Sonnenbrand und Schiessplatz: Das erste Schweizer-Konzert von PRAG in der Galvanik in Zug

In Interviews, Reviews by indiespect

PRAG – das sind Erik Lautenschläger, Tom Krimi und Nora Tschirner. Seit dem ersten öffentlichen Auftritt in München (siehe Bericht) sind mittlerweile zweieinhalb Jahre ins Land gezogen – und endlich hat es die Schweiz auch einmal auf den Tourplan geschafft. Mit Tübingen und Rottweil hat es die Formation  zwar schon nahe an die Grenze geschafft, aber nie darüber hinaus.

Am 16. Januar erschien mit «Kein Abschied» das zweite Werk von PRAG. Den dazugehörigen Album-Tipp könnt ihr hier noch einmal nachlesen. Nach einer Tour quer durch Deutschland mit einem Abstecher nach Wien, machte das Ensemble am 28. März Halt in der Schweiz – genauer gesagt in der Galvanik in Zug. Der Begriff Ensemble ist in diesem Fall nicht einmal übertrieben, denn PRAG sind auf der Bühne jeweils zehn Musiker. Der immense Aufwand, der dadurch entsteht, wird auf sich genommen, damit der Klang des Studioalbums auch live auf das Publikum wirken kann, ohne dass das Orchester aus der Konserve eingespielt werden muss.

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Einen perfekteren Tag hätte sich die aus München angereiste Truppe nicht aussuchen können. Bei strahlendem Sonnenschein zeigte sich Zug von seiner besten Seite. Obwohl der erste Eindruck ein spezielles Bild auf die Schweiz geworfen hat. Als die von der Tour noch etwas müden Musiker aus ihren Tourbussen traten, wurden sie sogleich von Schüssen auf dem nahe gelegenen Schiessplatz aufgeschreckt. Ein lauter Willkommensgruss. Danach ging es zur Entspannung erst einmal an den Zugersee, wo sich ein Grossteil der Band den ersten schönen Sonnenbrand am Kopf eingefangen hat, während Nora sich eher dezent im Schatten aufhielt und mit Eiscreme zufrieden gab.

Dementsprechend etwas träge betraten die Musiker an diesem Abend die Bühne in der Zuger Galvanik. Es solle eher ein entspanntes und ruhiges Konzert werden, wurde zu Beginn noch verkündet. Doch die anfängliche Müdigkeit wurde mit einsetzen der ersten Klängen, scheinbar bei allen auf der Bühne befindlichen Personen weggewischt. Spätestens beim zweiten Lied «Laut und Klar», konnte Sänger Erik seine Tanzlust nicht mehr im Zaum halten. Nora Tschirner wurde vor allem durch den immensen Einsatz der Nebelmaschine aufgeweckt. Zeitweise wurde der Raum so stark eingenebelt, dass das Publikum die Band nicht mehr sehen konnte und umgekehrt. Als die Zuschauer nach verziehen der Nebelschwaden nicht gleich mit verschwunden waren, zeigte sich Nora sichtlich erleichtert. Sogar einen eigenen Geschmack hatte dieser spezielle Konzertabend. Der Nebel duftete nämlich nach türkischem Apfel.

PRAG und der Nebel. Die perfekte Symbiose in der der Galvanik in Zug

PRAG und der Nebel. Die perfekte Symbiose in der der Galvanik in Zug

Die Setlist umfasste das komplette neue Album, inklusive der nicht auf dem offiziellen Album erschienenen Tracks «Laut und Klar» und «Morgentau». Letzerer wurde nach dem Konzert sogar verschenkt, wenn man sich im Gegenzug die Mailingliste eintrug. Die Chemie zwischen PRAG und dem Schweizer Publikum stimmte von Anfang an, was die ohne grosse Erwartungen angereisten Musiker sichtlich auflockerte. Die wunderschöne Musik von PRAG wirkte mit dem Aufgebot an Streichern und Bläsern auch an diesem Abend einfach unglaublich gut. Zweimal wurde das vermeintlich letzte Lied mit einem Augenzwinkern angekündigt. Die Zugaben bestanden unter anderem aus drei Songs vom Erstling «Premiere». Die Setlist an diesem Abend umfasste stolze 21 Titel. Die genauen Titel könnt ihr euch hier noch einmal anschauen.

Ich hatte im Rahmen des ersten Schweizer Konzertes die Möglichkeit, der Band einige Fragen zu stellen. Vielen Dank an PRAG für die ausführlichen und interessanten Antworten.

Indiespect:  Das Konzert in der Galvanik in Zug ist bisher euer einziges Schweizer Konzert überhaupt. Woran liegt das und wie kam das mit Zug zustande?

PRAG: Das ist eine gute Frage. Das wissen wir, ehrlich gesagt auch nicht. Irgendwann stand Zug (CH) bei uns im Tourplan und wir haben uns gefreut, dass es mal in die berge ging.

I: Sind schon weitere Konzerte in der Schweiz geplant oder was müsste geschehen, damit ihr wiederkommt?

PRAG: Da müsste gar nicht so viel passieren, denn es war sehr sehr nett in Zug. Wenn es also nach uns ginge, könnten wir auch eine kleine Schweiz-Rundreise machen — mit viel Käse, Schokloade und Sonnenbrand.

I: Wie inspiriert ihr euch zu euren Songs? Welche Musik hört ihr dazu? Alte deutsche Schlager, Klassiker der Filmmusik oder ähnliches? Und schreibst du alles alleine oder bringen alle in der Band ihren Input?

PRAG: Da die Lieder immer zwischen Tom und Erik entstehen ist das mit den Inspirationen gar nicht so einfach. Wir haben schließlich einen komplett anderen Background (schon die Herkunft: Bremen/BRD und Ostberlin).
Wir hatten uns am Anfang von PRAG einen gewissen Kosmos abgesteckt, der doch sehr der Filmmusik der 60er Jahre verhaftet war, momentan brechen wir den auf und es kommen zeitgenössischere Einflüsse hinzu. Das Gute ist: unser Geschmack ist so so ähnlich, daß wir nie lange diskutieren müssen.

Sänger Erik Lautenschläger ist nebst dem Gesang auch für das gesamte Artwork der Band verantwortlich.

Sänger Erik Lautenschläger ist nebst dem Gesang auch für das gesamte Artwork der Band verantwortlich.

I: Ihr habt es geschafft, dass sich Nora bei euch eingefügt hat und nicht durch ihre Medienpräsenz überstrahlt. Hattet ihr am Anfang Bedenken diesbezüglich oder war der automatische Gewinn an Aufmerksamkeit für eure Band ein Segen für euch?

PRAG: Beides, wir hatten grosse Bedenken und es war ein Segen für uns.

I: Erik und Tom, ihr habt ja jeweils auch andere Projekte wie Erik & Me oder Stereo de Luxe. Sind diese jetzt erst einmal auf Eis gelegt oder arbeitet ihr auch dort weiter?

PRAG: PRAG nimmt viel Platz in unserem Leben ein (wir machen ja Label, Artwork, Videos in Eigenregie), doch trotzdem arbeiten wir auch weiterhin an genau eben diesen Projekten, lustigerweise auch dort öfter zusammen.

I: Ihr habt einen sehr cineastischen Klang. Habt ihr euch schon einmal überlegt tatsächlich zu einem Film die Musik beizusteuern oder hattet ihr gar schon Angebote dazu?

PRAG: Tom ist ja passionierter Filmmusiker, insofern: für ihn nichts neues. Aber so einen richtigen Score im PRAG-Gewand für einen großen Kinofilm, das hätte schon was. Wenn nicht, müssen wir halt weiterhin so filmische Videos zu unseren Songs machen — oder zählt das nicht?

I: Wie sucht ihr euch die Orchester für die Aufnahme einer neue Platte aus? Geht ihr aktiv auf die Orchester zu oder kommen bei euch mittlerweile schon Bewerbungen rein?

PRAG: Bei der ersten Platte (PREMIERE) waren wir total unbedarft und unsicher. Es gab dann ein paar Angebote und wir haben uns instinktiv für das Prager Filmorchester entschieden (wahrscheinlich weil wir so sehr auf die tschechischen Kinderfilme und die dazugehörige Musik stehen).
Bei der aktuellen Platte haben wir schon viel spezieller geguckt, da wir für „Kein Abschied“ die Sektionen (Streicher, Holz, Blech) einzeln aufnehmen wollten und auch eine viel genauere Vorstellung von „unserem“ Orchesterklang hatten.
Die Sinfonietta Cracovia (ein junges, polnisches Orchester) wurde uns dann von unserem Mitproduzenten Guy Sternberg empfohlen. Und es war wirklich ein Volltreffer. Live haben wir auch schon mit dem Babelsberger Filmorchester und den Bochumer Symphonikern zusammengespielt.

I: Ihr seid für eine Band extrem viele Musiker auf der Bühne und spielt bewusst in kleineren Locations. In finanzieller Hinsicht bleibt für den einzelnen wahrscheinlich nicht mehr so viel übrig, als wenn ihr nur zu dritt wärt. Habt ihr noch andere Projekte für den Lebensunterhalt oder reicht das aus?

PRAG: So ein großes Unternehmen ist tatsächlich immer ein Mischkalkulation, aber wir wollen dem Publikum unbedingt das bieten, was es auf Platte hört. Und nach den Konzerten merkt man, wie besonders diese Vielzahl an Instrumenten, Linien und musikalischen Ideen auf das Publikum wirkt. Das ist es uns wert. Zwischen den PRAG-Zeiten gibt es dann aber auch andere „Gelderwerbs-Projekte“.

PRAG und die Schweiz. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

PRAG und die Schweiz. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

I: Erik, du hast Nora musikalisch ja schon früh mit Mixtapes inspiriert. Weisst du noch, was da alles so drauf war? Ich glaube Eels kennt sie ja von dir…

PRAG: Es waren die 90er… Also ich erinnere mich an Tindersticks, dEUS, Eels und könnte mir noch so Dinge aus dem Radiohead-Umfeld vorstellen …

I: Wann kommt bei euern Songs eigentlich das Orchester dazu? Spielt ihr das Arrangement schon mit dem Computer ein oder entsteht das Lied in der Orchesterfassung erst ganz zum Schluss?

PRAG: Das würde gar nicht funktionieren. Die ersten Layouts macht Tom klanglich so absurd fertig, dass manch einer gar denkt, es wäre schon das echte Orchester. Bestimmte Nuancen kann aber der Computer nicht generieren. Insofern ist das echte Orchester dann nochmal eine Überraschung. Gerade das Flirren am Anfang von „Nur die Seele“ oder die Streichermelodie in „Was fällt dir eigentlich ein“ klingt aus der Dose einfach nicht gut und ließ uns in Krakau jubeln.

I: Mir ist aufgefallen, dass bei euren Konzerten immer Foto- und Tonaufzeichnungsverbote herrschen. Möchtet ihr damit einfach erreichen, dass nicht die ganze Zeit Displays in der Luft sind oder hat das einen anderen Grund?

PRAG: Ja, erstens das. Wir (wie auch viele andere Musiker) haben die Erfahrung gemacht, dass das Unmittelbare des Live-Konzerts nicht mehr zustande kommt, wenn die Zuhörer nur noch daran denken, einen guten Mitschnitt oder ein originäres Foto vom Abend zu erhaschen, also wenn das Abbild des Abends wichtiger wird als der Abend selber.
Und zweitens ist es einfach auch für den Musiker sehr anstrengend nicht mehr in Gesichter sondern nur noch in Objektive zu singen und ständig daran zu denken, daß jeder Moment für die Ewigkeit festgehalten wird.

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Auch nach vielen besuchten Live-Konzerten, gibt es immer wieder solche, die sich vom Rest abheben. PRAG hat dem Publikum an diesem Abend ohne Zweifel eines dieser Erlebnisse verschafft. Die spezielle Location hat den perfekten Rahmen dafür geboten. Ich möchte mich an dieser Stelle auch herzlich bei Rolf Fassbind (rabbitriot.net) für die wunderbaren Fotos bedanken. Ganz im Sinne von PRAG hoffe ich, dass der Ausflug in die Schweiz für die Band «Kein Abschied», sondern erst der Auftakt war.