn Männern ein solcher Charakter nicht mehr als Schwäche ausgelegt wird, gäbe es wahrscheinlich mehr bessere Menschen, die nicht ihre Unsicherheiten zu kompensieren versuchen.

Nada Surf

Wurde früher Mathilda genannt: Matthew Caws

Es sind keine Tiger im Raum

Auch über mentale Gesundheit und den Wert von Therapie spricht und singt Caws an diesem Abend. Was ihn von anderen Musikern unterscheidet ist, dass man nie das Gefühl hat, dass er mit dem Zeigefinger oder der Moralkeule wedelt. Vielmehr berichtet er offen von seinen persönlichen Erfahrungen. Looking For You erhält Textzeilen, die direkt von seinem Therapeuten inspiriert sind. Dieser habe ihn gefragt, was seine Mission im Leben sei. Der Vollblutmusiker hatte natürlich das Gefühl sagen zu müssen: Menschen unterhalten. Darauf meinte sein Therapeut: Nein, du musst glücklich sein. Du brauchst erst den Sauerstoff für dich selbst, um ihn an andere weiterzugeben.

A doctor asked me to describeWhat I thought was my missionI tried to think of something deepIt seemed beyond description

Looking for You, Nada surf

In einer Phase von Angstzuständen fragte er Matthew zudem, wie viele Tiger sich denn derzeit mit ihm im Raum befänden. Glücklicherweise konnte die Antwort nur null lauten. Es bestand keine Gefahr, angegriffen und verletzt zu werden. Dieses Bild hilft dem Sänger, wenn er wieder in eine ähnliche Spirale gerät.

Nada Surf

Nada Surf beherrschen auch das ABC des Indie-Rock.

Indie-Hynmen davor, dazwischen und danach

© David James Swanson

Nebst persönlichen Ansagen und neuer Musik lassen Nada Surf keine Wünsche offen. Fan-Service heisst für sie, dass weder Inside of Love, noch Blonde on Blonde, Always Love, See These Bones oder andere Klassiker fehlen.

Everyone's right and no one is sorryThat's the start and the end of this storyFrom the sharks and the jetsTo the call in the morning
See These Bones, Nada Surf

Als letzter Song im Set steht Something I Should Do. Da seit Popular kein Song so viel Text enthalten hat, schielt Caws für die gesprochenen Passagen auf einen Notenständer. Auch abgelesen ist es eine Leistung, diese Menge an Wörter fehlerfrei und in solchem Tempo vorzulesen. Den Abschluss macht ein Zugabenblock mit vier Liedern. Nach dem Liebes-Duo So Much Love und Always Love wird mit Blankest Year eine wilde Party gefeiert, bevor traditionell eine unverstärkte Version von Blizzard of '77 das Konzert beendet.

Nada Surf

Matthew Caws braucht eine Spickzettel für die langen Passagen bei «Something I Should Do».

Fazit

Nada Surf können auf eine treue Fangemeinde zählen. Die Band fühlt sich in den mittelgrossen Clubs sichtlich wohl und füllt diese bei jedem Besuch aufs Neue. Genau da passt die US-Indie-Band auch hin. In grösseren Venues würde die Intimität der Kompositionen etwas verloren gehen. Hoffentlich bleibt uns die Band weitere Jahrzehnte erhalten. Zu wünschen wäre ihnen beim nächsten Besuch ein etwas aufmerksameres Publikum, vor allem in den hinteren Reihen.