Interview mit Keith Murray
von We Are Scientists

In Interviews by indiespect

Note for English readers: There is also an English version of the interview with We Are Scientists available. Just click here to read. I hope you enjoy!

Vor ihrem Auftritt in der NEO Bar in Zürich (zur Konzertkritik) hatte ich die Möglichkeit Keith Murray, den Sänger und Gitarristen von We Are Scientists für ein Gespräch zu treffen. Wir sprachen über die Tour und das neue Album «Helter Seltzer».

Indiespect: Gratulation zu eurem neuen Album «Helter Seltzer». Ihr scheint richtig stolz darauf zu sein. Vielleicht sogar noch mehr, als ihr es bei eurem letzten Album wart. Oder täuscht das?

Murray: Vielen Dank! Ich denke schon. Aber es ist schwierig wirklich objektiv zu sein. Ich gebe zu, dass ich das neuste Album immer besser finde, als das letzte. Als wir damals «TV En Français» gemacht haben, dachte ich auch, dass es mit Abstand unser bestes Album war. Und dieses jetzt mag ich mehr als «TV En Français». Aber ich denke das ist vor allem so, weil es so anders ist als «TV En Français». Ja, ich denke es ist ein interessantes Album für uns und deshalb bin ich so begeistert davon.

I: Das Musikvideo zum Song «Classic Love» hast du selber animiert. Wo hast du das gelernt?

M: Ich habe es mir selber beigebracht. 2002 oder 2003 habe ich mir ein Programm namens «Flash» von der Firma «Macromedia» gekauft. Eigentlich ist es eine Webdesign-Software, mit der du Animationen für deine Webseite erstellen kannst. Wenn du auf einen Button drückst wird er grösser oder wenn du über etwas fährst verändert es sich, damit du weisst, dass es ein Link ist. Das ist normalerweise die Art wie es benutzt wird. Ich habe es für die Animationen verwendet und es ist ziemlich schwierig zu bedienen. Ich habe es nach dem Jahr als ich es gekauft habe, nie mehr angerührt. Jetzt gehört es Adobe und heisst «Animate». Es ist aber exakt dasselbe Programm wie damals. Ich habe es als während des Erstellungs-Prozesses vom «Classic Love»-Video gelernt. Als ich damit begann, hatte ich überhaupt keine Ahnung was ich machte.

I: Aber die Geschichte des Videos hattest du schon im Kopf? Es ist ja ziemlich abgespacet rausgekommen.

M: Anfangs sollte es eigentlich nur die Szene mit dem Auto sein, denn so viele verschiedenen Sachen zu Zeichnen wäre ein Alptraum gewesen. Aber zum Schluss wurde es nervig und ich dachte… Oh, was wäre, wenn wir ins Weltall gingen? Was wenn wir auf eine Bühne gingen? Aber auf jeden Fall hat es viel zu viel Zeit in Anspruch genommen, um dieses Video zu machen. (lacht)

I: Keith Carne ist seit bald drei Jahren euer Tour-Schlagzeuger. Ich frage mich, ob es einen Grund gibt, weshalb er noch kein festes Mitglied von We Are Scientists ist?

M: Ich denke ein grosser Aspekt ist für uns, dass es wirklich verwirrend ist ständig das Auftreten von We Are Scientists zu ändern. Ich denke da zum Beispiel an MGMT. Die haben auch einfach als die zwei Typen begonnen. Sie hatten eine richtige und grossartige Band, die definitiv dazugehörte. Aber nach dem ersten Album haben sie sich einfach für das Erscheinungsbild als die zwei Hauptpersonen in Szene gesetzt. Als Andy (Burrows) mit uns Alben aufnahm, haben wir ihn aktiv als Teil der Band präsentiert, aber dann konnte er nicht auf Tour mitkommen. Immer wieder kamen Leute zu uns und fragten: «Wieso ist Andy nicht hier?». Das wurde mit der Zeit einfach ziemlich anstrengend. Wir wissen einfach, dass Keith (Murray – er selber) und Chris immer da sein werden. Wir geben auch alle Interviews, weil wir den historischen Hintergrund der Band kennen. Wir sehen ihn definitiv als Bandmitglied an aber als Geschäft oder Unternehmen sind es nur Chris und ich. Auch bei den anfänglichen Schreibprozessen für ein Album sind nur wir zwei dabei. Obwohl er alle Schlagzeug-Parts von «Helter Seltzer» aufgenommen und mit uns daran gearbeitet hat.

I: Eigentlich hättet ihr vor Kurzem am Rock am Ring auftreten sollen, doch euer Konzert sowie später das ganze Festival wurden wegen der Gefahr des schlechten Wetters abgesagt. Später sagte der Organisator öffentlich, dass es ein Fehler gewesen sei, das ganze Festival abzubrechen. Was ist deine Meinung dazu?

M: Zurückblickend ist es immer einfach das zu sagen. Natürlich wollten wir wirklich gerne spielen. Sie sagten uns, dass vor 20 Uhr niemand spielen dürfe. Ich weiss, dass die Foals ihren Auftritt gleichzeitig wie wir auf einer anderen Bühne hatten. Als ich gegangen bin habe ich sie gesehen. Ich glaube sie durften ein halbstündiges Konzert spielen

I: Das war also am Samstag? Am Sonntag wurde das Festival ja komplett abgebrochen.

M: Ja, das war am Samstag. Ich war richtig neidisch auf sie, aber ich glaube für sie war es irgendwie auch verwirrend zu spielen. Niemand wusste wirklich, wann welche Band auftreten würde. Ich weiss nicht wie ihr Konzert gelaufen ist und ob die Leute überhaupt wussten, dass sie zu dieser Zeit spielten. Ich sagte also: «Ich wünschte wir hätten spielen können» und sie meinten: «Naja. Wir denken die ganze Sache ist etwas gefährdet.» Ich weiss also wirklich nicht. Aber auf jeden Fall ist es im Nachhinein einfach zu sagen, sie hätten das Ganze weiterlaufen lassen sollen, weil es an diesem Tag keinen Blitzeinschlag gab. Aber ich denke, wenn am Tag zuvor 40 Menschen oder noch mehr verletzt wurden, will niemand mit der Sicherheit der Leute spielen. Wir hätten zwar in einem Zelt gespielt, da wäre also alles sicher gewesen.

I: Hattet ihr schon einmal eine ähnliche Wetter-Situation, während ihr ein Konzert gespielt habt?

M: Wir spielten auch an einem Deutschen Festival. Ich glaube es hiess Hurricane Festival. Es schüttete, schüttete und schüttete. Etwas geblitzt hat es auch. Wir waren etwas nervös, aber sie sagten uns: «Macht euch deswegen keine Sorgen». Ich weiss noch, dass ich damals runter zum Publikum gesprungen bin. Ich hatte mein Mikrofon in der Hand uns stand plötzlich knöcheltief im Wasser. Dann dachte ich, dass es vielleicht nicht die beste Idee war, mit einem elektronischen Gerät, welches an einem riesigen Stromnetz hängt, im Wasser zu stehen. Also habe ich mein Mikrofon ausgesteckt und stattdessen einfach geschrien.

I: Letzten Monat habt ihr zwei Jubiläumskonzerte für euer vor 10 Jahren in den USA erschienenes Debüt-Album «With Love And Squalor» gespielt. In Europa wurde es bereits ein Jahr zuvor veröffentlicht. Heisst das, wir werden keine Gelegenheit haben, so etwas auch bei uns zu sehen?

M: Wir wollen keine Tour daraus machen. Eigentlich machten wir es vor allem, weil es einfach war. Ich mag das Album wirklich, aber für uns ist es nur eines von fünf. Wir haben die Shows in New York gemacht, weil Michael (Tapper), unser erster Schlagzeuger dort ist. Wir konnten es also ziemlich einfach in unser Set einbauen. Erst spielten wir das komplette Album, welches nur ungefähr 30 Minuten dauert und danach ein normales Konzert.

I: Was war damals der Grund, weshalb es in Europa früher veröffentlicht wurde? War das nur aus Label-Gründen?

M: Wir waren in den USA bei EMI unter Vertrag aber es lief für uns zu den Anfangszeiten viel besser in den UK. Deshalb verbrachten wir extrem viel Zeit dort, um diesen Moment zu nutzen. In den USA haben wir das zu dieser Zeit gar nicht gemacht. Deshalb hat uns unser US-Label gesagt, wir sollen erst mal dort unser Album veröffentlichen und zurückkommen, wenn wir damit fertig seien.

I: Ihr seid auch keine typische US-Band, weil ihr so viel Zeit in Europa verbringt. Es gibt sicher auch Leute, die denken, ihr kommt aus England.

M: Sicherlich haben sogar viele Amerikaner, die unsere erste Platte kauften, gedacht wir wären Engländer.

I: Beim neuen Album war es auch wieder so, dass die physische Veröffentlichung nicht überall zur selben Zeit stattfand. Was war der Grund dafür?

M: Deswegen bin ich immer noch etwas verwirrt. Ich denke, im Grunde waren es dieselben Gründe. Unser Label befindet sich in England und der Promotionsprozess fürs Album in diesem Markt braucht viel Aufmerksamkeit. Sie wollten wahrscheinlich noch etwas Zeit gewinnen, damit wir dort direkt mit einem neuen Album auf Tour gehen können und es so promoten können. Wir wollten das Album nicht in Europa veröffentlichen und sagen: «Keine Sorge. In ein paar Monaten kommen wir mal bei euch vorbei.» In unserer Zeit ist es schwierig zu sagen, ob das überhaupt eine grosse Rolle spielt. Wenn man Promo in mehreren Sprachen machen muss, wird es schwieriger. Aber wenn ein Pressetext in Englisch verfasst wird, kann jeder der Englisch versteht, diesen auch lesen. Es ist ja nicht so, dass wir nur für eine spezifisches britische Zeitschrift einen Text schreiben, der nur dort verfügbar ist. Vielleicht ist das mit den unterschiedlichen Veröffentlichungs-Daten also etwas altmodisch. Aber wir wollen, dass unser Label glücklich ist, deshalb machen wir, was sie für das Beste halten.

I: Habt ihr heute auch Vinyl dabei?

M: Oh nein, es tut mir so leid. Gestern in Mailand haben wir die letzten Platten verkauft. Wir hätten wirklich mehr mitbringen sollen. Wir hatten etwa 200 Vinyl-Platten dabei. Aber dass sie bereits nach fünf oder sechs Konzerten ausverkauft sind, ist nicht schlecht. Wenn du kleinere Konzerte spielst, machst du oft dieselbe Rechnung, wie bei einem grösseren Konzert. Man rechnet sich aus, wieviel kleiner der Auftritt ist und wieviele Platten und CDs man also braucht. Aber man vergisst, dass bei solchen kleinen Shows wahrscheinlich nur ziemlich grosse Fans kommen, die auch etwas kaufen möchten. Heute sind es ungefähr 150 Besucher und die meisten davon möchten wahrscheinlich etwas kaufen.

I: Welches ist denn das grösste Konzert der kleinen Europa-Tour?

M: Wir spielen an einigen Festivals. In zwei Tagen spielen wir in Valencia, dort sind es ungefähr 15’000. Das grösste der regulären Konzerte hat vielleicht 300 Zuschauer.

I: Im neuen Musik-Video zu «Buckle» wirfst du ziemlich vie Esswaren in Chris‘ Gesicht. Wie habt ihr entschieden, wer hinhalten muss?

M: Wir haben es erst am Morgen des Videodrehs abgemacht. Eigentlich sollten beide mit Esswaren beworfen werden. Aber wir dachten uns, es mache für die Geschichte mehr Sinn, wenn nur einer von uns dem anderen Sachen anwirft. Wieso, wurde aber nie erklärt. Ich war auf jeden Fall ziemlich erleichtert, dass er es machte.

I: Wie kommt ihr immer auf solche Ideen für die Videos?

M: Das sind keine wirklich rationellen Entscheidungen. Keith Carne – unser Schlagzeuger – ist ein Fan der Jazz-Musik und ist auch ein ausgebildeter Jazz-Drummer. Als wir heute nach Zürich gefahren sind, haben wir uns versucht an eine Unterhaltung zu erinnern, die Chris und ich auf der Bühne in Amsterdam hatten. Unser Tour-Manager versuchte sich an einen unserer Witze zu erinnern, aber keiner von uns konnte sich erinnern. Wir schreiben ja vorher nichts auf und wir waren auch ziemlich betrunken.

I: Während der Show?

M: Ja… Nein, ich meine nicht betrunken. Ich meine, ähm… Auf jeden Fall schweifen unsere Unterhaltungen immer weiter ab und führen irgendwo hin. Keith Carne sagte, dass unsere Unterhaltungen wie Jazz für ihn sind. So beginnen viele unserer Ideen. Wir haben eine Grundidee für irgendwas und am Ende kommet etwas völlig unsinniges dabei raus, das uns total gefällt.

I: Das ist jetzt vielleicht eine etwas lächerliche Frage. Welcher Song ist deiner Meinung nach der beste, den du jemals geschrieben hast?

M: «Rules Don’t Stop Me» ist auf jeden Fall mein Favorit, vom Album, auf dem er veröffentlicht wurde. Ich mag auch «Foreign Kicks» vom selben Album. Ich bin ein ziemlich grosser Fan von «Buckle». Ich weiss nicht, ob es unser bester Song ist, aber ich mag ihn wirklich. «Make It Easy» von unserem letzten Album gefällt mir auch sehr. Auch einer meiner Lieblinge.

I: Merkst du ob die Leute ein Lied lieben werden, wenn du es geschrieben hast?

M: Nicht wirklich. Andy Burrows, der bei «Make It Easy» Schlagzeug gespielt hat, liebte den Song seit Tag eins. Das war das erste Mal als ich so früh spürte: «Mann! Ich glaube, das ist wirklich ein richtig guter Song». Weil er davon immer so begeistert war, machten wir eine Demo-Version mit dem Produzenten unserer ersten drei Alben. Ariel (Rechtshaid) ist mittlerweile immer sehr beschäftigt, weil er Sachen wie Justin Bieber macht. Aber er macht auch coole Platten wie das letzte Vampire-Weekend-Album, welches wirklich grossartig ist. Oder auch das Album von Haim. Er hatte gerade einen freien Tag, also nahmen wir im Studio von Vampire Weekend in Brooklyn die Demo auf. Andy hat sich danach mindestens zehnmal am Tag diesen Demo-Track angehört – und das für die nächsten vier Monate. (lacht)

I: Letztes Jahr habt ihr wieder einmal ein Konzert mit Andy Burrows in London gespielt, stimmt das?

M: Wir versuchen jedes Mal wenn wir am selben Ort sind, mit ihm zu spielen. Er wird zur selben Zeit in New York sein, wenn wir bei der «Late Show with Steven Colbert» auftreten. Er ist dann mit einem Typen namens Tom Odell auf Tour. Der trifft zwar nicht genau meinen Geschmack, aber «Another Love» ist ein richtig guter Song. Das neue Album habe ich bisher noch nicht gehört, aber ich weiss, dass Andy einige Titel darauf geschrieben hat.

I: Also ist er dort jetzt mehr als ein Tour-Mitglied

M: Ja. Ich glaube die beiden haben sich zum ersten Mal getroffen, weil Andy einen Titel für sein letztes Album geschrieben hat und sie haben sich sofort super verstanden. Also hat Tom gefragt: «Willst du bitte mitkommen und Schlagzeug spielen?». Deshalb ist er dann also mit Tom Odell in New York, wenn wir bei dieser Fernsehsendung spielen. Danach geben wir ein Konzert an einer Afterparty. Ich hoffe, dass Andy Zeit hat um dort etwas mit uns zu performen.

I: We Are Scientists ist eine New Yorker Band. Aber du bist nicht dort aufgewachsen, oder?

M: Ich komme ursprünglich aus Miami, aber ich möchte nicht wirklich dorthin zurück. Es ist so weit entfernt von allem anderen. Man braucht nur schon etwa acht Stunden, bis man von Florida in Miami ist. Also geht dort kaum eine Band hin. Wir haben glaube ich zweimal dort gespielt. Das ist traurig… für Miami! Es gab praktisch niemand der dort auftrat, als ich jung war. Die einzig grosse Band war Bon Jovi. Niemand sonst konnte es sich leisten dort runter zu gehen. Ich besuchte also nur Konzerte von lokalen Bands – die im Nachhinein betrachtet richtig schlecht waren. Die einzige Band die von dort in die Welt rausging, war Marilyn Manson. Sie waren meine Lieblingsband, weil sie aus meiner Heimat kamen. Ich sah sie etwa einmal im Monat in Konzertlokalen in der Grösse dieser Bar. Sie waren einfach die bekannteste Band in Miami.