Interview mit Andrea Bignasca: Wenn es in der Schweiz nicht klappt, dann klappt es nirgends

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Andrea Bignasca ist aktuell auf Clubtour und präsentiert sein drittes Album «Keep Me From Drowning». Zu diesem Anlass war er am Freitag auch für ein Konzert in der Kammgarn in Schaffhausen zu Gast. Im Gespräch erzählt er vom Leben als Berufsmusiker, seinen Inspirationen und seinem Anspruch an die Musik sowie von seinen Wurzeln in der Munotstadt.

Royal Blood sind:

Mike Kerr (Gesang, Bass)
Ben Thatcher (Schlagzeug)

Andrea Bignasca

Andrea Bignasca präsentierte am Freitag sein neues Album «Keep Me From Drowning» in der Kammagarn Schaffhausen.

Indiespect: Im März hast du dein drittes Album «Keep Me From Drowning» veröffentlicht. Für den Song «Nothing On You» hast du zum ersten Mal einen Schlagzeug-Part selbst aufgenommen, nachdem du mit 17 Jahren zuletzt Drums gespielt hast.

Andrea Bignasca: Ich war ursprünglich Schlagzeuger und hatte als Kind zehn Jahre Unterricht.

Indiespect: Aber du hast nicht durchgehend gespielt?

Bignasca: Seit ich mit 16 oder 17 Jahren mit E-Gitarre angefangen habe, bin ich beinahe nie mehr am Schlagzeug gesessen. Für dieses Album habe ich die Vorproduktion gemacht und deswegen für die Demos der Songs selbst Schlagzeug gespielt. Wir hatten ziemlich viele Singles vor dem Release und die zweite war dieser Song. Weil ich es konnte und vor Ort war, habe ich es selbst aufgenommen.

Indiespect: Hast du damals zur Gitarre gewechselt, weil du auch Sänger sein wolltest?

Bignasca: Ich wollte eine Band gründen und mein Kollege war ebenfalls Schlagzeuger. Darum habe ich gesagt, dass ich auch singen könnte und mal schaue, ob ich mir Gitarre beibringen kann. Das hat dann auch geklappt (lacht).

Ich schreibe einen Song mit akustischer Gitarre und Stimme
und ergänze das mit allem, was dem Song etwas geben kann.

Andrea Bignasca

Indiespect: Wenn du nach den Einflüssen gefragt wirst, nennst du oft dieselben Namen: Bruce Springsteen und Tom Petty. Was ich aber noch nie gehört oder gelesen habe ist, ob es auch etwas Neues gibt, das dich inspiriert oder berührt.

Bignasca: Das gibt es, aber die beiden sind einfach ganz oben. In letzter Zeit höre ich sehr oft The War On Drugs. Ich finde aber auch Wolf Alice geil – und The Kills oder Sam Fender.

Indiespect: Das sind ja richtige Indie-Acts, wohingegen Springsteen und Petty eher Klassiker sind. Heisst das, dass du deinen Stil auch in diese Richtung verändern möchtest?

Bignasca: Das klingt für mich, als würde ich vor einem Album an einem Tisch sitzen und überlegen, was ich alles machen möchte. Das kommt aber alles natürlich. Ich verstehe jedoch, wie jemand das denken könnte. Auf dem aktuellen Album gibt es beispielsweise mit Most Times zum ersten Mal einen Song mit Drum-Machine. Eigentlich ist das aber nicht so. Ich schreibe einen Song mit akustischer Gitarre und Stimme und ergänze das mit allem, was dem Song etwas geben kann.

Indiespect: Könnte es also sein, dass der erste Entwurf völlig anders klingt, als die Studioversion?

Bignasca: Beim Schreiben mit Gitarre und Stimme höre ich schon alles. Bis jetzt war das auf jeden Fall so. Ich wusste, dass es wahrscheinlich ein weniger «hässiges» Album wird, verglichen mit Murder.

Andrea Bignasca

Bei Andrea Bignasca beginnt alles mit Gitarre und Stimme.

Indiespect: Geschrieben hast du dein aktuelles glaube ich vor Corona?

Bignasca: Ja, die Musik schon. Die Lyrics sind mitten in der Corona-Zeit entstanden. Wenn ich von einem «hässigen» Album spreche, meine ich das eher im musikalischen Sinn. Ob es intensiv und dominant männlich ist, oder nicht. Auch bei Murder gab es ganz sanfte Lieder, aber grundsätzlich war da alles etwas rauer.

Indiespect: Nach langer Zwangs-Live-Pause hast du in diesem Jahr an verschiedenen Veranstaltungen wie den Zermatt Unplugged Summer Weekends oder an den Musikfestwochen in Winterthur gespielt. Hast du auf der Bühne beim Publikum eine Veränderung wahrgenommen nach all dieser Zeit?

Bignasca: Es kommt immer darauf an wo du bist, in welcher Stadt und in welchem Set-Up. Am meisten hängt es von mir ab. Aber ja, ich hatte immer das Gefühl, viel zu bekommen. Wenn ich ein direktes Feedback habe, liebe ich das einfach. So kannst du auf einer anderen Ebene wirken, sei das auf einer grösseren Openair-Bühne oder in einem kleineren Rahmen. Das Zermatt Unplugged war im Hinblick darauf speziell, dass es akustisch war und mein erster Solo-Gig ohne Pauke. Überhaupt war es akustisch der erste Gig mit den neuen Songs. Zusätzlich hatten wir auch noch das neue Duo-Set-Up mit Chrigel, dem Schlagzeuger. Er singt Backing-Vocals, spielt Schlagzeug und Bass mit dem Fuss.

Indiespect: Dazu muss man wissen, dass du beim Zermatt Unplugged mehrere Sets gespielt hast.

Bignasca: Genau. Das erste Set war solo, dann kam Chrigel und wir haben Set zwei und drei im Duo gespielt.

Chrigel Bosshard

Chrigel Bosshard unterstützt Andrea Bignasca nicht nur bei Auftriten mit der kompletten Band, sondern auch im Duo.

© Stefan Tschumi

Indiespect: Du hast auf Social Media geschrieben, dass heute deine Schwester ihren 30. Geburtstag feierst und ein grosser Teil deiner Familie am Konzert sein wird…

Bignasca: Ja, genau. Mein Mami kam aus Schaffhausen. Meine Tante ist von hier, mein Nonno, mein Onkel und die Cousinen. Meine Mutter war ein Zwilling von meiner Tante, die noch hier wohnt. Deswegen hatten sie eine sehr enge Verbindung und wir waren immer am Rhein. Im Sommer waren wir jedes Jahr für einen Monat hier.

Es macht manchmal schon nervös. Mittlerweile schätze ich es aber einfach, dass sie immer dabei sind. Das ist schliesslich nicht selbstverständlich, dass die Familie so hinter mir steht.

Andrea Bignasca über Familienmitglieder im Publikum

Indiespect: Manche wären viel aufgeregter, wenn die ganze Familie vor der Bühne steht. Was macht das mit deiner Nervosität? Siehst du das locker?

Bignasca: Es macht manchmal schon nervös. Mittlerweile schätze ich es aber einfach, dass sie immer dabei sind. Das ist schliesslich nicht selbstverständlich, dass die Familie so hinter mir steht. Das tut gut.

Indiespect: Dann werden voraussichtlich alle, die noch in der Gegend wohnen, am Konzert dabei sein?

Bignasca: Ja, abgesehen vom Grossvater wahrscheinlich. Er ist mittlerweile 95. Aber er ist auch schon oft gekommen.

Indiespect: Sehr beeindruckend ist die Tatsache, dass du dich bereits 2015 entschieden hast, nur noch auf die Musik zu setzen. Bereits mit Veröffentlichung deines Debütalbums «Gone» hast du ein Leben als Berufsmusiker gewagt? Welche Einschränkungen musstest du dafür in Kauf nehmen?

Bignasca: Am Anfang war es wirklich beängstigend. Für eine lange Zeit habe ich immer gesagt, dass ich Student sei, weil das einfacher ist und von der Gesellschaft eher akzeptiert wird. Es klingt irgendwie auch blöd zu sagen: Ich bin Musiker. Damals dachte ich das auf jeden Fall. Ich hatte noch keine Karriere und nichts. Dann klingt es mehr wie eine Träumerei, wenn du sagst, dass du von deiner Musik leben möchtest. Aber… auf was ich verzichten musste? Ich habe Literaturwissenschaften an der Uni studiert und ich denke, dass ich auch nicht im Luxus gelebt hätte, wenn ich danach in diese Richtung weitergearbeitet hätte. Und jetzt sowieso nicht (lacht).

Für eine lange Zeit habe ich immer gesagt, dass ich Student sei, weil das einfacher ist und von der Gesellschaft eher akzeptiert wird.

Andrea Bignasca
Andrea Bignasca

Andrea Bignasca mit Band in der Kammgarn Schaffhausen.

Indiespect: Du hast mal gesagt, dass du dich nicht wirklich mit Schweizer Acts auseinandersetzt und nur die bekanntesten Bands kennst. Hat sich das mittlerweile geändert? Oder liegt das daran, dass es hier viele Musiker und Band gibt, die das nicht hauptberuflich machen?

Bignasca: Ich glaube, mittlerweile gibt es immer mehr, die das hauptberuflich machen. Ich weiss nicht, wann ich das gesagt habe, aber mittlerweile sehe ich mich schon um. Und ich meine, wenn es in der Schweiz nicht klappt, dann klappt es nirgends. Hier hast du Unterstützungen und Stiftungen. Man muss einfach Mut haben. Ich muss auch sagen, dass ich keine Band bin, sondern ein Solokünstler. Das macht es wahrscheinlich auch einfacher. Ich habe zwar eine Band, die ich aber bezahle. Es wird nicht einfach durch vier geteilt. Zudem kann ich auch solo auftreten. So ist es auch einfacher, davon zu leben.

Ich wusste sofort, dass ich mir in der Deutschschweiz einen Namen machen muss,
wenn ich davon leben möchte.

Andrea Bignasca

Indiespect: Aktuell bist du auf Clubtour mit deinem Album. Auf meinem Blog habe ich vor einiger Zeit eine Liste mit den Schweizer Clubs aufgebaut. Darauf findet sich kein einziger im Tessin. Stimmt das wirklich oder habe ich einfach nicht gut genug recherchiert?

Bignasca: Es gibt wirklich ganz wenig, slash, nichts. Einige mussten schliessen und nur im Sommer ist mit den Festivals einiges los. Aber Clubs sind entweder ganz klein oder Räume von den Städten. Bei dieser Release-Tour spiele ich zum Beispiel nie im Tessin.

Indiespect: Das heisst, du musstest auch zu Beginn deiner Karriere bereits grösstenteils in anderen Landesteilen Konzerte spielen?

Bignasca: Ich wusste sofort, dass ich mir in der Deutschschweiz einen Namen machen muss, wenn ich davon leben möchte. Ich wollte mich nie «inflationieren» im Tessin. Das Phänomen zu haben, wenn du zu oft am selben Ort spielst und es die Leute beginnt zu langweilen. Da habe ich lieber etwas weniger, dafür wirklich geil. Aber ich würde sicher gerne öfter im Tessin spielen.

Das aktuelle Album
«Keep me From Drowning»
VÖ: 19.03.2021

Keep Me From Drowning
Tracklist
  1. Mending Dreams
  2. Most Times
  3. How To Love
  4. Where Things Gro Mean
  5. Nothing On You
  6. Haven
  7. Anywhere The Wind Blows
  8. Keep Me From Drowning
  9. Stranded
  10. Left My Heart At A Rest Stop
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© Eva Pentel

Indiespect: Deine Freundin wohnt in Lissabon und du warst im letzten Jahr oft dort. In Portugals Hauptstadt sind auch die Lyrics zum neuen Album erschienen. Suchst du da auch nach Spielmöglichkeiten oder beschränkst du dich auf kreative Arbeit?

Bignasca: Noch nicht. Ich habe es aber vor. Das war wirklich nur jetzt so. Auch dort war natürlich alles zu und einen Booking-Partner zu finden ist schwierig, wenn nichts läuft. Wenn es wieder losgeht, schauen sie auch zunächst auf ihre eigenen Künstler. Deswegen habe ich mich noch nicht bemüht. Zudem mussten wir uns um die ganze Bürokratie kümmern und uns in Lissabon zu finden. Aber es ist sicher ein Plan, jetzt wo ich die Hälfte der Zeit da unten bin, wenn ich nicht hier spiele.

Mit seiner Freundin lebt Andrea Bignasca teilweise in Lissabon.

Indiespect: Du hattest eine Kooperation mit dem Tessiner Weingut Tamborini, bei der anstatt der Essensempfehlung zum Wein mittels QR-Code dein Song «Mending Dreams» als passende Begleitung empfohlen wurde. Zu diesem Thema hast du gesagt, dass du immer mit deinen Freunden an der Tessiner Version der offenen Weinkeller teilnimmst. In unserem Kanton ist die Weinproduktion auch sehr wichtig. Kennst du dich mit Schaffhauser Wein auch etwas aus?

Bignasca: Ich kenne mich nicht so sehr aus, aber ich weiss, dass das hier auch sehr wichtig ist. Ich habe sogar schon einmal in Trasadingen in einem Fass geschlafen.

Das Video zu Nothing On You habe ich im Garten mit Plüschtieren gedreht.

Andrea Bignasca

Indiespect: Zur Single «Where Things Grow Mean» ein tolles, künstlerisches Video veröffentlicht, das sehr zu empfehlen ist. Überlegst du dir die Konzepte für die Musikvideos selbst oder arbeitest du dafür mit anderen Künstlern?

Bignasca: Ich habe leider für dieses Album nur zwei Videos zu den ersten beiden Singles gemacht. Beide waren meine Idee. Das erste entstand vor Corona. Das mit dem Tanz und der One-Shot-Sequenz. Carl Russ-Mohl hat auch schon andere Videos von mir gedreht. Er ist extra von London gekommen, um das Video aufzunehmen. Es waren fast alle meine Kollegen dabei. Einige haben getanzt, einer hat Licht gemacht und meine Freundin hat Tee gekocht.

Indiespect: Das Teekochen ist aber nicht im Video, oder?

Bignasca: Nein, nein (lacht). Das zweite war das mit den Plüschtieren. Das war für Nothing On You und ist im Full-Lockdown entstanden. Das war der Song, bei dem ich Schlagzeug gespielt habe.

Indiespect: Ich kenne nur noch das für «Haven», welches du in Lissabon gedreht hast.

Bignasca: Ah stimmt, dann ist das das dritte. Sorry! Das Video zu Nothing On You habe ich im Garten mit Plüschtieren gedreht.

Besondere Publikumsbeteiligung im Garten von Andrea Bignasca im Video zum Song «Nothing On You»

Indiespect: Dein Ziel ist eine lange und beständige Karriere als Musiker und nicht der grosse Erfolg. Wie zufrieden bist du mit der Entwicklung seit deinem Debütalbum?

Bignasca: Wenn du mitten drin bist, kannst du das nicht so gut beurteilen. Manchmal musst du dich auch mit etwas Abstand betrachten. So hast du immer das Gefühl, dass du Vollgas geben musst. Aber die Beständigkeit ist mir auf jeden Fall immer noch viel wichtiger, als einfach Erfolg zu haben. Ich bin noch immer überzeugt, dass es durch das Spielen kommt.

Indiespect: In einer Insta-Story vor wenigen Tagen hast du dich beim Schaffhauser Publikum während dem Zucchini schneiden mit einem Dieter Wiesmann Song eingeschmeichelt. Hast du einen Bezug zum Text von «Bloss e chlini Stadt» oder musstest du tricksen?

Bignasca: schüttelt verschwörerisch den Kopf. Nein. Ich habe meine Cousine gefragt, welcher Spruch passen würde. Zuerst wollte ich etwas mit Lappi tue d'Augen uf machen, aber das klingt irgendwie blöd. Danach habe ich nach «Song Schaffhausen» gesucht und habe nur das «Glöckelein» (Das Munotglöcklein, Anm. indiespect.ch) gefunden, das war mir etwas zu altmodisch. Dieses Lied fand ich irgendwie gut.

ich habe immer noch das Gefühl, dass es für mich ein Privileg ist,
von meiner Musik leben zu können. Und ich möchte das nicht verlieren.

Andrea Bignasca

Indiespect: Man hört natürlich hier immer von deinen Schaffhauser Wurzeln. Obwohl du gar nicht so oft hier bist, haben viele das Gefühl, dass du teilweise hier aufgewachsen bist.

Bignasca: Das ist gut so. Aber es ist auch wirklich «home away from home». Mittlerweile habe ich auch in Zürich studiert, aber ich fühle mich hier gut und wohl. Es ist immer schön hierher zu kommen, weil es für einen schönen Grund ist, nämlich meine Verwandten zu sehen.

Indiespect: Vielen Dank für dieses lockere und tolle Gespräch. Ich finde deine Einstellung zur Musik super. Dass du eine Beständigkeit möchtest und nicht verkrampft nach dem grossen Erfolg strebst.

Bignasca: Es geht auch bei mir immer mal wieder auf und ab. From the peaks of enthusiasm to the lows of I don’t know what. Aber ich habe immer noch das Gefühl, dass es für mich ein Privileg ist, von meiner Musik leben zu können. Und ich möchte das nicht verlieren.